Maschinenraum. Walter Gröbchen
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Es sind seltsame Tage, in denen dieses Buch entsteht. Sie werden an vorderster Stelle eine Kolumne finden, die als Botschaft an einen Freund gedacht war – Peter Glaser. Es war der mehr oder minder charmante Versuch, dem österreichischen Autor, der seit Jahren in Berlin lebt und arbeitet, ein Vorwort abzuringen. Er hat auch gleich zugesagt, zu meiner Freude, denn ein paar definitiv kundige einleitende Worte zu diesem Kompendium hoffentlich halbwegs kundiger Texte sind mehr als bloßes Beiwerk. Sie adeln das Buch, den Verlag und den Autor. Allein: Ich erreiche Peter seit Wochen nicht, und die letzte Botschaft, die mich via Personal Message auf Facebook erreichte, klang gar nicht gut. Was mit den Umständen zu tun hat, mit Corona, der Bürokratie, der Ratlosigkeit, der körperlichen und seelischen Verfasstheit in Phasen wie diesen. Die vielen Fragezeichen und alles Gute wünschenden Buchstaben meiner immer dringlicheren Depeschen an den erhofften Verfasser dieses Einleitungstextes blieben ab Mitte März unbeantwortet. Ich hoffe dennoch, Peter Glaser baldigst ein »Maschinenraum«-Exemplar überreichen zu können. Persönlich, mit Freude, Dank und Erleichterung.
So liest sich dieses Buch auch ein wenig mehr wie ein persönliches Logbuch als ursprünglich gedacht. Tagesaktuell war das Gros der Kolumnen nie, aber es kam zu den geplanten Kapiteln über die Vergangenheit und die Zukunft – ohne die wohl kein halbwegs unterhaltsames Werk zum Thema Technik im weitesten Sinn auskommen kann – noch eine Abteilung zur Gegenwart dazu. Dass sie uns morgen (und das kann dann schon der Tag sein, an dem Sie diese Zeilen erstmals lesen) hoffnungslos veraltet, schräg und falsch beurteilt vorkommt und wir das C-Wort nicht mehr annähernd riechen können (oder wollen), mag sein. Aber die Lachhaftigkeit vieler Konzepte, Konstruktionspläne und Visionen von einst ergibt sich schon bei der Lektüre ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte alter Wirtschafts- und Technikmagazine. »Life is what happens while you’re busy making plans«, wusste schon John Lennon. Wir sollten die vergilbten Ideen von gestern dennoch studieren, weil sie uns auch jede Menge über die aktuelle Situation erzählen. Und den Weg dahin.
Was will dieses Buch, was will die ihr zugrunde liegende Kolumne (die erstmals 2009 in der Presse erschien, wofür es Christian Ultsch und Rainer Nowak zu danken gilt, und die seit 2017 in der Wiener Zeitung abgedruckt wird, hier geht der Dank an Christina Böck, Bernhard Baumgartner und Ex-Chefredakteur Reinhard Göweil)? Kurz gesagt: ein Begreifen ermöglichen. Jede hinreichend fortschrittliche Technologie sei von Magie nicht zu unterscheiden, hat der britische Autor Arthur C. Clarke einst postuliert. Hier aber geht es um Entzauberung. Der gemeinsame Abstieg in den »Maschinenraum« ist der Versuch einer lustvollen, nicht mit Fachsprache, Hard Facts und technischen Details überfrachteten Expedition in den Alltag eines Durchschnitts-Users. Das ist wesentlich: Alle Beobachtungen, Anmerkungen und Einschätzungen erfolgen aus der Sicht eines kritischen Konsumenten, nicht eines Experten.
Wie für jeden Autor, für jede Autorin gilt auch für mich: Wir schreiben gegen das Sterben an, gegen das Vergessenwerden, gegen den Lauf der Dinge. Wie lange wird der Laptop, in dessen Tastatur ich gerade klopfe, noch klaglos laufen? Was kann uns Neo-Virologe Bill Gates über die Vergänglichkeit erzählen, welches Smartphone nutzt der Papst (und schaltet er es während eines Gesprächs mit Gott aus)? Wird die Zukunft mehr Technik, mehr Verstehen, mehr Lösungen bringen oder weniger? Und kann Fortschritt gegebenenfalls das Überleben der Menschheit sichern? Fragen über Fragen. Ich beginne abzuschweifen. Zeit, umzublättern.
