Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer

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Wo sind sie geblieben - F. John-Ferrer

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Buschgruppe erscheint.

      Hajek weiß, dass der Feind ganz in der Nähe ist; er spürt ihn geradezu, er wittert ihn.

      Zum Busch hin, denkt Hajek und legt das letzte Stück im Schneckentempo zurück. Unheimlich langsam. Dann hat er die Buschgruppe erreicht.

      Er lauscht.

      Er vernimmt jetzt ein verhaltenes Hüsteln, das in ein krampfhaft unterdrücktes Husten übergehen will. Der Russe scheint sich verkühlt zu haben. Nun ja, bei dem Sauwetter! Auch Russen kann so etwas passieren.

      Der da hüstelt, hat bestimmt schon oft Schießerfolge gehabt. Vorhin den Hermann, unlängst den Schorsch Blenk und vielleicht sogar auch den Alfred Rangel.

      Hajek nimmt zwei Handgranaten aus der Tasche, zögert einen Augenblick, zieht die erste mit den Zähnen ab, zählt in Gedanken langsam bis drei und wirft. Gleich darauf die zweite. Er schnellt hoch, krümmt den Finger und schießt Dauerfeuer durch das Buschwerk. Er schwenkt die MPi hin und her. Er hört das Krachen der beiden Explosionen. Sieht die beiden Blitze.

      Jetzt springt er vor und stürzt in Richtung des Pulvergestankes.

      Die Leute in den Stellungen haben die Detonation und das Rattern der Maschinenpistole gehört.

      Ebner hält das MG schussbereit und schreit: »Jetzt hat er ihn! Er hat ihn, Max!«

      Feldwebel Hajek hat den Scharfschützen. Er liegt vor ihm. Eine zweite Gestalt, die ein paar Meter entfernt liegt, richtet sich jetzt auf und rennt davon. Mit ein paar Sätzen ist Hajek bei dem Russen und schlägt ihm die leer geschossene MPi über den Kopf. Der Russe bricht zusammen.

      Hajek stürzt sich über ihn, packt ihn, reißt ihn hoch und beutelt ihn wie irr.

      »Du Schuft!«, brüllt er. »Du gemeines Schwein!« Hajek ist wie von Sinnen. Er weiß nicht, was er tut. Die Gestalt in seinen Fäusten gibt keinen Laut von sich. Schwankt hin und her. Ein weißvermummter Kopf wackelt haltlos nach beiden Seiten, nach hinten und vorn.

      Da stößt Hajek den Russen weg. Der Russe fällt aufs Gesicht, erhebt sich langsam, nimmt die Arme halb hoch und lallt:

      »Kamerad … Kamerad …«

      Hajek schüttelt den Bann ab, geht auf den Russen zu, versetzt ihm Püffe und Stöße und treibt ihn zu den Stellungen hinauf, laut kommandierend: »Marsch! Vorwärts! Dawai, dawai!« Und der Russe stolpert voran, fällt hin, rappelt sich wieder hoch und wankt weiter, mit einer Hand seinen Hinterkopf haltend, den anderen Arm ergeben hochhaltend.

      Sie kommen an dem Toten vorbei, der im Schnee zwischen zwei dunklen Flecken liegt. Hajek hebt zwei Gewehre auf. Der Russe geht von allein weiter, mit weichen Knien, taumelnd.

      Eine Viertelstunde später ist Hajek wieder in der Ziegelei. Warnicke ist da. Er sagt kein Wort, er schaut nur den Russen an, der taumelnd im Lichtschein der Stalllaterne steht und sich aufrecht zu halten versucht. Es ist ein junger Kerl mit einem gut geschnittenen Gesicht, aus dessen Mundwinkel ein dünnes Blutrinnsal tropft.

      Der Russe bewegt die Lippen.

      »Mama … oh Mama«, stammelt er, und dann sinkt er zusammen.

      Hajek steht mit hängenden Armen da, völlig durchnässt, schmutzig; er atmet schwer. Wie gemein das alles ist, denkt er. Wie gemein! Warum ist dieser Krieg bloß so gemein?

      In diesem Augenblick empfindet Martin Hajek keinen Grimm für den geschlagenen Gegner. Ein Gefühl von Leere ist in ihm. Er lässt den Kopf sinken.

      »Bringt den Kerl zum Gefechtsstand«, hört er Warnickes heisere Stimme.

