Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer
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Читать онлайн книгу Wo sind sie geblieben - F. John-Ferrer страница 6
Die Landser reagieren nicht. Sie wissen, was in Hajek vorgeht; er war mit Klotz sehr gut befreundet. Was Hajek jetzt vorhat – nun, davon kann ihn niemand zurückhalten. Auch Warnicke nicht.
»Herr Feldwebel«, sagt einer, »es schneit jetzt.«
Hajek nickt, zerrt das schmutzig-weiße Tarnhemd hervor und zieht es über; dann nimmt er vier Eierhandgranaten aus der Kiste und steckt sie ein, geht zur Wand, an der eine russische MPi hängt, schiebt ein Magazin ein und lädt durch. Der Sicherungsvorgang knackt wie ein Schuss durch die Stille.
»Jungs«, sagt Hajek, am Ausgang stehend und jeden ansehend, »ich hab’s dem Hermann versprochen. Ihr wisst es doch, oder …?«
»Ja, wir haben es gehört«, sagt Epel. »Kommen Sie gut zurück, Herr Feldwebel.«
»Obergefreiter Ebner!«
»Hier«, meldet sich die untersetzte Gestalt des Oberschnäpsers und nimmt, was er sonst selten tut, militärische Haltung an.
»Sie übernehmen während meiner Abwesenheit den Zug.«
»Geht in Ordnung, Herr Feldwebel.«
»Komm mit«, murmelt Hajek und geht hinaus.
Der Obergefreite folgt ihm wortlos.
Nichts rührt sich draußen. Es schneit dünn. Die Flocken fallen in ihre Gesichter und werden zu Wasser.
Mit raschen Schritten gehen sie zum MG-Stand, zwängen sich durch den schmalen Zugang, tappen die drei Erdstufen hinunter und treten an die Schießscharte.
Lange starrt Hajek in das dunkle Vorfeld hinaus, in dem sich nichts rührt. Ganz weit drüben, auf der anderen Seite des Flusses, steigt eine gelbliche Leuchtkugel hoch, bleibt ein paar Augenblicke in der Luft hängen und verlischt dann.
»Ebner, notfalls gibst du mir Feuerschutz«, sagt Hajek ruhig und nestelt an dem Tarnhemd, hängt sich die russische MPi um den Hals und schnallt den Stahlhelmriemen fester unterm Kinn.
»Jawohl«, antwortet der Obergefreite. »Aber was soll ich dem Leutnant sagen, wenn er …«
Hajek schneidet mit der Hand durch die Luft. »Ich muss den Kerl kriegen«, murmelt er. Dann huscht ein mattes Grinsen über sein Gesicht. »Du kannst Warnicke sagen, dass er gegen mich einen Tatbericht schreiben soll. Gehorsamsverweigerung oder so … Mir Wurscht, was er macht.« Er tritt noch einmal an die Schießscharte und späht hinaus ins Dunkel. »Bei der Bachmulde«, murmelt er und dreht sich um, nickt den beiden Landsern zu und verlässt den MG-Bunker.
»Alles Gute, Herr Feld!«, ruft ihm einer der Landser nach.
Ebner tritt zum MG, prüft den eingelegten Gurt und klappt den Verschlussdeckel leise zu.
Der andere steht da und starrt auf die Blutlache am Erdboden. »Wir müssen das wegwischen«, sagt er mehr zu sich selber und scharrt mit, dem Fuß den dunklen Fleck in die Breite.
Ebner schaut sich um. »Streu Erde drauf.«
Hajek hat sich über den aufgeworfenen Erdwall abgerollt und liegt jetzt still. Er hält den Atem an. Hört aber nur dumpfes Sprechen, das aus der Erde zu kommen scheint. Es sind die Kameraden in den Bunkern, die leise miteinander reden.
Das Gelände senkt sich dem Fluss zu, wird etwa zweihundert Meter weiter unten flach und geht in buschbewachsenes Moorland über. Niedrige Bodenwellen erstrecken sich bis zum Dnjepr, und ein Bach durchzieht das Gelände von Ost nach West. Büsche und Bäume wachsen verstreut, aber augenblicklich ist nichts weiter zu sehen als eine weiße Fläche, die sich sanft neigt.
Hajek spürt nicht die Nässe, die seine Kleider ansaugt, spürt nicht die klamme Kälte der Nacht. Er liegt noch immer reglos und spannt die Sinne an.
