Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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von den Braunhemden angeführte Rede von der zweiten Revolution verstummte nicht, und aus dem allgemeinen Murren war ein unheilverkündendes Grollen deutlich herauszuhören. Die Braunhemden, ein Heer von entwurzelten Proletariern und kleinen Mittelständlern, waren enttäuscht, als Hitler General von Fritsch zum Nachfolger General von Hammersteins auf dem Posten des Reichswehrchefs ernannte und von Blomberg gestattete, das Kriegsministerium zu behalten. Röhm sah seine ehrgeizigen Pläne vereitelt. Die Spannung nahm zu; es gab dauernde Reibereien zwischen den Braunhemden, dem nationalistischen »Stahlhelm« und der Reichswehr. Die illegalen Eingriffe in die Wirtschaft nahmen ein ernsthaftes Ausmaß an. Am 17. Juni 1934 hielt Vizekanzler von Papen in Marburg seine berühmte Rede, in der er besonders das Recht des Bürgers, das Regime zu kritisieren, hervorhob.1 Hitler entschloß sich, sich seines »Berges« zu entledigen. Das Resultat war das Massaker vom 30. Juni 1934, das den Ereignissen der Bartholomäusnacht von 1572 vergleichbar ist. Die staatliche Autorität hatte ihre Rechte auf blutige Weise wiederhergestellt; die zweite Revolution war tot.

      Zur gleichen Zeit wurde der Gedanke der Totalität des Staates dennoch über Bord geworfen. Mit einem Artikel im Völkischen Beobachter, dem Zentralorgan der Partei, eröffnete Alfred Rosenberg die Attacke (9. Januar 1934).2 Der totale oder »abstrakte« Staat, so erklärte er, gehört dem liberalistischen Zeitalter an, wo er als technisches Machtinstrument diente. Im Liberalismus stand der Staat über der Nation; seine Vertreter beanspruchten Vorrang vor allen sonstigen Bürgern. »Die Revolution des 30. Januar 1933 ist nun nicht etwa die Fortsetzung des absolutistischen Staates, wieder mit einem neuen Vorzeichen, sondern der Staat wird hier zu Volk und Volkstum in eine andere Beziehung gesetzt wie 1918, aber auch wie 1871. Was sich in diesem vergangenen Jahr vollzogen hat … ist nicht die sogenannte Totalität des Staates, sondern die Totalität der nationalsozialistischen Bewegung. Der Staat ist nicht mehr etwas, was neben dem Volk und neben der Bewegung, sei es als mechanischer Apparat, sei es als herrschendes Instrument, bestehen soll, sondern Werkzeug der nationalsozialistischen Weltanschauung.«

      Rosenberg nannte auch klar und deutlich die Gründe, aus denen er die Obergewalt des Staates ablehnte. Die Idealisierung des Staates, so sagte er, bedeutet die Verherrlichung der Staatsbeamten auf Kosten der Bewegung. Er empfahl, mit dem Gerede über den totalen Staat Schluß zu machen, und statt dessen die Totalität der nationalsozialistischen Weltanschauung mit der NSDAP als ihrer Trägerin und dem nationalsozialistischen Staat als ihrem Werkzeug nachdrücklich zu betonen.

      Rosenbergs Protestartikel gegen die Obergewalt des Staates stand in vollem Einklang mit seiner langen, Der Mythos des 20. Jahrhunderts genannten Abhandlung, in der er den Staat anprangerte, sich weigerte, vor ihm »im Staube zu liegen« und Hegel kritisierte.3 In Mein Kampf, das lange vor seinem Machtantritt erschien, bringt Hitler ähnliche Gefühle zum Ausdruck, läßt seiner Verachtung für die Weimarer Demokratie vollen Lauf und prophezeit die Ankunft einer neuen Ära. Die Verfassungsrechtler und politischen Theoretiker, die sich in den Jahren 1933 und 1934 als zum Nationalsozialismus bekehrt bezeichneten, unterließen es offenbar, dieses Buch zu lesen, in dem jegliche Forderung des Staates und für den Staat zurückgewiesen wird. Der Staat, sagt Hitler, ist weder ein Begriff der Moral noch die Verwirklichung einer absoluten Idee, sondern der Diener des Volkstums. Er ist kein »Zweck, sondern ein Mittel. Er ist wohl die Voraussetzung zur Bildung einer höheren menschlichen Kultur, allein nicht die Ursache derselben. Diese liegt vielmehr ausschließlich im Vorhandensein einer zur Kultur befähigten Rasse.« An anderer Stelle sagt er: »Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen.« Er befähige sie zur besseren Erhaltung ihrer Art. Daher kann »die Güte eines Staates … nicht bewertet werden nach der kulturellen Höhe oder der Machtbedeutung dieses Staates im Rahmen der übrigen Welt, sondern ausschließlich nur nach dem Grade der Güte dieser Einrichtung für das jeweils in Frage kommende Volkstum … Also kann umgekehrt ein Staat als schlecht bezeichnet werden, wenn er, bei aller kulturellen Höhe, den Träger dieser Kultur in seiner rassischen Zusammensetzung dem Untergange weiht.« Aus diesen Gründen lehnt Hitler den unbedingten Gehorsam gegenüber dem Staat ab und bejaht ein biologisches Recht auf Widerstand. »Nicht die Erhaltung eines Staates oder gar die einer Regierung«, so schreibt er, ist »höchster Zweck des Daseins der Menschen, … sondern die Bewahrung ihrer Art. Ist aber einmal diese selber in Gefahr, unterdrückt oder gar beseitigt zu werden, dann spielt die Frage der Legalität nur mehr eine untergeordnete Rolle. Es mag dann sein, daß sich die herrschende Macht tausendmal sogenannter legaler Mittel in ihrem Vorgehen bedient, so ist dennoch der Selbsterhaltungstrieb der Unterdrückten immer die erhabenste Rechtfertigung für ihren Kampf mit allen Waffen … Menschenrecht bricht Staatsrecht.«

