Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer

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Wo sind sie geblieben - F. John-Ferrer

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riecht nach Pulvergestank und Staub. Irgendwo prasselt etwas, als würfe man eine Handvoll Kies gegen die Hauswand.

      Dann folgt Stille.

      »Hallo!«, ertönt eine heisere Stimme. »Hallo, Jungs, ist was passiert?«

      »Nix passiert, Herr Leutnant«, sagt Wastl Wohlers tiefes Organ.

      Ein Streichholz flammt auf. Staub wirbelt im kargen Lichtschimmer. Der Funker zündet das Hindenburglicht wieder an und geht dann hinaus. Vor dem Feldbett steht eine lange, hagere Gestalt im zerknitterten Mantel, einen grauen Wollschal um den Hals gewürgt. Aus einem knochigen, stoppelbärtigen Gesicht schauen ein Paar helle, auffallend klare Augen. Vor zwei Stunden stierten sie noch. Jetzt sind diese Augen wach. Sie schauen unter dichten, schwarzen Brauen hervor.

      »Liegt was Besonderes vor, Wohler?«, fragt Warnicke und geht zu dem winzigen Holzkohlenofen, den der Funker Höhn aus einem Marmeladeneimer gebastelt hat, und hält die knochigen Hände darüber.

      »Nichts Neues, Herr Leutnant«, sagt Wastl Wohler.

      An der Tür ertönt Gepolter. Der Funker Höhn kommt herein, klappt lasch die Hacken zusammen und meldet, dass die Granate schräg gegenüber in die Trümmer eingeschlagen habe. Mit einem kurzen Blick auf den Leutnant geht Höhn in die Ecke, wo ein zweiter Tisch steht, und gießt Tee in einen Trinkbecher.

      »Bitte, Herr Leutnant«, sagt der Funker freundlich.

      Warnicke nimmt den Trinkbecher, murmelt ein »danke« und schüttet den kalten, dünnen Tee in sich hinein.

      »Aaaah …« macht er dann und wischt sich mit dem Handrücken über den stoppelbärtigen Mund.

      Warnicke scheint erst jetzt Hajek zu bemerken. Er nickt ihm zu und sagt:

      »Ach, Sie sind ja da, Hajek. Was ist los bei euch drüben?«

      Hajek steht auf. »Nichts Ungewöhnliches, Herr Leutnant.«

      Der Leutnant reibt sich die Hände und starrt in die Glut des kleinen Holzkohlenfeuers.

      Soll Hajek jetzt von Urlaub reden? Ist Warnicke schon so weit, dass man mit ihm reden kann und dass er begreift, worum es geht? Hajek wirft einen fragenden Blick auf den Spieß. Dieser nickt ihm aufmunternd zu.

      »Herr Leutnant«, sagt Hajek ohne Schwung.

      Warnicke blickt schief herüber. »Na …? Was ist?«, fragt er und grinst.

      Hajek gibt sich einen Ruck. »Der Klotz ist Vater geworden, Herr Leutnant. Das erste Kind. Seine Frau schreibt, sie will mit der Taufe warten –«

      Schweigen.

      Einer der beiden Melder richtet sich auf und reibt sich die Augen. Leutnant Warnicke starrt in die Glut und reibt sich noch immer die langen Hände.

      »Ich bin dafür, dass wir den Klotz für ein paar Tage heimschicken, Herr Leutnant. Ich befürworte den Sonderurlaub. Klotz … ich meine, man sollte bei ihm eine Ausnahme machen.«

      »Hm …« Mehr antwortet Warnicke nicht. Dann lässt er die vorgestreckten Hände sinken, knöpft den zerknitterten Mantel auf. Am Hals funkelt etwas, halb verdeckt von dem langen grauen Schal. Noch bevor Hajek etwas erwidert, rasselt das Feldtelefon. Höhn nimmt den Hörer ab und meldet sich unter dem Decknamen der Zwoten. »Jawohl«, murmelt er, und legt den Hörer wieder hin. »Ein Melder zum Bataillon«, sagt er dann. Und sich zu den beiden im Stroh liegenden Leuten umdrehend: »Max, mach dich auf die Socken zum Bataillon!«

