Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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die treffendere Bezeichnung dieses Attributs.

      Der Fokus im Traktat auf die Verschriftung äussert sich auch im Thema, das diverse Werte für Grapheme enthält wie stafr ‚Buchstabe‘, hǫfuðstafr ‚Kapitälchen‘, raddarstafr ‚Vokal‘ oder samhljóðandi ‚Konsonant‘ (vgl. Benediktsson 1972: 208, 210, 230, 238, 242). Dazu kommen das Schriftsystem mit stafróf ‚Alphabet‘ (vgl. Benediktsson 1972: 208) und die Sprache mit ebreska ‚Hebräisch‘, enska ‚Englisch‘, girzka ‚Griechisch‘ und latína ‚Latein‘. Da zum Schreiben unweigerlich eine Sprache, ein Schriftsystem (stafróf) und Schriftzeichen (stafr) gehören, sind diese ebenfalls als Attribute zu betrachten. Auf das Attribut SPRACHE referiert im Traktat auch die Ergänzung at váru máli ‚in unserer Sprache‘ (vgl. Benediktsson 1972: 246), für die es im ONP (rita, ríta) gleiche und ähnliche Belege gibt: z.B. at norrœnu máli (vgl. Johnsen/Helgason 1941: I, 1) oder á þesskonar tungu ‚in einer solchen Sprache‘ (vgl. Jónsson 1925: 17). Die Substantive mál und tunga bezeichnen das Attribut, das Adjektiv ist der Wert. Im Traktat kann die Konstruktion rita/ríta e-t e-u die Attribute SPRACHE und SCHRIFTSYSTEM bzw. SCHRIFTZEICHEN verbinden, z.B. rita ensku latínu stǫfum (vgl. Benediktsson 1972: 206, 208) ‚Englisch mit lateinischen Buchstaben schreiben‘. Das Substantiv stafr deutet zwar auf das SCHRIFTZEICHEN hin, der Plural aber auf das SCHRIFTSYSTEM, das in diesem Kontext auch relevant ist. Das einzelne Schriftzeichen ist eher als Teil des Skripts zu betrachten. Vergleichbare Belege befinden sich auch im ONP (rita, ríta): rita/ríta gullstǫfum (Unger 1860: 287, Unger 1877: 278, Jiricek 1893: 25) ‚mit Goldbuchstaben schreiben‘, die auf ein weiteres Attribut im GRAPHIE-Frame verweisen: die FARBE. Der Defaultwert schwarz ist von zahlreichen mittelalterlichen Handschriften bekannt. Das Fehlen dieser Attribute im vorliegenden Korpus erklärt sich eben durch Defaultwerte und Constraints. Für das SCHRIFTSYSTEM ist latínu stafróf ‚lateinisches Alphabet‘ anzunehmen, die Werte für die SPRACHE können über Constraints mit dem TEXT inferiert werden. Liturgische Texte hätten entsprechen einen Wert latína ‚Latein‘, Briefe von und an Laien einen Wert norrœnn ‚nordisch‘.

      Gleich verhält es sich mit den postulierten Attributen SCHREIBMATERIAL, SCHREIBWERKZEUG und KÖRPERTEIL (vgl. Kap. II.1.). Diese Aspekte thematisiert Glauser (2010: 326) anhand einer Schreiberklage aus der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana, die in der Handschrift AM 589e 4to aus der Mitte oder zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefert ist (vgl. Lagerholm 1927: XLIV):

      ok lúkum vér hér sǫgu þeirra Egils ok Ásmundar, fyrir því at bókfellit minkar en blekit þykknar, augun þyngjaz, tungan trénar, hǫndin mœðiz, penninn sljófgaz ok bila ǫll ritfœrin. Hafi þeir þǫkk, er skrifat hafa, ok svá sá er las ok þeir er til hlýddu ok sá er þessa sǫgu hefir fyrst saman sett. AMEN. (Lagerholm 1927: 83)

      Und hier beenden wir die Geschichte von Egill und Ásmundr, weil das Pergament ausgeht, die Tinte eindickt, die Augen zufallen, die Zunge austrocknet, die Hänge ermüden, die Feder stumpf wird und alle Schreibwerkzeuge versagen. Es haben jene Dank, die geschrieben haben, und dann jener, der las, und jene, die zuhörten, und jener, der die Geschichte zuerst verfasst hat. Amen (Übers. KM).

      Die Schreibwerkzeuge, -materialien und Körperteile stehen zwar nicht in direkter syntaktischer Beziehung mit dem im letzten Satz belegten Verb skrifa, aber sehr wahrscheinlich in einer semantischen. Das ONP (rita, ríta) hat mehrere Belege mit dem Substantiv hǫnd ‚Hand‘ als instrumentalem Dativ sinni hendi ‚mit seiner Hand‘ (Unger 1862: 312), sínum hǫndum ‚mit seinen Händen‘ (Kålund 1908: 25) oder als Präpositionalobjekt með sínum hǫndum ‚mit seinen Händen‘ (vgl. Jónsson/Jónsson: 1892–96: 177).

