Behemoth. Franz Neumann
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Nachdem die Volksabstimmung politisch und juristisch erst einmal zur bloßen Staffage herabgewürdigt und die Gesetzgebungsbefugnis ausschließlich der Reichsregierung übertragen wurde, war der Prozeß der Vereinigung und Konzentration der Gesetzgebungsgewalt abgeschlossen. Die Gleichschaltung konnte nun nach Belieben bis weit in den administrativen Bereich hinein fortgesetzt werden. Der nächste Schritt war die Aufhebung der Eigenständigkeit der Länder. Der erste Schlag wurde mit dem Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 geführt, das den Landesregierungen das Recht verlieh, außerhalb der Landesverfassungen Gesetze zu erlassen. Sodann wurden die bestehenden Länderparlamente durch Reichsgesetz aufgelöst. Bei den darauffolgenden Wahlen gewann die sogenannte nationale Regierung aus Nationalsozialisten und Deutschnationalen in allen Landtagen die Mehrheit. Noch größer wurden die Mehrheiten, als den Sozialdemokraten am 7. Juli 1933 ihre Mandate entzogen wurden. Das »Gesetz über den Neuaufbau des Reiches« vom 30. Januar 1934 übertrug dem Reich alle bisher den Ländern zustehenden Hoheitsrechte, zerstörte damit ihren Staatscharakter und beseitigte die Landtage. Derselbe Vorgang wiederholte sich in den Gemeinden. Die Gemeinderäte wurden durch das Gesetz vom 30. Januar 1935 (Gemeindeordnung) abgeschafft. Die autoritäre Kontrolle war nun von oben bis unten perfekt.
Ein zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, das am 7. April 1933 verkündet wurde, führte das Amt der von Hitler bestellten Reichsstatthalter ein. In Preußen übernahm Hitler selbst diesen Posten. Das Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1934 band die Statthalter an die Weisungen der Reichsregierung und machte sie damit zu Beamten des Reiches. Das Recht auf Bestellung der Länderregierungen wurde ihnen entzogen, sie konnten dem Führer nur noch Namen vorschlagen. So wurden die Reichsstatthalter zu bloßen Galionsfiguren. Freilich war das Amt gut bezahlt und ging an verdienstvolle Parteifunktionäre. Selbst nationalsozialistischen Juristen erscheint es nunmehr unmöglich, die verfassungsmäßige Lage der Länder genau zu definieren. Das beste, was sie bisher zustandebrachten, war die Aussage, daß die Länder bis zur endgültigen territorialen Neugestaltung des Reiches als Übergangseinrichtungen bestehen blieben.37
Dieselben Theoretiker, die einst forderten, alle Macht in den Händen des Reichspräsidenten zu vereinigen, hatten es nun genau so eilig, seine Stellung auf die einer reinen Repräsentationsfigur zu beschränken. Ein Jurist formulierte das sehr hübsch: »Nachdem in den vergangenen Jahren infolge des Versagens des Parlaments das Schwergewicht der Reichspolitik sich auf den Reichspräsidenten verlagert hatte, konnte nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus der Reichspräsident sich wieder aus der Verflechtung in die Tagespolitik freimachen und in seine verfassungsmäßige Stellung als Repräsentant der völkischen Einheit und Schirmherr der Nation zurückkehren.«38 Ein anderer, etwas vorsichtigerer Autor erklärt, der Reichspräsident habe seine autoritäre Führung nicht an Hitler abgetreten, sondern eine neue Funktion, die des Repräsentierens, übernommen.39 Der rapide Abbau der Präsidialgewalt wurde eindeutig gesetzlich dokumentiert, insbesondere mit dem Gesetz, das das Amt des Reichsstatthalters schuf. Die Reichsstatthalter wurden nicht dem Befehl des Reichspräsidenten, sondern dem des Reichskanzlers unterstellt40: Der Reichsstatthalter »hat die Aufgabe, für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik zu sorgen.« So wurde der Reichspräsident, der einst der starke Mann gewesen war, zum bloßen Aushängeschild, hinter dem die unumschränkte Macht des Führers stand.