GEGENWART
»Es ist dies das Zeitalter der Angst, weil die elektrische Implosion uns ohne Rücksicht auf ›Standpunkte‹ zum Engagement und zur sozialen Teilnahme zwingt.«
Marshall McLuhan
»Der Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung ist im Endeffekt eine ständige Flucht vor dem Staunen.«
Albert Einstein
»Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.«
Norman Mailer
RAUM, ZEIT, TEXT
Schreiben über Technik? Selten im Radar des Literatur-Nobelpreis-Komitees. Leider.
Ich habe das ehrenwerte Angebot bekommen, eine Auswahl der hier erscheinenden Kolumnen als Buch zu veröffentlichen. Ob sie es wert sind, weiß ich nicht. Aber das soll das Publikum entscheiden, das ja im Kosmos der Konsumprodukte eine faktisch brutale, nicht selten finale Abstimmung vornimmt – an der Kassa des Buchladens, via »Buy«-Click im Internet. Oder auch nicht. Noch gilt das Prinzip Hoffnung: Die pure Existenz des Werks wird Ihnen nach diesem Vorab-Hinweis und seinem Erscheinen noch oft genug untergejubelt werden. Eventuell hilft es, die Absatzzahlen zu steigern, wenn ich nicht extra auf den Umstand verweise, dass sich die Mehrzahl der Texte online leicht auffinden und gratis studieren lässt.
Aber ein Buch macht halt deutlich mehr her! Erst recht für den Autor. Es ist ein Konzentrat jahrelanger flüchtiger Beobachtungen, launiger Anmerkungen, bisweilen auch dauerhafterer Gedanken und Erkenntnisse. Abseits profaner Tagesarbeit, die hilft, die Miete zu bezahlen, rückt allein das jahrtausendealte, auch im 21. Jahrhundert konkurrenzlos sinnliche Medium Papier jeden Beistrich in die Nähe ernsthafter Literatur, und man muss nicht von Tolstoi, Homer und Handke kommen, um sich geadelt zu fühlen. Eventuell reicht auch Hobby – das Magazin der Technik. Kennen Sie nicht? Im Feld des strikt linearen technologischen Fortschritts, der kein Zurück kennt und selten Nostalgie, freilich kein Mirakel. Entschuldigen Sie das Pathos! Mir ist gerade danach.
Ich habe Peter Glaser ein Mail geschickt, ob er ein kurzes Vorwort für das Büchlein verfassen möchte. Kennen Sie ebenfalls nicht? Der Mann ist der beste Technik-Kolumnist des deutschsprachigen Raums (auch wenn ihm Sascha Lobo hart auf den Fersen ist). »Geboren als Bleistift in Graz« in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrtausends, wie seine Web-Biografie festhält. Heute lebt Glaser in Berlin. Eigentlich aber im Cyberspace. Wie geht so einer, wage ich zu fragen, mit der Flüchtigkeit seiner schriftstellerischen Existenz um, der Rasanz der Zeit, der Explosion der im Idealfall vollständig und penibel zu kommentierenden Möglichkeiten, Perspektiven, Entwicklungen? Erst recht im Kontrast zur – vermeintlichen? tatsächlichen? – Gefangenheit des Menschen in sich selbst. Apropos: Peter Glaser sitzt, wenn er nicht seinen Intellekt um den Globus streifen lässt, im Rollstuhl. Nicht die übelste Erfindung in der Geschichte der Menschheit.
Ich halte gerade eines seiner Bücher in Händen. Der Autor – Bachmann-Preisträger! – ist mir weit voraus, was bedrucktes Papier betrifft. Das Werk (»24 Stunden im 21. Jahrhundert«, Erscheinungsjahr 1995) ist, oberflächlich betrachtet, vergilbt, aber es strotzt vor zeitlos aktueller Gedankenfülle. Und zutiefst humanem Humor. Ich empfehle dringend: googlen, abonnieren, lesen Sie Glaser! Technik und Alltag, Introspektion und Extrapolation, Poesie, Gegenwart und Zukunft so elegant zu verzahnen ist kein Lercherlschas. Zumal sich die ernste Literatur selten Alexa, Greta und das nimbusumflorte Nobelpreis-Komitee in den Elfenbeinturm einlädt; eine ihrer größten Schwächen. Jetzt bin ich mal gespannt, was mir vergleichsweise der Grazer Titan, Freund und Kolumnistenkollege zurückschreibt.
WELTWEITES AUFFANGNETZ
Aufklärung oder Verschwörungstheorie? Das World Wide Web transportiert beides.
Ich schreibe dies zwei Tage nach der Zeitenwende im Jahr des Herrn 2020,