Von Menschen, Märchen & Moguln. Michael Schottenberg
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»Good journey!«
Ich hatte ihm gestanden, dass ich heute nach Udaipur will.
»By plane?«
Ich nicke.
»Much better.«
Mit dem Zug in die »Weiße Stadt« zu fahren, würde lange dauern. In Rajasthan werde ich noch genug Gelegenheit haben, mich ökologisch angemessener durchs Land zu bewegen. Ich nehme Abschied von meinem Stammlokal. Seltsam, wie schnell man heimisch wird.
Heute finde ich den Eingang ins Taj. Das Hotel sieht nicht nur aus wie ein Palast, es ist auch einer. Das Entrée liegt, unauffindbar für Neuankömmlinge, in einem angrenzenden Hochhaus. Security Check. Der Kasten ist radikal heruntergekühlt. In den Wandelgängen liegen üppige Teppiche, in denen man zu versinken droht. Lautlos schleiche ich durch die Couloirs. Ein Hüne von einem Sikh winkt mir vom anderen Ende des Ganges zu. Unsicher grüße ich zurück. Einem zweiten, dessen Gesicht von einem gewaltigen Schnurrbart in zwei Hälften geteilt ist, drohen bei meinem Anblick die Augen aus den Höhlen zu fallen. »Sir …!« Das Hotel ist für alle da, denke ich und gehe weiter. Macht mich mein nicht mehr friktionsfreies Äußeres verdächtig? Vier Tage Mumbai hinterlassen Spuren. Ein Dritter kurvt um die Ecke, stutzt und wackelt mit dem Kopf. »Sorry, Sir …« Der Erste fällt auf die Knie. Was will er, denke ich. Ich wende mich um. Der Glubschäugige ist inzwischen dicht hinter mir und taucht ebenfalls ab. In Höhe meines Gemächts verspüre ich einen Windhauch. Was zum Teufel? Ich wittere Raubtieratem. Ich bin nicht prüde, aber am helllichten Tag, mitten auf dem Flur eines der ersten Hotels Indiens … Hilfe suchend wende ich mich an den Dritten, aber auch der sinkt zu Boden und beginnt an mir herumzunesteln. Hier stehe ich und kann nicht anders. Drei baumlange Kerle von der Palastwache machen sich an mir zu schaffen. Glaubt man das? Der Kopfwackler tastet auf meinem Oberschenkel herum, während der Augenroller das Wadl bearbeitet, das der Erste mit eisernem Griff festhält. Ich blicke an mir abwärts: Linksseitig stehe ich im Freien.
Man stelle sich vor: Ein Mann mit Rucksack, das Käppchen am Nischel, steht im Ground Floor eines der Top-Hotels dieser Welt, ihm zu Füßen ein paar Sikhs, Angehörige einer der stolzesten Ethnien Indiens, die ihm ans Eingemachte gehen. In welchem Film bin ich gelandet?
Die Auflösung: Am Flughafen Amsterdam habe ich im Schlussverkauf des Traveller-Ladens Just in Case eine Hose mit abnehmbaren Hosenbeinen erstanden. Nun vollzog sich just in dem Moment, als ich mir den Anschein gab, dem hier gebotenen Luxus mit größtmöglicher Nonchalance zu begegnen, der Worst Case eines kapitalen Toilettenfehlers. Der Zipp hatte sich entzahnt, das Hosenbein, dem Gesetz der Schwerkraft folgend, war zu Boden geglitten, ich hatte es wohl schon einige Schritte lang nachgeschliffen, daher der kühle Windhauch unten herum. Die freundlichen Herren haben (vergeblich) versucht, mich darauf aufmerksam zu machen.
Ich erinnere mich, dass vor einigen Jahren die Frau eines berühmten Entertainers anlässlich eines Dinners in einem Wiener Nobelrestaurant, kaum aus der Toilette zurück, das eine Bein ihrer Strumpfhose gleich einer Nabelschnur nachgeschliffen hat. Über diesen Fauxpas lacht die Seitenblicke-Gesellschaft Wiens heute noch.
