Von Menschen, Märchen & Moguln. Michael Schottenberg

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Von Menschen, Märchen & Moguln - Michael Schottenberg

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mir und erzählt in astreinem Deutsch, wie gut ihm Europa, speziell Österreich und Wien gefallen, wie sauber und nett die Menschen seien und wie hervorragend ihm das Essen dort schmecke. Er liebe das alles. Besonders das Schweinefleisch habe es ihm angetan. Ich stelle mir vor, wie 1,3 Milliarden Inder gemeinsam mit der Wiener Bevölkerung vor dem Figlmüller am Boden hocken und Gebackenes in sich reinkrusteln. Die fröhlichen Jains, das herrliche Mahl, der Wien-Verliebte, heute wurde mir im Namen Lord Shivas eine Türe zum Nirwana geöffnet.

      »Sollte ich durch die Kugel eines Verrückten sterben, werde ich lächeln.« Wenig später eröffnet sich mir gleich nebenan in einem kleinen Haus nahe der Back Bay, am Busen des Arabischen Meeres, eine andere Welt: Ich sitze in der kleinen Bibliothek des Mani Bhavan Gandhi Sangrahalaya. Dr. Mohandas Karamchand Gandhi, die »Große Seele« Indiens, hat hier gewohnt, gearbeitet, geschrieben und – gesponnen. Seine Kleider bestanden hauptsächlich aus groben Tüchern, die der Philosoph und Politiker in Heimarbeit hergestellt hat. Seine Sandalen, die randlose Brille, das Bett, das Spinnrad, all das ist hier zu besichtigen. Im ersten Stock dokumentieren Puppen sein Leben und unzählige Bücher sind archiviert, in denen seine Gedanken bis heute überleben. Ich vergesse die Zeit. Hier, inmitten von Millionen von Buchstaben, fühle ich mich beschützt.

      Der Museumsdiener löscht das Licht. Draußen breitet der Himmel seine samtene Decke über die Stadt und in den Häusern und Hütten legen die Kinder Mumbais ihre Köpfe auf die Pölster. Ich packe meine Schreibsachen ein, die anderen Besucher sind längst schon gegangen. Im Vorraum hängt ein verblichenes Foto von Dr. Gandhi. Zwinkert er mir zu? Ist das möglich? Die Türe fällt ins Schloss. Doch, mir ist, als hätte er gelächelt – und wenn nur für den Moment einer kleinen Ewigkeit lang.

       Liebe auf Rädern

      Mumbai, 19. Februar

      Mit Ahmed ist nicht zu spaßen. Er ist einer von vier Millionen Moslems, die in der Riesenstadt leben. Fünf Mal pro Tag ist das scheppernde Rufen des Muezzins zu hören. Dann ist Vorsicht geboten: Ein Fünftel der Bevölkerung fällt unmittelbar darauf auf die Knie. Über einen betenden Sohn Allahs zu stolpern, kann schwierig werden. Ahmed fährt Taxi. Er bringt mich zu einer der vielen Seltsamkeiten Mumbais. Am Rückspiegel baumeln ein paar Chilischoten, nebst einer Limone. Ich frage, wofür das gut sei. Wogegen wäre die bessere Frage. Ahmed sieht mich an, als wollte er mir einen Dolch in die Brust stoßen. Früh am Morgen ist der Verkehr entsprechend dürftig, eine Stunde später wäre der Blick verhängnisvoll gewesen. Bedächtig wendet er sich wieder nach vorne. Achmed hat die Fahrgeschwindigkeit nicht reduziert. Vielleicht gilt das Glücksgemüse all jenen, deren Fragen nerven.

      Für die Fahrt quer durch Mumbai verlangt er zweihundert Rupien Fixpreis. Auf den Taxameter wird gepfiffen. Die Chilis schlackern. Ahmed vermeidet kein Schlagloch und davon gibt’s hier jede Menge. Ich versuche ihn dazu zu bringen, die Zeituhr einzuschalten. Abrupt hält er und öffnet die Türe. Null zu eins. Wir brausen weiter in Richtung Mahalaxmi Station. Mitten auf einer Brücke bremst er jäh ab. Ich reiche ihm das abgezählte Geld und steige aus. Er gibt Gas, der Muezzin ruft. Ich stehe verloren am Geländer, neben mir eine Kuh, unter mir ein verwirrendes Muster an Bahngleisen.

      Rechter Hand liegt das Dhobi Ghat, die größte Open-Air-Waschmaschine der Welt. Die Wäscheleinen haben es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, länger als hier hängen sie angeblich nirgends. In den Wasserbecken, zwei mal zwei Meter groß, stehen die Wäscher. Die grünliche Brühe reicht ihnen bis zu den Knien. Unaufhörlich stapfen sie auf Wäschestücken herum, danach dreschen sie sie gegen die Beckenwände. Das Slum trägt den Namen Shanti Nagar, und das bedeutet »Stadt des Friedens«.

