Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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Die Neutralität des Präsidenten sei nicht bloß Farblosigkeit, sondern eine wahrhaft objektive Stellung über den kleinlichen Streitigkeiten der zahlreichen Interessen, öffentlichen Organe und Länder.6

      So sah die Grundhaltung aus, die sich hier offenbarte, der Dezisionismus Carl Schmitts7, die Forderung zu handeln statt abzuwägen, zu entscheiden statt zu berechnen. Der Dezisionismus basiert auf einer eigentümlichen, doch überaus attraktiven Lehre vom Wesen der Politik, die große Ähnlichkeit mit dem revolutionären Syndikalismus von Georges Sorel hat. Das Politische, so erklärte Schmitt, ist ein Freund-Feind-Verhältnis. Der Feind ist letzten Endes jener, der physisch vernichtet werden muß. In diesem Sinne kann jede menschliche Beziehung eine politische werden, denn jeder Gegner kann zu einem physisch zu vernichtenden Feind werden. Das Gebot des Neuen Testaments, daß man sogar seine Feinde lieben soll, bezieht sich nur auf den privaten Feind, inimicus, nicht auf den öffentlichen Feind, hostis.8 Dies ist eine Doktrin, die sich gegen jeden Aspekt und jeden Akt liberaler Demokratie und gegen unseren gesamten traditionellen Begriff der Herrschaft des Gesetzes wendet.

      Dagegen gerichtete Theorien waren entweder ohne Einfluß oder aber spielten der antidemokratischen These in die Hände. Die Kommunisten zum Beispiel brandmarkten die Verfassung als Verschleierung der kapitalistischen Ausbeutung und als politischen Überbau einer monopolkapitalistischen Wirtschaft. In Wirklichkeit verschleierte die Weimarer Verfassung gar nichts. Ihr Kompromißcharakter, die Abreden der Interessen, der unabhängige Status der Reichswehrbürokratie, die offen politische Rolle der Justiz waren sämtlich klar erkennbar. Verfassungstheorie und -praxis enthüllten die Schwäche der demokratischen Kräfte und die Stärke ihrer Gegner. Ganz ebenso offenbarten sie, daß die Weimarer Verfassung ihre Existenz weit mehr der Duldung ihrer Feinde als der Stärke ihrer Anhänger verdankte. Das Fehlen jeglicher allgemein anerkannter Verfassungslehre, selbst wenn sie bloßer Schein und eine reine Fiktion gewesen wäre, sowie der konsequent öffentliche Charakter der fundamentalen Antagonismen waren gerade die Faktoren, die den Übergangsstatus der Verfassung bestätigten und die Bildung einer dauerhaften Loyalität verhinderten.

      Der sozialistischen Verfassungstheorie mißlang es, eine spezifisch sozialistische Lehre zu entwickeln. Genau wie Carl Schmitt verurteilte sie die Weimarer Verfassung wegen des Fehlens einer Entscheidung.9 Sie gestand der Verfassung nicht einmal eine Kompromißqualität zu, sondern meinte, daß die unvereinbaren Interessen und Positionen ohne jede Integration nebeneinander stünden. Jede Verfassung, an geschichtlichen Wendepunkten erlassen, so urteilten die Sozialisten, muß ein bestimmtes Aktionsprogramm verkünden und eine neue Gesellschaftsordnung organisieren. Da die Weimarer Verfassung keine eigenen Ziele hatte, ließ sie die verschiedensten Wertsysteme zu.

      Ihre vernichtende Kritik zwang die Sozialisten, das Wertsystem der Weimarer Demokratie neu zu formulieren. So entwickelten sie die Lehre des sozialen Rechtsstaates, der das Erbe der bürgerlichen Rechte, die rechtliche und politische Gleichheit, mit den Erfordernissen des Kollektivismus verband.10 Verfassungsbestimmungen zur Sozialisierung der Industrie und der Anerkennung von Gewerkschaften hervorhebend, forderten sie die Einführung einer Wirtschaftsverfassung, die eine gleichberechtigte Repräsentation der Arbeit festsetzen sollte. Der »soziale Rechtsstaat« war so die Rationalisierung des Verlangens der »Arbeitnehmer« nach angemessener Beteiligung am politischen Leben der Nation. Als politische Theorie besaß er zugestandenermaßen einen Übergangscharakter (zusammen mit der entsprechenden Lehre von der Wirtschaftsdemokratie), denn der soziale Rechtsstaat wurde lediglich als der erste Schritt auf dem Wege zu einer voll sozialisierten Gesellschaft betrachtet. Und seine Wirkung war genau so gering wie die übrige Politik von Sozialdemokratie und Gewerkschaften.

