Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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e-t í e-t/e-u gibt eine neue Perspektive auf TEIL und SKRIPT, welche so in der Jóns saga helga nicht vorkommt. Dies hängt mit der Rolle des Kompilators in der Sturlunga saga zusammen, welcher den Stoff auswählt und Inhalte weglassen kann. Eine weitere syntaktische Möglichkeit, SKRIPT und INHALT zu verbinden, repräsentiert in der Sturlunga saga die Konstruktion rita/ríta e-t um e-t. SKRIPT ist hier rolla und der INHALT skipti ‚Händel‘. Diese ist im ONP (rita, ríta) mehrfach belegt – alternativ mit der synonymen Präposition of (vgl. Benediktsson 1944: 10, Bjarnarson 1878: 33, 55) – und erfüllt die gleiche Funktion wie in der Sturlunga saga. Ein weiterer Beleg mit der Konstruktion rita hluti um líf e-s (vgl. Unger 1877: 588) ‚Teile über jds. Leben schreiben‘ aus der Marteins saga biskups verbindet die Attribute TEIL und INHALT. Dabei lässt sich INHALT nicht klar von STOFF abgrenzen, denn líf e-s ist Inhalt dieser Teile und zugleich der Stoff, dem diese Teile entnommen werden.

      Der Stoff wiederum entstammt einer Quelle. Obwohl diese wie auch die Vorlagen bei einer Kompilation eine zentrale Rolle spielen, ist das Attribut QUELLE oder VORLAGE nur einmal als Ergänzung im Präpositionalobjekt eptir e-u belegt. Der Wert lautet bók ‚Buch‘. Anhand dieses einen Beleges kann nicht entschieden werden, welches Attribut besser zutrifft. Da rita in der Jóns saga helga in einer Paarformel mit setja saman ‚zusammensetzen, verfassen‘ vorkommt, trifft dort das Attribut QUELLE besser zu, weil der Text vermutlich zuerst kompiliert und dann aufgeschrieben wurde. Für das Attribut Quelle sprechen auch Belege im ONP (rita), wie etwa jener aus der Ólafs saga helga, welcher dem aus der Jóns saga helga gleicht: „En þo rita ec flest eptir þvi sem ec finn i kveþum scallda þeirra er varu með Olafi konungi“ (Johnsen/Helgason 1941: I, 5). ‚Doch schreibe ich das meiste gemäss dem, was ich in den Gedichten der Skalden finde, die bei König Óláfr waren‘ (Übers. KM). Der Relativsatz im Präpositionalobjekt eptir e-u enthält wie in der Jóns saga helga Werte für die Attribute TEXTSORTE (kvæði ‚Gedicht‘) und ZEUGE bzw. AUTOR (skáld ‚Skalde‘). Ob es sich um eine Quelle oder Vorlage handelt, ist schliesslich von der Situation abhängig, denn der Schreiber kann schriftliche Vorlagen abschreiben oder Informationen aus mündlichen Quellen aufschreiben. Die Vorlage ist nur eine besondere Form der Quelle. Es lässt sich auch nicht immer sicher entscheiden, ob die Quelle mündlicher oder schriftlicher Natur ist. Deshalb trifft die semantisch breitere Bezeichnung QUELLE besser auf dieses Attribut zu. Ein im ONP (rita) aus der Barlaams saga ok Josafats fügt dem Attribut Quelle noch einen weiteren Aspekt hinzu:

      Her er nu komet til ennda oc lykta þessarar sagu. er ec ritaða eptir minni kunnastu. sua sem ec hevi sannazt nomet. af virðulegom monnum er sannlega. oc firir vttan fals. sagðu mer. með hinum sama hætte (Rindal 1981: 195).

      Hier sind nun das Ende und der Schluss dieser Geschichte gekommen, die ich nach meiner Kenntnis schrieb, wie ich es wahrhaft von den ehrwürdigen Leuten vernommen habe, die es mir wahr und ohne Fehler auf die gleiche Weise erzählten (Übers. KM).

      Das Präpositionalobjekt eptir minni kunnustu ‚nach meiner Kenntnis‘ verweist nicht auf eine mündliche oder schriftliche Quelle, sondern auf die Kenntnis des Schreibers. Er nennt zwar im nachfolgenden Komparativsatz seine Quellen, die Primärquelle ist aber sein eigenes Wissen. In der Ólafs saga helga kommt das ek ‚ich‘ des Schreibers zwar auch im Präpositionalobjekt eptir e-u vor, jedoch als Subjekt des Verbs finna ‚finden‘, d.h. der Schreiber findet die Informationen in den Quellen und übernimmt sie. Die Kenntnis des Schreibers steht nicht so sehr im Zentrum wie in der Barlaams saga ok Josafats, auch wenn es am Schluss des Satzes wieder mit með hinum sama hætti ‚auf die gleiche Weise‘ relativiert wird, indem der Schreiber seine Kenntnis doch den Quellen gleichsetzt. Die Kenntnis beruht auf dem Gedächtnis, so dass im Beleg aus der Barlaams saga ok Josafats das Attribut GEDÄCHTNIS indirekt als Ergänzung nachgewiesen werden kann. Das Gedächtnis des Schreibers steht immer zwischen Quelle und Skript, weil er sein Wissen wie auch den Text der Vorlage oder das Diktat darin über kürzere oder längere Zeit abspeichert.

