Wo sind sie geblieben. F. John-Ferrer

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Wo sind sie geblieben - F. John-Ferrer

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Norden verläuft eine schmale verschneite Straße, die in einem Hügeleinschnitt verschwindet.

      Warnicke bezieht ein trostlos leeres und halbverfallenes Bahnwärterhäuschen als Gefechtsstand. Die Strippenzieher traben los und legen Leitungen zu den Zügen und zum Bataillon, das zwischen Bahnlinie und Tscherkassy liegt.

      »Eingraben!« lautet der Befehl, und die Landser schnallen die Feldspaten vom Koppel und versuchen, in die knochenhart gefrorene Erde so etwas Ähnliches wie ein Deckungsloch zu buddeln. Ein paar findige Köpfe zerren Eisenbahnschwellen aus dem harten Schnee und bauen damit notdürftige Unterstände.

      Die Arbeit macht warm und taut die Geister auf. Flüche werden laut. Da und dort lacht sogar jemand. Die Widerstandskräfte sind mobilisiert, man ist nicht unfroh darüber, sich jetzt in einer anderen Richtung verteidigen zu müssen.

      Der II. Zug des Feldwebels Hajek ist an die rechte Flanke der Kompanie geschickt worden, in die Nähe der nach Norden verlaufenden Straße. Sie führt schnurgerade auf den Hügeleinschnitt zu und verschwindet dann. Rechts der Straße liegt ein kleiner verlassener Bauernhof, den Hajek als Unterschlupf bezieht. Die muffige Stube ist fast leer, zurückgelassen wurde nur ein zerbrochener Tisch, ein dreibeiniger Stuhl und, weil man ihn nicht mitnehmen konnte, der Lehmofen, der der Familie als Schlafplatz gedient haben mochte. Die Fenster sind viereckige Löcher, die Tür fehlt. Ebner inspiziert den Hof, in der Hoffnung, ein verlassenes Huhn zu finden, um es für den Kochtopf zu präparieren. Aber es ist kein Huhn da. Im Stall stinkt es nach Schimmel.

      Wenn man nach Osten blickt, sieht man die rauchenden Trümmer von Tscherkassy, hört man das Wummsen der Einschläge. Der Himmel ist schneeträchtig und hängt tief.

      Trostloses Russland!

      In Hajeks Ohren klingt noch Warnickes Ermahnung: »Sie sind an einer wichtigen Stelle, Feldwebel. Sie sind die Rückendeckung. Sorgen Sie dafür, dass wir nicht vom Feind überrascht und überrollt werden. Höchste Wachsamkeit!«

      Als ob man nicht andauernd daran dächte, sich durch Wachsamkeit am elenden Leben zu erhalten!

      Wenn es den Sowjets gelänge, Tscherkassy in den Rücken zu fallen, ist alles aus!

      Jeder weiß das, und jeder will sein Bestes tun, um den Kameraden in der Trümmerstadt den Rücken freizuhalten.

      Hajek ruft seine Leute zusammen. Er ermahnt die Gruppenführer und erklärt ihnen genau die Lage. Dann teilt er den Vorposten ein. Der Gefreite Gimmler und der Obergefreite Alsdorf werden zum Hügeleinschnitt, den die Straße durchläuft, geschickt.

      »Bezieht Stellung und passt auf«, sagt Hajek. »Sobald ihr was hört oder seht, sofort zurückkommen und Meldung erstatten.«

      Die beiden Stammleute trotten mit einem MG und den Munitionskästen davon. Der kalte Wind schiebt sie ihrem Ziel entgegen. Als sie am Hügeleinschnitt ankommen, sehen sie, dass die Straße in ein paar Krümmungen einem Waldstück entgegenführt. Vom Hügeleinschnitt aus kann man gut zum Wald hinüberschauen. Bis dorthin sind es etwa zwei Kilometer. Es ist nichts zu sehen. Der Wind treibt dünne Schneestaubwolken durchs Gelände.

      Gimmler und Alsdorf schnallen den Spaten ab und buddeln sich warm. Eine Stunde brauchen sie, bis sie ein Loch geschafft haben, in dem sie mit dem MG liegen können. Sie ziehen zwei Zeltbahnen über das Loch und schützen sich somit lediglich gegen den kalten Wind.

      »So«, sagt Gimmler, als sie unter der Zeltbahn liegen, »jetzt gibt’s was Spezielles für die fleißigen Knaben. Er holt eine flachbauchige Kognakflasche aus der Manteltasche, küsst sie zärtlich und sagt: »Von meiner Emmi. Bei jedem Schluck soll ich an sie denken. – Prost, Emmi!« Gimmler trinkt und reicht Alsdorf die Flasche.