      Hitler erklärt entsprechend weiter: »Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird, dann ist die Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht … Denn wer nicht bereit oder fähig ist, für sein Dasein zu streiten, dem hat die ewig gerechte Vorsehung schon das Ende bestimmt.«4

      Die Theorie ist unverkennbar eine Art von pervertiertem Liberalismus, der sich auf eine biologische Vorstellung vom Naturrecht stützt und dem die Reinerhaltung der Rasse die angeborenen Rechte des Individuums ersetzt. Auch der Liberalismus begreift den Staat als Werkzeug oder Mechanismus; Hitlers Berufung der Vorsehung erinnert an die liberalistischen deistischen Philosophen, welche die Hilfe der Vorsehung als Garantie sozialer Harmonie beschworen. Jedoch sind die Unterschiede gewaltig. Die liberale Lehre hatte staatlichen Schutz ohne Ansehung von Rasse, Glauben oder Klasse versichert. An ihre Stelle ist heute die Doktrin von der Herrenrasse getreten.

      Die Doktrin, nach welcher der Staat eine untergeordnete Rolle zu spielen hat, wurde nach dem Blutbad vom 30. Juni 1934 zu neuem Leben erweckt. Der Parteitag vom September 1934 bot Gelegenheit zur Neuformulierung des Verhältnisses von Partei und Staat, und der Führer legte in seinem Aufruf besonderen Nachdruck darauf, daß die nationalsozialistische Revolution eine Sache der Vergangenheit sei.5 Hitler verwarf den Gedanken der permanenten Revolution mit dem Hinweis, sie führe zur Zerrüttung des völkischen, staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Permanente Revolutionen, so führte er weiter aus, sind nichts anderes als Machtkämpfe beutegieriger Politiker. Erfolg ist nicht ohne Stabilität zu erreichen. Die nationalsozialistische Revolution mußte beendet werden, weil das Volk bereits von der nationalsozialistischen Weltanschauung erfüllt und die Reichswehr zu einem auf ewig zuverlässigen Bollwerk des NS-Staates geworden ist. In der soeben zuendegegangenen Phase war es die oberste Aufgabe, die Autorität des Staates zu stärken. Die Aufgabe der Zukunft besteht darin, die Partei und ihre alten Braunhemd- und Leibgarde-Kämpfer zu einer einzigen Gemeinschaft zu verschmelzen, die durch einen feierlichen Eid verpflichtet ist, das ganze Volk zu reinigen, zu mobilisieren und den Glauben an die Partei zu stärken. Eine weitere Rede, die er zum Abschluß des Parteitages hielt, enthielt die bisher aggressivste Kritik an der Theorie des totalitären Staates. Die Partei, so erklärte Hitler, stellt die politische Elite: »Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat!«6

      Politische Theoretiker und Verfassungsrechtler, deren konformistische Instinkte geweckt waren, machten sich sogleich daran, die nationalsozialistische Lehre neu zu formulieren. Den entscheidenden Beitrag dazu leistete wiederum Carl Schmitt.7 Das politische Gebäude Deutschlands, so schrieb er, ruht auf einem dreigliedrigen Fundament: Staat, Bewegung und Volk. Der Staat ist der »politisch-statische Teil«, die Bewegung »das politisch-dynamische Element« und das Volk »die im Schutz und Schatten der politischen Entscheidungen wachsende unpolitische Seite« (S. 12). Obwohl Schmitt jeden Versuch, »ein Element gegen die anderen in sophistischer Weise auszuspielen«, ablehnt, enthält das von ihm erstellte Schema doch eine hierarchische Struktur. In der nationalsozialistischen oder faschistischen Tradition rangiert das »Dynamische« (was immer das bedeuten mag) höher als das »Statische« und das Unpolitische niedriger als das Politische. Tatsächlich weist Schmitt in seinem Buch jeden Versuch der Gleichsetzung des Staates mit seiner Bürokratie und Justiz zurück: »Die politisch führende Partei trägt als Organisation der ›Bewegung‹ sowohl

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