      Zwei Landser treiben den Russen hoch, packen ihn und schubsen ihn hinaus. Die anderen stehen im Lichtkreis der Stalllaterne und besichtigen die beiden Beutegewehre.

      Warnicke geht zu Hajek und rüttelt ihm die Schulter.

      »War ’ne riskante Sache«, sagt er. »Schwein gehabt, wie?«

      »Ja«, murmelt Hajek. »Wieder mal Schwein gehabt.«

      Die beiden Männer sehen sich stumm an. Warnicke nickt unmerklich, etwas wie ein Lächeln huscht über sein knochiges Gesicht, dann murmelt er:

      »Will mir alles noch überlegen, Hajek. Sie wissen, was?«

      »Jawohl«, murmelt Hajek.

      Leutnant Warnicke verlässt den Ofenraum und schlingt den grauen Wollschal um den Hals.

      Am 15. November gelingt es den Sowjets, nördlich von Tscherkassy den Flussübergang zu erzwingen und das Grenadier-Bataillon in Richtung der Bahnlinie zurückzuwerfen. Der Flussübergang bringt den roten Sturmtruppen empfindliche Verluste, denn die Deutschen weichen erst nach verbissenem Widerstand.

      Dieser Feinddurchbruch bedroht die linke Flanke des Grenadier-Regiments Grätz. Wenn es nicht gelingt, die Russen zurückzuwerfen, ist Tscherkassy nicht mehr zu halten.

      Man zieht daher eine Batterie 15-cm-Feldhaubitzen ab und schickt sie an die Bahnlinie. Ein Zug Infanteriegeschütze muss, so schwer es auch fällt, aus der Verteidigungslinie herausgezogen und ebenfalls zur Einbruchstelle abkommandiert werden.

      Östlich der Stadt – jenseits des Dnjepr – drängt der Feind mit schweren Waffen heran und versucht, den Flussübergang zu erzwingen. Aber die am östlichen Stadtrand liegenden Verteidiger verhindern jeden Übersetzversuch. Dreimal setzt der Russe zu einem Gewaltstreich an, dreimal wird er blutig zurückgeschlagen. Die sowjetischen Sturmboote, in denen sich die Sturmtruppen ducken, werden durch schweres Granatwerferfeuer und im Direktbeschuss mit Pak und Maschinengewehrgarben zerlöchert. Die Schreie der Getroffenen und in den kalten Wellen mit dem Tode Ringenden geht im rasenden Gehämmer der Kleinwaffen unter.

      Nach diesem Übersetzversuch schicken die Sowjets Flugzeuge und decken den Trümmerhaufen Tscherkassy mit Bombenteppichen zu. Es ist, als würde die gemarterte Stadt immer wieder mit einem riesigen Spaten umgegraben – von unten nach oben. Von oben nach unten. Die Toten in der Erde finden keine Ruhe, die Lebenden erwarten den Tod.

      Es ist die Hölle.

      Kaum, dass die Bomber abgeflogen sind, setzt wieder schweres Artilleriefeuer ein. Im Gefechtsstand der 2. Kompanie rasselt das Feldtelefon. Leutnant Warnicke, seit einigen Tagen vollkommen nüchtern und mit seiner gelichteten Kompanie aufs engste verbunden, nimmt den Bataillonsbefehl entgegen: »Alte Stellung sofort räumen und neue Verteidigungslinie nordwärts der Bahnlinie beziehen.«

      Eine Dreiviertelstunde später rückt die nur noch aus einundachtzig Mann bestehende Kompanie ab.

      Es schneit, es ist bitter kalt. Mit hängenden Köpfen trotten die Landser in loser Marschordnung Richtung Bahnlinie. Niemand spricht. Gleichgültig geworden, abgestumpft gegen Not und Tod, in zerlöchertem Schuhwerk, in steif gefrorenen Mänteln, schwer beladen mit Munition und Handfeuerwaffen – so schlurft die Kompanie nach Norden. Zur Bahnlinie Tscherkassy–Smjela.

      Aus dem Matschwetter ist Frostwetter geworden. Der Schnee ist zu einer harten Decke gefroren, auf der jeder Schritt dumpf poltert. Ein bitterkalter Wind bläst durch die Kleider bis auf die Haut. Die Gesichter der Landser sind blaugefroren, stoppelbärtig, seit Wochen nicht mehr gewaschen.

      Die zugewiesene Verteidigungslinie

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