      Ein weiterer Gegner des Dezisionismus war die sogenannte Österreichische Schule: die »reine Rechtslehre«. Sie sah Staat und Recht als identische Sphären an. Es gibt nur ein Recht, das Recht des Staates. Da jedes politische Phänomen in Rechtsbegriffen erklärt werden müsse, ist jede politische Form ein Rechtsstaat, ein Staat, der auf Recht gegründet ist. Nicht einmal die absoluteste Diktatur könne sich der Einordnung in diese Kategorie entziehen, weil die Macht des Diktators nur als eine explizit oder implizit von einem Grundgesetz abgeleitete Macht denkbar sei, einem übergeordneten Gesetz, welches das Rechtssystem bestimmt. Die Rechtsordnung ist eine Hierarchie, ein Zurechnungssystem, das von der übergeordneten Norm an der Spitze zum individuellen Vertrag und besonderen Verwaltungsakt hinunter verläuft. Folglich gebe es keine kategoriale Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht, zwischen natürlichen und juristischen Personen.11

      Die kritische Stoßrichtung und entlarvende Kraft der Österreichischen Schule sind nicht zu leugnen. Ihr Beharren auf der alleinigen Gültigkeit des positiven Rechts und der gänzlichen Entkleidung der Rechtswissenschaft von allen moralischen Erwägungen soziologischer oder politischer Art macht es unmöglich, politische Forderungen mit dem Deckmantel des Rechts zu verhüllen. Im Grunde ist ihre Theorie eine relativistische, ja sogar nihilistische; so nimmt es nicht wunder, daß ihr Begründer und unermüdlicher Exponent, Hans Kelsen, Demokratie mit Parlamentarismus gleichsetzte und sie als bloßen organisatorischen Rahmen zur Herbeiführung von Entscheidungen, ohne Rückgriff auf irgendwelche allgemein anerkannten Werte, definierte.12 Gerade an diesem relativistischen Begriff von Demokratie entzündeten sich die Attacken der Dezisionisten und Sozialisten.

      Eine entlarvende Lehre mag zwar ein brauchbares Werkzeug der wissenschaftlichen Analyse sein, kann aber nicht die Grundlage politischen Handelns abgeben. Zudem teilt die reine Rechtslehre die Mängel des logischen Positivismus und jeder anderen »reinen Wissenschaft«: Sie ist von jungfräulicher Einfalt. Indem sie alle damit verbundenen Probleme politischer und gesellschaftlicher Macht aus ihren Erwägungen ausklammert, wird sie zum Wegbereiter des Dezisionismus, der Hinnahme politischer Entscheidungen gleich welchen Ursprungs und welchen Inhalts, solange nur genügend Macht hinter ihnen steht. Die reine Rechtslehre hat ebensosehr wie der Dezisionismus dazu beigetragen, jedes universell anerkennbare Wertsystem zu untergraben.

      Auf dem Gebiet des Rechts haben die Liberalen die große kulturelle Tradition Deutschlands repräsentiert: ein profundes historisches Wissen, scharfes und präzises analytisches Denken und das konsequente Festhalten an den Werten der deutschen idealistischen Philosophie. Sie versuchten, die demokratische Struktur mit liberalen Garantien in Einklang zu bringen. Das Weimarer System, das als verfassungsmäßiger Ausdruck dieser Harmonie angesehen wurde, war die Verkörperung ihres Scheiterns.

      Zu den konservativen Verfassungslehren braucht nicht viel gesagt zu werden. Ihr Traum von der Restauration der Monarchie teilte mit dem Dezisionismus die Sehnsucht nach einem starken Staat, einig im Innern und mächtig nach außen. Der Staat war für sie der höchste sittliche Wert. Als Gegner der liberalen Demokratie spielten die Konservativen der antidemokratischen Bewegung direkt in die Hände und bereiteten die erste Phase der nationalsozialistischen Ideologie vor.

      Der Gedanke des totalitären Staates erwuchs aus der Forderung, alle Macht in den Händen des Präsidenten zu konzentrieren. Unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme begannen politische Theoretiker eifrig die Idee der Totalität des Staates zu verfechten, wie sie von den Verfassungsrechtlern entwickelt worden war. Alle Macht müsse beim Staat liegen; alles andere sei Sabotage der nationalsozialistischen Revolution. Der totalitäre Staat wurde als Herrschaftsordnung und als Form der Volksgemeinschaft beschrieben. Er sei antidemokratisch, weil die Demokratie mit ihrer Vorstellung der Identität von Regierenden und Regierten die nötige Autorität der Führung untergrabe. Führung, erklärten die Nationalsozialisten, ist nicht vom Volke delegiert: »Autorität setzt einen Rang voraus, der darum gegenüber dem Volke gilt, weil das Volk ihn nicht verleiht, sondern anerkennt.«13

      Hitlers Machtübernahme löste eine Flut von Schriften aus, in denen die traditionellen Staats- und Regierungsformen einer Revision unterzogen wurden. Unterschieden wurde zwischen dem liberalen Rechtsstaat, geboren in der Französischen Revolution und verkörpert in der englischen Verfassung, und dem nationalen Rechtsstaat, wie ihn zuerst der italienische

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