Wie man weiß, bedarf es einer ruhigen Hand, das Ineinandergreifen der kleinen Biester eines Reißverschlusses wiederherzustellen. Borsten eines Schnurrbartes streichen über mein Knie. Die Turbantraube bricht in schallendes Gelächter aus. Meine wahre Sorge ist, dass mir die Sikhs die Hose abschwatzen, um sie in der hauseigenen Schneiderei zu verarzten. Ich gestehe, bei großer Hitze erleichtere ich mir gerne das Leben, indem ich auf Dessous verzichte. Das bitte würde der Peinlichkeit die Krone aufsetzen! Ich kralle meinen Hosenbund fest, während die Herren ganze Arbeit leisten und, ehe ich mich versehe, ist das Übel behoben und der Zipp gegengleich eingebörtelt. Die Herren verneigen sich und eilen kopfwackelnd den Gang entlang. Ich glaube, sie werden den kleinen Vorfall ebenso wenig vergessen wie ich. Das Taj, so viel steht fest, sieht mich in diesem Leben nicht wieder. Mit hochrotem Plutzer stürze ich ins Freie und widme die kleine Szene – wem schon, meinem Freund Petters, der in so manchem Feydeau-Schwank, zum Gaudium des Publikums, mit schöner Regelmäßigkeit die Hosen verlor …
Im Taxi geht es danach quer durch die Stadt zum Chhatrapati Shivaji International. Die Straßen sind unpassierbar, die Stadtautobahnen ebenso, von den zahlreichen Fly-overs ganz zu schweigen. Der Moloch atmet. Wir passieren Dharavi, einen der größten Slums des Landes. Zahlreiche Filme wurden hier gedreht, Slumdog Millionär zum Beispiel. Eine Million Menschen leben hier in Löchern, die einem Tier nicht zuzumuten wären. Für die gleiche Fahrt, die mich vor Tagen in entgegengesetzter Richtung 1800 Rupien gekostet hat, zahle ich heute einen Bruchteil davon, immer noch eine Summe, von der eine vielköpfige Familie in Dharavi zumindest einen Monat überleben könnte.
Eine knappe Flugstunde später setze ich im Land der Könige auf. Wie immer habe ich im Backstagebereich des Vogels gebucht. Nach dem Abschnallen der übliche Stau im Mittelgang. Ein Steward verneigt sich vor mir – ich möchte doch den hinteren Ausgang benutzen. Eine Gangway dockt an, ich schwebe wie die leibhaftige Nummer siebenundsiebzig der Singh-Dynastie von Udaipur jener Stadt entgegen, die heute noch von Nachkommen des Mewar-Geschlechts regiert wird, genau genommen vom gegenwärtig sechsundsiebzigsten Nachfolger des Maharana Udai Singh aus dem altehrwürdigen Geschlecht der Rajputen. Während sich das Fußvolk durch das schmale Arrival-Gate quält, werde ich direkt in den VIP-Bereich komplimentiert. Weshalb mir diese Ehre zuteil wird? Keine Ahnung. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Verwechslung. Vielleicht liegt es auch an meinen perfekt gezippten Beinkleidern. Im Hauptgebäude passiere ich die salutierende Security-Garde, nehme die Parade der Gepäcksbänder ab, nicke nach links und nach rechts und bewege mich in Richtung Ausgang, wo mich bereits ein freundlicher Abgesandter meiner Unterkunft erwartet.
Bei der Ankunft ist Schluss mit lustig. »Over there!«, bellt mich der Taxifahrer an. Dieselwolke. Kein Hotel weit und breit. Aus der Dunkelheit schält sich ein Mann, spuckt vor mir aus und verschwindet. Ein Mopedfahrer schießt mich beinahe ab. »Gajkaran Haveli? Over there!« Er deutet ins Dunkel zu einer der Hausruinen. Aus einer Stalltüre glotzt mich das nationale Heiligtum einer Kuh an. Die Rezeption ist über einen Hühnersteig zu erreichen. Eine Viertelstunde später erscheint der Besitzer des Etablissements, weist mir unter vielen Verbeugungen ein Verlies von einem Zimmer zu, bittet mich auf die Dachterrasse, von wo aus man eine prächtige Aussicht über den See hat, und stellt mir ein tadelloses Abendessen hin. Ich habe einen Bärenhunger. Das Curry ist scharf wie die Hölle, ich bin in Rajasthan gelandet. Ich erhebe ein pitschkaltes Glas Bier auf meinen Freund Heinz Petters und – auf ein Paar frisch renovierter Hosenbeine der Marke Just in Case …
Glück
Udaipur, 21. Februar
Die Trommeln lassen mich Raum und Zeit vergessen. Dumpf hören sie sich an, unheimlich, später fordernder, schneller, immer schneller, als möchten sie explodieren: die Trommeln von Udaipur. Die dicht an dicht stehenden weißen Häuser schaffen einen Klangkörper, der alles in Schwingung versetzt. Ich liege auf dem Dach des Lake View Restaurants am Gangaur Ghat und genieße die Aussicht über den Pichola-See, den zauberhaftesten der zahlreichen Seen, die das Stadtgebiet mit dem Umland bis hin zu den Ausläufern des nahen Aravalli-Gebirges verbinden. Im 16. Jahrhundert war hier noch Sumpfland. Heute ist Udaipur eine der malerischsten und romantischsten Städte Rajasthans. Dicht bewaldete Hügelketten bilden einen natürlichen Schutzwall. Ich blicke über die Dächer der Altstadt. Streifenhörnchen huschen wie kleine, drollige Gespenster an mir vorbei, halten an, rümpfen ihre Nasen, putzen