Maschinenraum. Walter Gröbchen
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Zu viel Lärm um eine Krankheit, die bis zuletzt noch als »harmloser als eine Grippe« galt? Ich meine: nein. Es sind die leuchtkräftigen Bilder, die uns den Weg weisen im Sprühnebel der Desinfektionsmittel. Auch da kann sich jeder heimische Politiker eine Scheibe von der Methodik (nicht der Moral!) der chinesischen Behörden abschneiden: Zeig’ entschieden, wo’s langgeht, erklären kann man es später immer noch – verstehen könnten es locker zwei Drittel der Bevölkerung, aber wirklich verinnerlichen will es aktuell vielleicht ein Bruchteil davon, wenn überhaupt.
Man konnte selbst respektierte Journalisten, Meinungsbildner und Landärzte lange nicht vom Wesen dieses Wettlaufs mit dem Tod überzeugen. Man kann es partiell immer noch nicht – sei es mit Schautafeln, Videos, mathematischen Formeln, akkuraten Statistik-Kurven oder dramatischen Augenzeugenberichten aus Spitälern in Krisen-Hotspots. Mit fatalen Folgen.
Bezeichnenderweise hat in diesem Kontext der potenziell hochklassige, weil weltumspannende, quellendiverse und mit Abstand rasanteste Kommunikationsträger – das Internet – mit seiner eigenen Übermacht zu kämpfen. Jeder nutzt es, keiner traut ihm. Weil der Großteil seiner User zu träge ist, Fakten zu checken, Informationen abzuwägen und ein Sensorium gerade für unangenehme Wahrheiten zu entwickeln, glaubt man nur, was man vorher schon an »Meinung« in der warmen Jackentasche mit sich herumtrug.
So kam, was kommen musste: Man wird – inmitten eines Tsunamis! – Teil einer Fraktion in einer fraktionierten Welt. Pro? Contra? Egal? Mir jedenfalls egal, bei manchen Zeitgenossen als Mitbefeuerer einer »weltweiten social-media-gesteuerten Massenhysterie« (O-Ton in einem Facebook-Thread) zu gelten. Time will tell. Aber den Ärzten läuft die Zeit und die Bettenkapazität davon. Es wäre mehr als schmerzlich, recht zu behalten.
Homeoffice now! Das hoffungsvolle Leuchten des Bildschirms … Warum setzen wir weiterhin auf die vielgeschmähten, nachgerade verdammten, an ihre Kapazitätsgrenzen geratenden Neuen Medien? Weil die elektronischen Kanäle ein Eckpfeiler eines würdigen Weitermachens, ja Weiterlebens sind. Erst recht bei geschlossenen Grenzen und Türen. Weil wir uns noch viel zu sagen haben werden in den nächsten Wochen, Monaten. One-to-one. One-to-many. Viral. Jeder Mensch für sich. Allein in und aus seinem Quarantäne-Raum, seinem Ego-Bunker, seinem Familiennest, seinem Chefbüro, seinem Krankenbett, seiner Polit-Schaltzentrale, seiner Steinzeithöhle des 21. Jahrhunderts.
DAS HOFFNUNGSVOLLE LEUCHTEN DES BILDSCHIRMS
Die wirksamste Abwehr von Covid-19: der eigene, hoffentlich gesunde Menschenverstand.
In diesen Tagen sind gute Nachrichten doppelt willkommen. Hier ist eine: Die Neuen Medien funktionieren als Live-Ticker, Informationsquelle und persönliches Nachrichten-Netzwerk im Fall einer unklaren Bedrohungslage durchaus. Jedenfalls besser als erwartet. Sie zeigen dabei die ganze Bandbreite der Reaktionen auf das Corona-Virus (offiziell: Covid-19) – von epidemischer Angst über sterile Sachlichkeit bis zu demonstrativer Gelassenheit. Letztere nicht selten verbunden mit einer gesunden Portion Ironie. »Ich habe weniger Angst vor dem Virus als davor, was passiert, wenn plötzlich alle zuhause bleiben und den ganzen Tag hier auf Twitter verbringen«, warf ein forscher Politikberater – der sich selbst »Agent Provocateur« nennt – in die Runde.
Tatsächlich ist das Szenario nicht ganz unvorstellbar. Wer nach China blickt oder, weit näher, Italien, für den sind Abriegelungen ganzer Wohnblocks, ja Städte und Provinzen, inzwischen das Denkmodell der Stunde. Trautes Heim, Glück allein (regelmäßiges Händewaschen nicht vergessen)! Österreichs Entscheidungsträgern wird dito nichts anderes einfallen, so entschlossen sie auch in die TV-Kameras blicken. Allein: Zurück bleibt der Eindruck, dass derlei das Virus nicht stoppt. Und es eine beunruhigende Kluft gibt zwischen der gebetsmühlenartig wiederholten Botschaft, Covid-19 sei »harmloser als eine Grippe« und medizinischem Fachpersonal, das in Schutzanzügen durch die Gegend stapft wie in einem Endzeit-Thriller.