In der Nähe des Bachlaufes muss er liegen, denkt er, ohne dass seine Nerven beben. Der alte, erprobte Kämpfer ist in ihm erwacht. Dass er sein Leben aufs Spiel setzen will, kommt ihm nicht eine Sekunde lang zu Bewusstsein.
Er schiebt sich auf den Ellenbogen und Zehenspitzen weiter, den Leib gespannt wie eine Stahlfeder. Der Neuschnee ist wässerig und verursacht beim Gleiten ein leises Schmatzen. Aber der Wind, der von Osten weht, hat die stärkere Stimme: Er winselt und jammert in der Dunkelheit.
Die Flachstelle ist erreicht. Hajek verschnauft kurz, hält den Atem zurück, stößt ihn in die Beuge des Armes hinein. Weiter vorn beginnt die erste Bodenmulde; der Bach muss gleich dahinter sein. Wo liegt der Scharfschütze? Man sieht diese Burschen nie. Sie sind Meister im Tarnen. Gemein, mit Sprengmunition zu schießen! Das ist eine neue Einführung, die fleißig geübt wird! Hajek will nicht nur den Scharfschützen, sondern, wenn es irgendwie geht, auch dessen Gewehr. Es sollen außergewöhnlich gute Gewehre sein, mit der neuesten Zieloptik ausgerüstet.
Hajek lauscht eine Weile, dann bewegt er sich schlangengleich weiter. Wenn die Russen Meister der Tarnung sind, ist Hajek ein Meister im Anschleichen.
Die dahinwindende Gestalt ist kaum zu erkennen. Jetzt verschwindet sie in der Mulde.
Wieder hält Hajek inne und horcht. Er hört leises Schmatzen, aber es ist nur der Bach. Er muss ganz nahe sein.
Um dem Obergefreiten Hermann Klotz das Sprenggeschoss zwischen die Augen zu bringen, hat der Sowjetschütze vorher eine Leuchtkugel hochgehen lassen. Ihr Licht erreichte sein Gesicht in der Schießscharte. Dann traf Klotz das fürchterliche Geschoss.
Hajek ist ein alter Fuchs – bewährt in unzähligen Gefahrenmomenten, eiskalt in seinen Überlegungen. Er weiß, wie der Gegner kämpft; er weiß aber auch, was ihm blüht, wenn er vorzeitig von ihm entdeckt wird, wenn etwas schiefgeht.
Jetzt hat er den Bach erreicht. Es ist nur ein schmales Rinnsal, das dahinschmatzt und verträumt gluckst. Hajek hebt den Kopf und späht durch den dünnen Schneevorhang, der lautlos niedersinkt. Weiter vorn ist etwas Dunkles. Eine Buschgruppe. Von dort muss der gut gezielte Schuss gekommen sein. Aber Scharfschützen pflegen ihre Stellung nach dem Schuss sofort zu wechseln. Hajek schlängelt sich langsam auf die Buschgruppe zu.
Er erreicht sie, bleibt liegen, spannt die Sinne an und horcht. In der Ferne brodelt das Frontfeuer. Dort, wo die Trümmerstadt liegt, ist heute ausnahmsweise einmal Ruhe. Eine verdächtige Ruhe.
Hajek denkt plötzlich an Warnicke. Das wird einen ganz schönen Anpfiff geben, oh ja! Man mag mit Warnicke gut befreundet sein, eine noch so gute Nummer bei ihm sein, aber eine Befehlsverweigerung lässt er nicht durchgehen. Niemals! Aber geht es diesmal nicht um etwas ganz anderes?
Hajeks Gedankenfaden reißt ab. Es ist ihm, als höre er ein Geräusch. Ganz nah. Hinter dem Strauch. – Ja, Schnee schmatzt unter einem leisen Tritt!
Hajek nimmt die Russen-MPi, legt sich halb darauf und entsichert sie, tastet in die Taschen, wo die Eierhandgranaten stecken. Er überlegt schnell: Soll er Handgranaten werfen oder Dauerfeuer in Richtung des Geräusches loslassen?
Er wartet noch, schiebt sich etwas nach links, um am Busch vorbeispähen zu können.
Ungefähr zwanzig Meter entfernt bewegt sich ein Hauch