Königin Luise. Gertrude Aretz
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Wenige Tage später, am 13. Januar 1797, starb die 82jährige Witwe Friedrichs des Großen, Elisabeth Christiane. Auch der König Friedrich Wilhelm II. fing in diesem Jahre an zu kränkeln. »Nun komm ich dran«, hatte er zu Bischoffwerder gesagt, als er die Nachricht vom Tod der Königin-Witwe erfuhr. Die Wassersucht machte sich bereits bemerkbar. Der große, starke Mann verfiel sichtlich und mußte die Bäder von Pyrmont aufsuchen. Er reiste ganz offiziell mit der Lichtenau in das damals elegante Modebad ab, während die Königin in dem kleinen bescheidenen Kurort Freienwalde sich aufhielt. Die verwitwete Prinzessin Louis befand sich ebenfalls in der Begleitung des Königs, und einige Wochen später mußte auch das kronprinzliche Paar auf königlichen Befehl nach Pyrmont folgen. Ihnen war inzwischen wieder ein Sohn geboren worden. Am 22. März 1797 hatte Luise dem Prinzen Wilhelm – sein eigentlicher Name war Friedrich Wilhelm Ludwig – das Leben gegeben. Es war der spätere Kaiser Wilhelm I.
In Pyrmont verlebten sie sehr qualvolle Tage. Aber sie hatten sich der Einladung des Königs doch nicht entziehen können. Die Lichtenau hielt dort förmlich Hof und wurde von den anwesenden Reichsfürsten – es waren mehr als zwanzig – mit allen Ehren ausgezeichnet. Auch der Kämmerer Ritz, des Königs Günstling und die niedrigste Kreatur in der Umgebung Friedrich Wilhelms II., wurde sehr ausgezeichnet und gefeiert. Luise sah das alles mit betrübtem Herzen, und doch vermochte weder sie noch ihr Mann etwas gegen des Königs Willen. Kurz vorher hatte man sie gezwungen, der Vorstellung der Mätresse bei Hofe beizuwohnen, worüber der Erzieher des Sohnes der Lichtenau, Dampmartin, berichtet: »Die Königin, der Kronprinz und seine Gemahlin, sowie die anderen königlichen Prinzen und Prinzessinnen bebten vor Ingrimm über den sie erniedrigenden Zwang, sich bei einer Frau als Gäste zu sehen, deren bloße Nähe sie schon aufs tiefste verletzte ... Der Kronprinz konnte seine heftige Gemütsbewegung nicht verbergen, er warf verstohlene Blicke bald der zärtlich geliebten Mutter, bald seiner angebeteten Gemahlin zu, als könne er nicht begreifen, wie es möglich sei, sich mit ihnen in den prächtigen Gemächern der Mätresse seines Vaters zu befinden. Nichts hätte mehr seine beiden vorherrschenden Charaktereigenschaften in Harnisch bringen können: Sparsamkeit und Anständigkeit. Jung, aufrichtig, dabei ein wenig ungesellig, war es ihm unmöglich, seinen Ärger zu verbergen. Die strahlend schöne Kronprinzessin schien zurückhaltend und durch die Aufregung ihres Gatten etwas geängstigt zu sein. Prinzessin Friederike, ihre Schwester, hatte zum erstenmal ihre Trauerkleider als junge Witwe abgelegt und glänzte durch Anmut ... Alle Prinzen und Prinzessinnen konnten ihren Ärger und ihre Verlegenheit nicht verbergen.« – Glücklicherweise gingen auch diese peinvollen Tage bald vorüber.
Kurz nach ihrer Rückkehr aus Pyrmont, wo der alte König eine gewisse Erleichterung seines Leidens gefunden hatte, bezogen Luise und Friedrich Wilhelm Paretz an der Havel, ein sehr einfaches, ganz nach ihrem Geschmack eingerichtetes Schloß, das ihnen der König geschenkt hatte. Von Prunk war darin nichts zu sehen: keine seidenen Möbel, keine kostbaren Teppiche und kein silbernes oder goldenes Tafelgerät. Alles war sehr ländlich und einfach. Äußerlich machte es eigentlich keinen schönen Eindruck, aber Luise fühlte sich hier von allen ihren Schlössern und Landsitzen am wohlsten, weil sie nach ihrem Sinn leben konnte. Hier ruhte sie sich aus, wenn sie in den Zeiten des Glücks allzu viele Gesellschaften in Berlin vertanzt hatte, oder später, wenn die Sorgen und das Unglück allzu stark auf sie einstürmten. Dann war ihr die Einsamkeit in Paretz Bedürfnis. »Ich muß«, sagte sie, »den Saiten meines Gemüts jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, muß sie dadurch gleichsam von neuem aufziehen, damit sie den rechten Klang behalten. Am besten gelingt mir das in der Einsamkeit; aber nicht im Zimmer, sondern in dem stillen Schatten der schönen, freien Natur.« Leider konnte sie dieses Glück nicht lange genießen, denn es vergingen kaum zwei Wochen, und schon riefen die Ereignisse sie wieder nach Berlin.