      Das Schreiben geschieht in vielen Fällen im Auftrag einer Person, die sich im Frame von rita/ríta als Attribut AUFTRAGGEBER bestätigen lässt. Der AUFTRAGGEBER, welcher in der Jóns saga helga als Dativobjekt ergänzt wird, kommt in der Sturlunga saga als Subjekt in Kausativkonstruktionen vor. Im Gegensatz zu den geistlichen Schreibern sind die Auftraggeber Mitglieder des Sturlungenclans, also höhergestellte Laien. Die Kausativkonstruktion wird im ONP (rita, ríta) nicht gesondert behandelt, es gibt aber durchaus Belege, wie beispielsweise aus den Landslǫg mit König Magnus (Magnús konungr) als Subjekt (vgl. Keyser/Munch 1848: 7f.).

      Der soziale Rang ist auch für den ABSENDER im Korrespondenzframe entscheidend, welcher wie in der Jóns saga helga als Agens der Konstruktion rita e-t til e-s auf die Ausdrucksseite tritt. Die Werte für dieses Attribut sind ähnlich und die Konstruktion wird im ONP (rita, ríta) nicht gesondert behandelt, obwohl es sich um ein anderes Konzept handelt. Es gibt lediglich eine relativ kleine Belegreihe zur Kollokation rita bréf. Ein interessanter Wert in dieser Reihe ist noch dróttning ‚Königin‘ in einem Beleg aus der Alexanders saga (vgl. Jónsson 1925: 88), weil Frauen in den Schreib- und Lesekonzepten sonst kaum nachgewiesen werden können. Im ONP (rita) gibt es neben rita bréf noch das Partikelverb rita til e-m mit zwei frühneuzeitlichen Belegen, welches aus syntaktischen Gründen mit der Konstruktion rita e-t til e-s nicht gleichgesetzt werden kann. Der Korrespondenzframe ist in der Sturlunga saga mit den Attributen ABSENDER, SCHRIFTTRÄGER, BOTSCHAFT und EMPFÄNGER ähnlich zusammengesetzt. Boten und Siegel bilden hingegen Leerstellen und sind auch im Kontext nicht zu finden. Das Präpositionalobjekt með e-m für das Attribut BOTE ist im ONP (rita, ríta) mehrfach bezeugt, wird aber ebenfalls nicht gesondert behandelt. Darunter befindet sich mit sendiboði ‚Sendbote‘ (vgl. Unger 1869: 109, Baetke 2002: 526) eine mögliche Bezeichnung für das Attribut.

      Wie der BOTE kommt im Schreibframe auch die QUALITÄT in der Sturlunga saga nicht als Ergänzung vor. Weil jedes Skript eine Qualität hat, muss diese Teil des Frames sein. Bei den Kommentaren und expliziten Textverknüpfungen ist die QUALITÄT wie SKRIPT und SCHRIFTTRÄGER Teil der Situation, so dass diese für den Leser ersichtlich ist. In der Erzählung scheint sie dagegen eine Nebenrolle zu spielen. Dies gilt auch bis auf den einen Beleg je Redaktion für die Jóns saga helga, wo der Schreiber nach dem Urteil Bischof Jóns fragt. Für die übrigen Skripte ist wiederum ein Defaultwert nötig, der wohl dem stereotypen Aussehen des jeweiligen Skripts entspricht. Auch der Bote ist in der Jóns saga helga nur je einmal eine Füllung, weil die Hauptperson Jón eben dieser Bote ist. Daraus lässt sich schliessen, dass diverse Unterschiede in den Kollokationen und Frames sich nicht nur durch das Alter, sondern auch durch den Inhalt des Textes erklären. Belege für dieses Attribut ausserhalb des hier untersuchten Korpus sind schwierig zu finden. Das ONP (ríta) nennt die Kollokation ríta á þessa lund ‚auf diese Weise schreiben‘ in einem Beleg aus dem norwegischen Homilienbuch (vgl. Indrebø 1931: 106), die mit rita með e-m hætti aus der Jóns saga helga synonym ist. Im Homilienbuch ist damit wahrscheinlich die Schreibweise des Namens Johannes gemeint. Ríta á þessa lund ist ebenfalls im Ersten grammatischen Traktat bezeugt, die sich da auf die Gestalt eines Graphems bezieht (vgl. Benediktsson 1972: 236). Darauf referiert auch die Ergänzung í ǫðru líkneski ‚in einer anderen Gestalt‘ (vgl. Benediktsson 1972: 218). Der Traktat hat ausserdem Belege mit Adverbien. Skynsamliga ‚verständig‘ steht im Zusammenhang der Verwendung des Graphems <y>, welches lateinische Schreiber in griechischen Wörtern verwenden, wenn sie ‚verständig‘ schreiben (vgl. Benediktsson 1972: 238). Die Adverbien illa ‚schlecht‘ und rangt ‚falsch‘ beziehen sich auf die Verwendung der Kapitälchen für Geminaten im Isländischen (vgl. Benediktsson 1972: 242). Somit beziehen sich die Adverbien auf die Orthographie. Der Frame des Attributs QUALITÄT hat also sicher zwei Attribute RICHTIGKEIT und GESTALT. Der Traktat behandelt in erster Linie

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