      »Prost, Emmi«, sagt auch er und trinkt.

      Danach drehen sie sich mit klammen Fingern Zigaretten aus Krüllschnitt und Zeitungspapier. Unter der Zeltbahn riecht es nach verbranntem Papier. Die beiden Landser schauen ins Gelände und schweigen.

      Plötzlich kichert Gimmler.

      »Was lachst du?«, fragt Alsdorf.

      »Ich muss daran denken, wie ich mit meinem Persilkarton eingerückt bin. Da hat man mir doch wörtlich gesagt: »Meine Herren, mit den Russen geht’s genauso ruckzuck wie mit den Franzosen. Die hauen wir genauso schnell in die Pfanne.«

      Alsdorf nickt.

      »Das war vor zweieinhalb Jahren«, fährt Gimmler fort. »Und solange raufen wir uns jetzt schon mit dem Iwan rum. Er haut uns in die Pfanne, und nicht wir ihn. Oder bist du anderer Meinung?«

      Alsdorf kaut auf der Zigarette und schüttelt den Kopf. »Den Krieg haben wir schon verloren«, murmelt er. »Seit Stalingrad geht’s abwärts mit der Großdeutschen Wehrmacht. Nur ein Vollidiot glaubt noch an den Endsieg.«

      »Und solche gibt es noch jede Menge, mein Lieber.«

      Sie schweigen und klopfen mit den Stiefelspitzen den harten Boden, um die Füße warmzuhalten. Es fängt zu schneien an. Dünn. Stetig. Zwischen Höheneinschnitt und dem Waldstreifen drüben sinkt ein immer dichter werdender Vorhang nieder.

      »Ich versuche mir manchmal vorzustellen, wie es wird, wenn der Iwan uns einkassiert«, sagt Alsdorf und saugt den Rest der Selbstgedrehten mit spitzen Fingern. »Sibirien soll ziemlich das Ende sein … ich meine, nicht nur das Ende der Welt.«

      »Denken wir nicht daran«, murmelt der Gefreite, »sonst hau ich gleich in den Sack.«

      »Wälder soll es dort geben«, fährt Alsdorf nach einer Weile fort, »die noch keiner betreten hat, richtige Urwälder. Man wird zu Holzarbeiten geschickt und geht nach einem Jahr auf irgendeine Weise ein.«

      »Hör auf!«, raunzt der andere. »Wir kommen durch.«

      Aber Alsdorf redet weiter: »Ich kann mir nicht mehr vorstellen, Franz, dass wir immerzu Glück haben und nichts verpasst kriegen. Irgendwann erwischt es uns auch wie den Blenk oder wie vor vierzehn Tagen den Klotz. Ich bin nicht zimperlich, Franz, nee, bestimmt nicht, ich bilde mir ein, eine dicke Haut zu haben, aber wenn ich an einem Stahlhelm vorbeikomme, der auf einem Astknüppel hängt, stelle ich mir manchmal vor, dass ich es bin, der da im Loch liegt … mit dem Astknüppel und meinem Stahlhelm über mir.«

      »Mensch, dir ist wohl der Schnaps meiner Emmi in die Birne gestiegen?« Gimmler lacht heiser.

      »Komm«, sagt Alsdorf, »fahr Emmis Geschenk noch einmal her, nehmen wir noch einen Schluck.«

      Gimmler zieht die Flachbauchige, reicht sie Alsdorf, und der schraubt den Verschluss auf, riecht, macht »Hm …« und trinkt einen kleinen Schluck.

      Es wird langsam dunkel und schneit noch immer dünn und stetig. Alsdorf schiebt den zerfransten Mantelärmel zurück und schaut auf die Armbanduhr.

      »Sechse ist es schon«, murmelt er. Er wirft einen Blick nach draußen. »Scheint nischt los zu sein. Alles ruhig.«

      »Aber der Iwan soll durchgebrochen sein«, erinnert Gimmler. »Wenn er da ist, steckt er dort drüben im Wald und wartet ab, bis es dunkel geworden ist.«

      »Horchen wir mal«, schlägt Alsdorf vor. Und er nimmt den Stahlhelm vom Kopf, fährt sich mit der Hand durch das zottelige, langgewachsene Haar und macht den Hals lang. Auch Gimmler horcht.

      Im Norden, fern und grollend, hört

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