      Das SCHREIBMATERIAL bókfell ‚Pergament‘ und das Werkzeug penni ‚Feder‘ werden an einer Stelle in den Vitae Patrum ebenfalls mit dem Präpositionalobjekt með e-u ergänzt: „med einvala bokfellum ok hinum bezta penna ritinn“ (Unger 1877: 533). ‚mit erlesenem Pergament und der besten Feder geschrieben‘ (Übers. KM). Im oben erwähnten Zitat aus der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana können die erwähnten Körperteile (auga, tunga, hǫnd), Schreibmaterialien (bókfell) und -werkzeuge (penni, ritfœri) aus dem Kontext inferiert werden und bilden beim Verb skrifa, einem Synonym zu rita/ríta, eine Leerstelle. Die körperlichen Aspekte sind reine Defaultwerte, von denen kaum abgewichen werden kann, denn man schreibt mit der Hand und sieht das Geschriebene mit den Augen. Die Zunge ist wohl eher auf den Leser oder den diktierenden Verfasser bezogen, es kann aber auch sein, dass der Schreiber beim Schreiben mitspricht. Bei den Materialien kommen hingegen auch andere Werte als Pergament in Frage. Diese resultieren aus Constraints mit dem SCHRIFTTRÄGER, denn die Blätter des Kodex bestehen aus Pergament, aber die Wachstafel ist mit Wachs beschichtet. Dies gilt auch für das SCHREIBWERKZEUG: Für das Pergament braucht es in der Regel eine Feder, für die Wachstafel einen Griffel. Diese eindeutigen Relationen erklären, dass diese Attribute meistens eine Leerstelle bleiben.

      Zum Schluss bleiben noch die beiden Attribute ZEIT und ZWECK übrig, die nicht nur im vorliegenden Korpus selten vorkommen, sondern auch im ONP (rita, ríta) nur wenige Belege haben. In der Sturlunga saga lässt sich das Attribut ZEIT einmal nachweisen, für das es auch im ONP keine vergleichbaren Belege gibt. Die Nennung der Zeit grenzt das Schreiben lediglich von anderen Tätigkeiten eines Geistlichen ab, so dass das Attribut für den Frame wohl nur eine marginale Rolle spielt.

      Für das Attribut ZWECK ist ein Beleg aus dem Prolog der Strengleikar in Glauser (2010: 332) von Interesse, weil dort gleich drei Werte genannt werden: „[…] þæim sogum er margfroðer menn gærðo […] ok a bokom leto rita. til ævenlægrar aminningar til skæmtanar. ok margfrœðes viðr komande þioða“ (Strengleikar: 4–7). ‚[…] den Geschichten, die vielwissende Leute machten […], und zum ewigen Andenken, zur Unterhaltung und Wissensvermehrung künftiger Völker auf Bücher schreiben liessen‘ (Übers. KM). Die Werte margfrœði ‚Vielwissen‘ und skemtan/-un ‚Unterhaltung‘ sind semantisch nahe an kenslu ‚Unterricht‘ in der Jóns saga helga und gaman ‚Vergnügen‘ in der Mágus saga jarls (vgl. Kap. II.3.1.2.). Hinzu kommt noch áminning ‚Erinnerung, Andenken‘. Welcher Wert für das Attribut ZWECK zutrifft, hängt stark vom jeweiligen Text ab, der geschrieben wird. So dienen Geschichten der Unterhaltung und Bildung, Psalterien der Andacht oder Urkunden der Beglaubigung. Auch hier können entsprechende Werte über Constraints inferiert werden und setzen die Kenntnis der Attribut- und Werteframes voraus.

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konzepte von rita/ríta in der Sturlunga saga sich von jenen in den beiden Redaktionen der Jóns saga helga kaum unterscheiden. Ein Abgleich mit Texten ausserhalb des vorliegenden Korpus bestätigt die Struktur des Frames und die Valenz weitgehend. Dennoch konnten einige Attribute im vorliegenden Korpus nicht nachgewiesen werden.

      Die Analyse des Verbs rita/ríta hat gezeigt, dass es zwei Frames evozieren kann, die bisher nur ansatzweise unterschieden wurden. Zum Schreibframe gehören SCHREIBER (ritari) als Agens, SKRIPT als Thema oder Präpositionalobjekt í e-t/e-u, INHALT als Thema oder Präpositionalobjekt um e-t, TEIL (hlutr) als Thema, SCHRIFTTRÄGER als Präpositionalobjekt á e-t/e-u, QUELLE als Präpositionalobjekt eptir e-u, STOFF (efni) als Präpositionalobjekt af e-u, GRAPHIE als Adverb oder Konstruktionen wie með e-m hætti, ZEIT als Adverbiale und AUFTRAGGEBER als Causer oder Dativobjekt. In der Verwendung der Ergänzung gibt es innerhalb und ausserhalb des vorliegenden Korpus nur geringe Abweichungen. Die folgenden Attribute konnten im vorliegenden Korpus nicht als Ergänzung nachgewiesen werden: KÖRPERTEIL als Dativ- oder Präpositionalobjekt með e-u, SCHREIBMATERIAL und -WERKZEUG (ritfœri) als Präpositionalobjekt með e-u, SCHRIFTSYSTEM als Thema, Dativobjekt oder Präpositionalobjekt

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