      »You want to go in?« Eine junge Japanerin lacht übers ganze Gesicht, ihre Augen sind hinter dunklen Brillengläsern verborgen. »I’m travelling around India. Six months at least. My name is Tama. Tokyo. You know?«

      »I know«, sage ich. »Schotti. Vienna.« Das Mädchen steckt mich in Sachen Travelling in seine linke Hosentasche. Sie läuft die Steinstufen hinunter, ich hinterdrein.

      Ein baumlanger Kerl, einer der Slum-Keiler, versperrt uns den Weg. Pro Nase will er fünfhundert Rupien. Weit überzogen, mehr als 100 Rupien sollte man nicht bezahlen, das steht in jedem Reiseführer. Kaum hat der Mann den Preis genannt, dreht Tama sich um und geht. Ich versuche, ihn auf dreihundert (für mich) und zweihundert (für Tama) herunterzuhandeln. Diesbezüglich kann ich von Tama einiges lernen. Ich blieb stehen, also koste ich mehr. Unmittelbar darauf steht sie wieder neben mir und steckt mir heimlich ihren Anteil zu.

      In Shanti Nagar leben mehr als fünftausend Menschen. Achthundert davon sind Dhobis (Wäscher). In winzigen Hütten hausen bis zu zehn Menschen. Tama und ich stolpern durch ein dunkles Labyrinth, vorbei an siechenden Alten, im Schlamm hockenden Frauen und greinenden Kindern. Auf Ölkanistern werden Chapatis geröstet. Wir waten durch aufgeweichte Erde. Wir sind, was wir sind: Touristen, die dafür zahlen, einen Blick ins Elend werfen zu dürfen. Auf verschlungenen Pfaden werden wir von einem Krüppel durch die Unterwelt dirigiert. Ich frage, wie die einzelnen Wäschestücke je wieder dort landen, wo sie herkommen. Der Mann spricht besser Englisch als ich. Er deutet auf eine Jeans, an deren Bund ein kleines weißes Stoffstück hängt, mit der Aufschrift »K-2-2«. »K ist das Areal und 2 steht für die Schlafstelle.«

      »Und der andere Zweier?«

      »Die Uhrzeit. Da muss es fertig sein.«

      Die Abteilung für Jeans befindet sich auf den Wäscheleinen im ersten Stock. Auf den Dächern nebenan trocknen hunderttausend ident aussehende Blaumänner. Ich steige eine Hühnerleiter hinunter, stolpere und lande in einer Wasserpfütze mit grünem Schimmel obenauf. Tama kriegt sich nicht ein vor Lachen.

      Irgendwann spuckt uns die Friedensstadt wieder aus, ich stecke dem Alten einen Fünfhundert-Rupien-Schein zu, eine Hand schiebt sich dazwischen und der Keiler sackt das Geld ein. Dreihundert gibt er mir zurück, wovon ich Tama hundert weiterreiche. Er hat längst vergessen, wie viel er anfangs verlangt hat. Auch wenn man anfangs unterschiedlicher Meinung ist, letztlich gehen in Indien doch alle zufrieden auseinander. »Good luck for you!«, sage ich zu Tama. Das Mädchen hört es nicht mehr, lachend verschwindet sie zwischen den Hütten der Elenden, den Einhundert-Rupien-Schein wie eine Trophäe in der Hand.

      In Mahalaxmi besorge ich ein Bahnticket für die Fahrt zurück nach Colaba. Für sechs Kilometer Fahrt bezahle ich fünf Rupien. Umgerechnet sind das 0,06 Euro, und dafür geniere ich mich ein wenig.

      Am Bahnhof Churchgate erwartet mich eine besondere Mission. Seit Jahren schon, der Seitensprung ins Privatime sei gestattet, bin ich der indischen Küche mit all meinen Sinnen verfallen. Das geht so weit, dass ich für mein Selbstgekochtes nur originales Thali-Geschirr verwende, auch die musikalische Untermalung muss stimmen, von den Bananenblättern, wie man sie im Süden des Landes als Teller verwendet, ganz zu schweigen. Einer meiner Sehnsuchtsfilme heißt Lunchbox. Eine zauberhafte Liebesgeschichte rund um, nebbich, die indische Küche. Eine zentrale Rolle darin kommt den Dabbawalas zu, Männern, deren Aufgabe es ist, die von Frauen mit viel Liebe am häuslichen Herd zubereiteten Speisen an deren Ehemänner zu überstellen. Kulinarische Liebesboten könnte man die Herren mit den kecken weißen Hütchen auch nennen. Bei uns wird die mittägliche Austragerei profan »Essen auf Rädern« genannt.

      In Indien gelten Herstellung und Versand von Selbstgekochtem als Liebesversprechen. Die Köchin muss sich darauf verlassen, dass das auf die Reise geschickte Essen auch wirklich sein Ziel erreicht. Bei geschätzten zwanzig Millionen Einwohnern in Mumbai ist das alles andere als selbstverständlich. Wer bitte hat schon die Straßennamen von sechshundert Quadratkilometern Stadtfläche im Kopf? Dazu braucht es, bei aller Liebe, eine ausgefuchste Logistik.

      Viele der Dabbawalas können weder lesen noch schreiben, sie entstammen einer unteren

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