Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer

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Wo sind sie geblieben - F. John-Ferrer

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stellt sich hinter das MG, nimmt die darüberliegende Zeltbahn weg und legt sie ohne Hast zusammen. Hajek steht daneben und späht angestrengt ins Vorfeld hinaus, das vom Feindlicht erhellt wird.

      »Was die bloß vorhaben«, murmelt er. »Ich fress ’n Besen, dass sich da was zusammenbraut.«

      Das Signallicht verlöscht. Die Dunkelheit gähnt wieder. Brennende Augen starren den grasigen Hang hinunter, der in Sumpf und dunkle Baumgruppen übergeht. Nichts regt sich. Auch die die feindliche Artillerie schweigt. Der Feind ist immer dann am gefährlichsten, wenn er schweigt. Hajek lehnt neben dem schussbereiten MG und sagt plötzlich: »Ich werde mal mit Warnicke reden, Hermann. Kann sein, dass ich ihn rumkriege. Du warst wann zuletzt daheim?«

      »Januar.«

      »Also vor knapp zehn Monaten«, murmelt Hajek.

      »Du willst es wirklich probieren?«, fragt Klotz. Seine Stimme klingt heiser vor Freude, denn er weiß, dass Hajek beim Alten eine gute Nummer ist. Was Hajek sagt, gilt etwas.

      »Ich werde es jedenfalls mal probieren«, sagt Hajek.

      Klotz tastet nach Hajeks Hand und drückt sie dankbar. »Mensch, wenn dir das gelingt, Hermann … wenn du wirklich ein paar Tage Urlaub für mich rausschinden könntest, dann …«

      »… tät’s mich selber wundern«, nimmt Hajek ihm das Wort vom Mund, klopft ihm auf die Schulter und schiebt sich aus dem MG-Stand. Das schmatzende Geräusch der sich im Schlamm entfernenden Schritte verliert sich in der Dunkelheit.

      Klotz lehnt sich an den MG-Tisch und ist plötzlich hoffnungsfroh gestimmt; er möchte am liebsten singen, aber das lässt man besser bleiben.

      Ein feiner Mensch, dieser Hajek, denkt er. Wenn er es schafft, dass ich heimfahren kann, werde ich es ihm nie vergessen. Ich werde Elsa sagen, dass wir den Jungen »Martin« taufen werden. Martin Klotz! Hm … klingt nicht schlecht. Elsa wird damit einverstanden sein.

      Die Dämmerung hat sich in ein nasskaltes Dunkel verwandelt. Das ist die Zeit, in der es drüben in der Stadt zu rumoren anfängt. Verhalten nur, gedämpft. Irgendwo zwischen den Trümmern murrt ein Motor.

      Die Russen haben ihr Störfeuer eingestellt, aber es kann jeden Augenblick wieder einsetzen.

      Von der Ziegelei weg führt ein Trampelpfad zum Stadtrand. Es ist der Verbindungsweg zwischen den bei der Ziegelei liegenden Kompaniezügen und dem Kompaniegefechtsstand. Der Kompaniegefechtsstand ist in einem von MG-Garben und Granatsplittern zerhackten Haus untergebracht. Es kauert zwischen Ruinen und ausgebrannten Häusern. Die Haustür hängt schief in den Angeln, die Fensterlöcher sind mit Zeltbahnen verhängt. Neben dem Hauseingang steht ein langer Schatten, der manchmal hustet und ausspuckt.

      Grenadier Otto Friemelt vom Nachrichtenzug ist heute zur Wache eingeteilt und steht seine zwei Stunden ab. Als in der Dunkelheit Schritte laut werden und aus dem Trümmerfeld herankommen, lässt er den Karabiner von der Schulter rutschen.

      »Halt! Parole?«

      »Sommernachtstraum«, erwidert eine bekannte Stimme.

      »Ach, Sie sind’s, Herr Feldwebel«, sagt Friemelt und schultert den Karabiner.

      »Ist der Leutnant da?«, fragt Hajek.

      »Jawohl. Er hat sich hingelegt und schläft.«

      »Wieder voll?«

      »Nicht zu knapp«, sagt Friemelt. »Hat ’n Kochgeschirr voll Kartoffelschnaps getrunken.«

      Leutnant Albert Warnicke, sechsundzwanzig Jahre alt, Sohn des Studienrats Alexander Warnicke, trinkt.