4. Der totalitäre Staat im Krieg
Vor Ausbruch des gegenwärtigen Krieges hatte die Konzentration der politischen Macht in den Händen der Reichsregierung ein sehr hohes Stadium erreicht. Die Institution der Reichsstatthalter und die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung, welche die Gemeindeorgane auf den Status von Behörden des Reiches reduzierten, verliehen der Reichsregierung die volle Macht über die gesamte politische Struktur Deutschlands bis hinunter zur kleinsten territorialen Einheit. Diese Macht wurde nur von den Verwaltungsgerichten und der Rechtsprechungspraxis eingeschränkt.
Bei Kriegsausbruch wurde die politische Macht indes noch viel stärker konzentriert. Der Reichsrat für die Reichsverteidigung wurde zum Ministerrat für die Reichsverteidigung umgebildet (wie selbst die Frankfurter Zeitung in ihrer Ausgabe vom 1. Januar 1941 zugeben mußte, war über Zusammensetzung und Aufgaben des Reichsrates nichts bekannt). Der Ministerrat hat die Gesetzgebungsbefugnisse der Regierung im wesentlichen übernommen. Er besteht aus Reichsmarschall Göring, seinem Vorsitzenden, dem Stellvertreter des Führers, Heß, dem Chef der Reichskanzlei, Lammers, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, Frick (auch Innenminister) und dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, Funk (auch Wirtschaftsminister). In Sonderfällen dürfen auch andere Personen hinzugezogen werden. Die Bildung des Ministerrates für die Reichsverteidigung ist gleichbedeutend mit der Errichtung eines Generalstabes der Zivilverteidigung und der Wirtschaft. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft (Funk) ist der Vorgesetzte der Minister für Wirtschaft, Arbeit, Ernährung, Forsten und sogar Finanzen; die Minister für Justiz, Inneres, Kultur und Angelegenheiten der Kirchen unterstehen dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung (Frick). Nichts gibt ein klareres Bild von der Umkehrung der überholten liberalen Formen als die Degradierung des Finanzministers. Fiskalpolitische Erwägungen können die Durchsetzung der notwendigen Verwaltungs- und Wirtschaftsmaßnahmen nun nicht mehr verhindern. Der große Einfluß, den das Schatzamt hatte und in England nach wie vor hat, ist immer ein Hindernis für die Durchführung vieler notwendiger Aufgaben gewesen. In der neuen Verwaltungshierarchie ist der Finanzminister schlichtweg zu einem untergeordneten Beamten geworden.
Der Ministerrat ist in praktisch allen Fällen der normale Gesetzgeber. Seine Anordnungen haben Gesetzeskraft und bedürfen nicht der Gegenzeichnung durch den Führer, denn er halte sich, wie die Frankfurter Zeitung (10. Januar 1941) schreibt, im Krieg oft in seinen Hauptquartieren außerhalb der Hauptstadt auf. Der Ministerrat regelt alle Angelegenheiten, die direkt oder indirekt mit der Verteidigung des Staates zusammenhängen. Diese Klausel schränkt natürlich in keiner Weise seine Autorität ein.
Die Verordnungen des Ministerrates können sich freilich nicht auf alle Einzelheiten erstrecken. Im ordentlichen wie im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren sind die Einzelheiten gewöhnlich Durchführungsbestimmungen vorbehalten, die der jeweils zuständige Minister verkündet. Eine ähnliche, aber weitergehende Machtbefugnis ist mit den Durchführungsvorschriften verbunden, die zum Zwecke der Ausführung oder Weiterführung gesetzgeberischer Akte des Ministerrates erlassen werden können.
Die Generalbevollmächtigten für Wirtschaft und Reichsverwaltung sowie der Beauftragte für den Vierjahresplan (Göring) können, jeder in seinem Kompetenzbereich, aber mit Zustimmung der beiden anderen und des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Durchführungsverordnungen erlassen, die – und dies ist der neue Schritt – sogar von bestehenden Gesetzen abweichen dürfen. Die Autorität der Generalbevollmächtigten ist damit weit größer als die der Ministerialbürokratie, welche die Durchführungsverordnungen normalerweise formuliert. Als ein Ergebnis haben die Generalbevollmächtigten das Strafgesetzbuch und das Zivilprozeßrecht geändert.
Aber selbst mit dieser Entwicklung ist der Prozeß der Konzentration der Gesetzgebungsgewalt noch nicht beendet. Ein Führererlaß vom Januar 1941 ermächtigte den Reichsmarschall, selbständig alle Rechtsvorschriften und Verwaltungsanweisungen zu erlassen, die er