      Der Landser rappelt sich hoch und legt die graue Decke zusammen. Leutnant Warnicke hat eine Weile in die Glut des Holzkohlenofens gestarrt, ist sich einmal mit der Hand übers Gesicht gefahren. Jetzt sagt er entschlossen zum Spieß:

      »Wohler, machen Sie die Urlaubspapiere für den Klotz fertig. Vom fünfzehnten elften bis siebten zwölften. Sonderurlaub. Grund: Regelung wichtiger Familienangelegenheiten. Ich unterschreibe dann gleich.«

      Wohler grinst, und Hajek geht zu Leutnant Warnicke, haut die Hacken zusammen und sagt:

      »Danke, Herr Leutnant. Im Namen meines Kameraden Klotz!«

      »Schon gut«, murrt Warnicke, geht zur Wand, nimmt den Stahlhelm und das Pistolenkoppel vom Nagel, schnallt um, stülpt den Stahlhelm auf das kurzgeschorene, bürstenartige Haar und verlässt den Gefechtsstand mit der gemurmelten Bemerkung: »Ich bin beim ersten Zug.«

      Die lange Gestalt geht gebückt aus dem Raum. Man hört draußen Stimmen. Friemelt meldet etwas, dann wird es wieder still.

      »Feiner Kerl«, sagt Hajek. »Hätte nie gedacht, dass er den Klotz weglässt.«

      »Es geschehen halt noch Zeichen und Wunder, mein lieber Freund«, erwidert Wastl Wohler. »Du kannst dem Klotz sagen, dass er morgen früh abhauen kann.«

      Hajek nickt, wirft die selbstgedrehte Zigarette in den Holzkohlenofen und verlässt den Gefechtsstand.

      Die Nacht ist still. Kein Schuss fällt. Weit in der Ferne, nordöstlich von Tscherkassy, rumort die Symphonie des Todes, grollt die Kriegsfurie.

      Es nieselt, und die Dunkelheit ist kalt und feucht. Friemelt, der Posten, lehnt neben dem Hauseingang und fragt Hajek, wie spät es ist.

      Hajek sagt ihm die Uhrzeit.

      »Danke, Herr Feldwebel«, erwidert Friemelt. »Das ist vielleicht ein Mistwetter, wie? Die Stunden ziehen sich wie Kaugummi.«

      »Mach’s gut«, sagt Hajek.

      »Wünsche angenehme Nachtruhe, Herr Feld«, erwidert Friemelt.

      Hajek schlägt den Trampelpfad zur Ziegelei ein. Unterwegs denkt er an den Leutnant. Das ist ein Mensch, oh ja! Ein prima Kerl! Da weiß man immer, wofür man da ist, und warum man sich mit Leib und Seele einsetzt! Nicht nur fürs sogenannte Vaterland, nicht nur für die daheim! Für den, der neben dir geht – für so einen, wie Warnicke es ist! Hut ab vor Warnicke!

      Hajek stolpert über ein Hindernis und flucht halblaut. Als er das Gleichgewicht gefunden hat, ist es ihm, als patsche irgendwo geradeaus, in Richtung der Ziegelei, ein Schuss.

      Hajek stapft durch den Dreck zur Ziegelei zurück, vorbei an der Stelle, die von drüben eingesehen wird. Jetzt, im Dunkeln, kann man sie gefahrlos passieren.

      Es ist so dunkel, dass man kaum die Hand vor den Augen sieht. Und ein Sauwetter! Brrr. …!

      Hajek denkt an seine Männer, die draußen liegen. Im offenen Graben! Im Dreckloch!

      Hermann wird sich vor Freude überschlagen, denkt er. Der Glückliche! Morgen kann er abhauen! Fort aus dieser Hölle! Heim! – Wann war denn ich das letzte Mal daheim? überlegt er. Es ist auch schon wieder fast ein Jahr her … als ich den Beinschuss erhielt! Wenn es nur immer bei einem Beinschuss bliebe! Aber meistens kommt es schlimmer!

      Die Umrisse der Ziegelei tauchen auf. Der abgeschossene Schornsteinstummel ragt wie ein schwarzer Riesenfinger zum Himmel; und dieser Himmel ist finster und vergießt Nässe.

      Ich werde Hermann meine aufgesparte Schnapsration mitgeben, denkt Hajek, als er auf die Ziegelei zustolpert. Für die Taufe! Ja, für die Taufe! Oder soll ich das Püllchen lieber

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