Ein weiteres Twitter-Fundstück – ein Video des britischen Daily Telegraph – macht erst recht betroffen: Es zeigt den Gesundheitsminister des Iran, stark schwitzend, bei der Verkündung der offiziellen Botschaft, man hätte »alles im Griff«. Am nächsten Tag bekam der Mann sein persönliches medizinisches Testergebnis: positiv.
Zu Tode gefürchtet ist aber auch gestorben. Die Technik – und ihr Funktionieren – sind in solchen Situationen die Voraussetzung für eine systematische, erfolgversprechende Abwehrreaktion. Stephen Hawking, der britische Astrophysiker, warnte 2017 vor den größten Bedrohungen der Menschheit: Klimawandel, Atomkrieg, genetisch veränderte Viren, Künstliche Intelligenz. Aber grundsätzlicher Pessimismus war Hawking nicht eigen: »Nachdem wir die Nutzung des Feuers entdeckt hatten, haben wir uns ein paar Mal dumm angestellt. Und dann den Feuerlöscher erfunden.« Die größte Gefahr für sich selbst und diesen Planeten sei der Mensch. Aggression als Wesenszug der humanoiden Spezies. Einzig wirksames Gegenrezept: Empathie.
Es ist ein wohl kein Zufall, dass Medien alter und neuer Bauart dieses Aggressionspotenzial – das Angst (oft irrationaler Natur) als Nährboden hat – widerspiegeln, verstärken und potenzieren. Insofern erlaube ich mir, in diesen Tagen Selbstdisziplin anzuraten: Man überlege sich doppelt und dreifach, wie eine Botschaft auf Seite der Empfänger verstanden werden kann (inklusive aller denkbaren Missverständnisse), bevor man auf die »Send«-Taste drückt. Das gilt insbesondere für öffentliche Wortäußerungen. Damit kein Missverständnis entsteht: Alles, was uns zum Lachen bringt, ist ausdrücklich erwünscht.
ENTSCHEIDUNGSFRAGEN
Die Software-Wahl der Stunde ist keine Überlebensfrage. Oder doch?
Der Maschinenraum hält als Metapher Einzug in die Kommunikation der Krisenstäbe. So sprachen diese Woche sowohl Kanzler Kurz wie auch Vizekanzler Kogler davon, das sei der Raum, wo Entscheidungen getroffen würden. Das ist falsch. Wenn man sich schon nautischer Metaphorik bedienen will, dann wäre das die Kommandobrücke.
Im Maschinenraum tun subalterne, dreckverschmierte Gestalten Dienst, sie schaufeln Kohle, bedienen Stellräder und heizen den Kessel. Aber ja, ohne sie wäre auch die Brückenbesatzung mit Kapitänspatent verloren. An schiefen Bildern, unzulässigen Vergleichen und gewagten Gedanken mangelt es dieser Tage wahrlich nicht. Aber wir müssen lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, Wesentliches von Nebensächlichem, Realität von Fiktion. Und das rasch.
Die Entscheidung, ob man weiter auf restriktive (und zunehmend repressive) Maßnahmen gegen eine Pandemie setzt oder, in striktem Gegensatz dazu, rasch wieder die Wirtschaft ankurbelt, statt Desinfektionsmittel Optimismus versprüht und ein vergleichsweise normales Alltagsleben zulässt, ist gerade die Kernfrage. Ich stelle nur eine einzige Frage in den Raum: Kann eine Gesellschaft, in der auf Jahre hinaus biologisch begründetes Misstrauen herrschen wird, überhaupt zu so etwas wie Normalität zurückkehren? Man muss kein Tourismusmanager oder Oberarzt sein, um die Dringlichkeit dieser Frage zu spüren. Kühle Darwinisten würden antworten: Das Verrecken von Millionen Menschen hat uns bis dato auch nicht geschert, die Welt ist, wie sie ist, der Lebens-und Überlebenskampf bis hinein in die kleinsten Wirtschafts-, Kultur-und Privaträume ist unser Schicksal. Aber ich bin kein Darwinist. Und weiß mich als Mensch von einer Bestie zu unterscheiden. So hoffe ich zumindest, und, fatal banal, die Hoffnung stirbt zuletzt. Genug der Herumphilosophiererei im Homeoffice. Gut von Böse zu trennen, ist aber auch hierorts eine Frage, die sich ständig stellt.
Ich