      Er trinkt, seit er seinen Bruder, den Hauptmann Egon Warnicke, bei Charkow verlor. Hauptmann Warnicke fiel bei einem Stoßtruppunternehmen Partisanen in die Hände. Man fand ihn und ein paar seiner Leute als massakrierte, zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen. Und seither trinkt Leutnant Warnicke. Alle drei Wochen passiert es, dass er die Landser um Schnaps angeht oder verlangt, ihm welchen zu beschaffen. Ein hohlwangiges Gespenst läuft dann umher, mit dem man nicht reden darf. Dann übernimmt der Kompaniespieß Wastl Wohler die Befehlsgewalt und überlässt den Leutnant sich selber.

      Hat Leutnant Albert Warnicke, im Juni 1943 mit dem Ritterkreuz dekoriert, die Flasche Kognak oder das Kochgeschirr voll Kartoffelschnaps ausgetrunken, sich hingelegt und genau zwei Stunden geschlafen, dann steht ein neuer Warnicke auf: straff, sicher, soldatisch. Er ist das, was man im Kameradenkreis ein »armes Schwein« und einen »feinen Kerl« nennt. Jeder weiß, warum er zum Quartalstrinker geworden ist, und jeder versucht, ihm dann das Betäubungsmittel zu beschaffen. Das Ritterkreuz erhielt er, als er während der Kämpfe im Donezraum mit seiner Kompanie einen Stützpunkt hielt und somit die Absetzbewegungen der ganzen Division ermöglichte. Über hundert Tote lagen vor den Stellungen, elf verkohlte Sowjetpanzer; die Höhe, die er tagelang hielt, räumte er erst als der Befehl dazu kam.

      Im Gefechtsstand brennt ein Hindenburglicht auf dem wackeligen Tisch. Höhn, der Funker, bastelt eine neue Batterie in das Gerät, die beiden Melder liegen in der Ecke auf muffigem Stroh und schlafen. Am Tisch sitzt Spieß Wastl Wohler, ein bulliger Bayer, und schreibt eine Liste.

      In der hintersten Ecke des trüb erhellten Raumes liegt eine Gestalt auf dem Feldbett und schnarcht. Der Raum riecht nach Spiritus oder so etwas Ähnlichem.

      Als Hajek hereinkommt, schaut Wastl Wohler auf, grinst und sagt halblaut: »Servus, Martin. Was gibt’s?«

      Hajek wirft einen Blick zu dem Feldbett, sieht Wohler an, vollführt stumm die Geste des Trinkens, worauf Wohler nickt.

      »Wie schaut’s bei euch aus?«, fragt Wohler gedämpft. »Vorläufig herrscht noch Pause«, erwidert Hajek und setzt sich auf eine Kiste. Er deutet mit dem Kopf in Richtung des schnarchenden Kompaniechefs: »Wollte mit ihm was bereden, aber das wird wohl noch ’ne Weile dauern, wie?«

      Wohler schaut auf die Armbanduhr. »Er wird bald aufwachen. Schläft jetzt schon fast zwei Stunden.«

      »Nachrichten eingetroffen?«, fragt Hajek.

      »Ja. Das zweite Bataillon meldet verstärkte Feindtätigkeit. Bei der Furt sind Übersetzversuche abgeschlagen worden. Der Iwan macht sich wieder mausig.« Wohler grinst stoppelbärtig. »Es kommt mir vor, als gäbe es in den nächsten Tagen wieder eine Mordsschweinerei.«

      Einer der beiden schlafenden Melder lallt etwas im Traum und dreht sich auf die andere Seite. Höhn klappert mit seinem Gerät, worauf Wohler »Psssst …« zischelt.

      »Du, Urlaubsmöglichkeiten gibt es wohl keine?«, fängt Hajek nach einer Weile an.

      »Du spinnst wohl!«, erwidert Wohler. »Oder wolltest etwa du selber …?«

      »Ich nicht, nein!« Hajek schüttelt den Kopf und holt das Päckchen Feinschnitt und das Zigarettenpapier unter dem nassen, lehmverschmierten Mantel hervor. »Klotz hat von daheim Nachricht gekriegt. Er ist Vater geworden. Ein Junge ist es. Acht Pfund und hundertzwanzig Gramm schwer.«

      Der Spieß verzieht sein rundes Holzschnittgesicht. »Respekt«, grinst er. »Acht Pfund sind ein schönes Gewicht. Als ich zur Welt gekommen bin, hab ich bloß sechs Pfund gewogen.«

      In diesem Augenblick ertönt ein hohles Rauschen. Fast gleichzeitig wummst es, und dann ein fürcherlicher Knall, ein Luftstoß löscht das Licht. Dreck rieselt

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