Mit dem sorglosen Familien- und Landleben des Kronprinzenpaares war es zu Ende. Friedrich Wilhelm II. lag im Sterben. Seine Brustwassersucht verursachte ihm unsägliche Leiden, und man erwartete täglich die Katastrophe.
Auch in dieser Zeit mußte Luise viel Unschönes sehen und viel Schmerzliches erleben. Der alte König war in der letzten Zeit mit der Gräfin Lichtenau ins Marmorpalais in Potsdam übergesiedelt, während seine Gemahlin, die Königin, in Berlin wohnte. Die Gräfin Lichtenau und ihre Freunde hätten es gar zu gern gesehen, daß er die Krone niederlegte. Sie wollten dann mit ihm nach Italien übersiedeln, aber der Kronprinz sträubte sich energisch gegen die Abdankung seines Vaters. Der sterbende König befand sich ganz in den Händen seiner Freundin. In der letzten Zeit empfing er niemand als die intimen Freunde der Ritz und eine Unmenge französischer Emigranten, die sie ebenfalls bei ihm eingeführt hatte. Sogar seine Kinder, der Kronprinz und seine Gattin, mußten erst bei der Lichtenau oder bei dem Kammerdiener Ritz anfragen, ob sie den kranken König besuchen dürften. Nicht immer wurden sie vorgelassen. Er saß meist mit seinen von der Wassersucht geschwollenen Füßen in Decken und Kissen gehüllt, beim Scheine abgeblendeter Kerzen, die in Alabastervasen steckten, in seinem Zimmer. Die unsteten Augen des Todkranken irrten von einem Gegenstand zum andern und lagen tief in den Höhlen des bleichen, abgezehrten Gesichts. Er bekam keine Luft und konnte kaum mehr sprechen. An seiner Seite saßen die Gräfin Lichtenau und die junge Marquise von Nadaillac, die den König unterhalten mußte, während Madame Ritz ihn streichelte. Im Zimmer spielten und lärmten die beiden Kinder der Dönhoff, was einen Vorleser nicht abhielt, dem König ein Lustspiel von Molière vorzulesen, das ihn erheitern sollte.
Bezeichnend für die damalige Zeit ist, daß alle möglichen Scharlatane und Quacksalber an den Hof Friedrich Wilhelms II. gezogen wurden. Sie versuchten nicht nur ihre Wunderkuren an ihm, sondern führten auch alle möglichen Geisterbeschwörungen und chemische Experimente vor ihm aus. Die Rosenkreuzler bestärkten ihn in der Neigung zum Mystischen. Er hatte sich mit seiner ganzen Familie verfeindet, die er als Freigeister und Atheisten bezeichnete. Erst die Krankheit seiner Söhne hatte ihn wieder seinen Angehörigen etwas näher gebracht. Aber trotzdem war der Einfluß der Quacksalber noch sehr groß auf ihn, zumal die Gräfin Lichtenau und Bischoffwerder ihn darin bestärkten.
Einer von diesen Leuten, der Bergrat Clemens, riet dem kranken König, die Ausdünstung ungeborener Kälber einzuatmen. Die Ritz ließ sofort von den Gedärmen solcher Kälber Kissen machen, und darauf mußte der alte König sich legen. Magnetiseure, Scharlatane und Ärzte wechselten in der Behandlung des Kranken ab, und alle mußten sich an die allmächtige Freundin oder an den ebenso gewaltigen Ritz wenden, um bis zum König zu gelangen. Sein Zustand verschlimmerte sich bei derartigen Heilmethoden natürlich immer mehr. Er war schließlich so schwach und mit den Nerven herunter, daß ihn eines Tages der Knall eines Sektpfropfens dermaßen erschreckte, daß er ohnmächtig in sein Zimmer getragen werden mußte.
Es ging zu Ende mit ihm. Am 15. November 1797 nahm er Abschied von seiner Familie in Gegenwart der Lichtenau. Er konnte kaum sprechen und war dem Ersticken nahe. Die gutmütige Königin fiel der Mätresse ihres Mannes weinend um den Hals und dankte ihr für die aufopfernde Pflege während seiner Krankheit. Aber der Kronprinz stand finster dabei und sah die Lichtenau nur verächtlich an. Darüber wurde der Kranke so böse, daß er niemand mehr von seiner Familie sehen wollte, und so durfte auch die Kronprinzessin Luise nicht mehr zu ihm. Die Lichtenau und Ritz verweigerten allen den Eintritt.
Friedrich Wilhelm II. erlag erst nach langem, qualvollem Todeskampf seinen Leiden. Er starb