Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

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herauszufinden, warum die offizielle italienische Ideologie, im Gegensatz zum Nationalsozialismus, den Staat über alles stellt. In einer Rede vor den Liberalkonservativen, die er am 4. April 1924 in Mailand hielt, gab Mussolini selbst die Antwort:

      »Infolge des kinematographischen Wechsels der Regierungen war das einzige Stabilitätselement die Bürokratie. Ohne die Bürokratie hätten wir das absolute Chaos gehabt … In der ewigen und rotierenden Unstabilität der Regierungen repräsentierte die Bürokratie die Kontinuität des administrativen und politischen Lebens der Nation.«41

      Der Faschismus erhöhte den Staat, weil in der ganzen Geschichte Italiens der Staat immer schwach gewesen war. Die Einigung Italiens, die ungefähr zur gleichen Zeit stattfand wie die Einigung Deutschlands, hatte nicht die Bildung einer starken Staatsgewalt zur Folge. Italien blieb ein durch scharfe geographische, ökonomische und soziale Gegensätze gespaltenes Land.42 Die erzielte politische Einheit war äußerst gefährdet. Der Heilige Stuhl und seine 70 000 Priester waren heftige Gegner des neuen italienischen Staates, weil er der Kirche ihren Landbesitz geraubt hatte. Noch im November 1914 konnte von Bülow, der deutsche Botschafter, Italien mit der Restauration des Kirchenstaates drohen, falls es nicht dem Zweibund Deutschland-Österreich beitrete. Zudem war die Masse der italienischen Bevölkerung gegen den Krieg von 1914, und diese Gegnerschaft beschränkte sich nicht auf kleine revolutionäre Gruppen, wie es in Deutschland der Fall war. Im Gegensatz zu Deutschland stand Italien unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges am Rande eines Bürgerkrieges. Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war eine Zeit voller Streiks, Aufstände, Finanz- und Industrieskandale, steigender Preise und wachsender Unruhe unter dem Industrieproletariat im Norden und der Bauernschaft im Süden gewesen.43 Am Vorabend des Ersten Weltkrieges gelang es den italienischen Arbeitern, eine Rote Woche auszurufen und zu organisieren. Es ist gemeinhin nicht bekannt, daß bei Kriegsende 1 100 000 Prozesse gegen Deserteure bei den italienischen Militärgerichten schwebten.44 Jeder fünfte aufgebotene Italiener war fahnenflüchtig.

      Die Erfordernisse der Konkurrenz auf dem Weltmarkt zwangen den Faschismus, die italienische Staatsgewalt zu stärken. Ein demokratisches Italien wäre zwar vor derselben Notwendigkeit gestanden, hätte aber andere Methoden angewandt und aus anderen Motiven gehandelt. All das erklärt freilich, warum die Verherrlichung des Staates eine so zentrale Stellung in der faschistischen Ideologie einnimmt.

      Im Gegensatz zu Italien war die deutsche Staatsmaschinerie niemals ernsthaft in Gefahr, nicht einmal in den Revolutionstagen von 1918 und 1919. Die Bürokratie arbeitete nach wie vor unter ihren eigenen Häuptern, wenn auch scheinbar auf Anweisung der Arbeiter- und Soldatenräte. Die im Reich und in den Ländern gebildeten neuen demokratischen Regierungen störten das alte Personal wenig, und die von ihnen unternommenen Schritte, den alten Beamtenapparat durch neue, demokratische Beamte zu ersetzen, erfolgten langsam und zaudernd. Wo Arbeiterregierungen, wie in Thüringen und Sachsen, den Demokratisierungsprozeß der Verwaltung beschleunigten, schritt das Reich ein und setzte die Regierungen ab. Die Verfassung von 1919 garantierte den Beamten schließlich ihren Status und ihre individuellen Rechte. Die folgende Periode des Staatsinterventionismus bot der Staatsbürokratie neue Betätigungsmöglichkeiten, und in dem Maße, wie die parlamentarische Demokratie zerfiel, verlagerte sich die staatliche Macht Schritt für Schritt auf die Ministerialbüros und die Armee.

      Die Nationalsozialisten standen somit einer Anhäufung staatlicher, bei einer Bürokratie mit hoher Qualifikation und langjähriger Erfahrung zentralisierten Macht gegenüber. Ihr Versuch, neben dem bürokratischen Staatsapparat einen konkurrierenden und sämtliche Staatsaktivitäten umfassenden Parteiapparat aufzubauen, führte zu nichts. Zunächst hatte die Partei ein eigenes Außenministerium (Alfred Rosenberg), ein Justizministerium (Hans Frank), ein Arbeitsministerium (Hierl) und ein Kriegsministerium (Röhm). Hitler selbst setzte diesen Versuchen am 30. Juni 1934 ein Ende.

      Die Lehre von der Oberhoheit des Staates mußte in Deutschland verworfen werden, weil die Ansprüche der Partei mit denen des Staates konfligierten. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte nichts Hitler daran hindern können, an der Theorie des totalitären Staates festzuhalten. Heute sind die staatsverherrlichenden Lehren, vor allem der Hegelianismus, über Bord geworfen worden.

      Vielleicht trifft es zu, daß Hegels Verherrlichung des Staates – wie Hobhouse nachzuweisen versuchte – der für den preußischen Militarismus und den Ersten Weltkrieg am meisten verantwortliche ideologische Faktor war.45 Aber man kann Hegel nicht für die politische Theorie des Nationalsozialismus verantwortlich machen. Eine ganze Reihe von Hegelianern ist nach wie vor in der nationalsozialistischen Bewegung aktiv; einige von ihnen versuchen sogar, Hegels Theorie der neuen nationalsozialistischen Ideologie anzupassen.46 Aber ihre Bemühungen sind lächerlich; denn niemand kann bezweifeln, daß Hegels Staatsidee mit dem deutschen Rassenmythos grundsätzlich unvereinbar ist. Hegel schrieb dem Staat die »Verwirklichung der Vernunft« zu, und verglichen mit den Theorien von Haller und den angeblich liberalen Lehren der Burschenschaften (den von dem Philosophen Fries angeführten Studentenverbänden) war seine politische Theorie fortschrittlich. Hegel verachtete sie beide, denn Haller repräsentierte einen reaktionären politischen Vorstoß, die politische Macht der rückschrittlichsten Gesellschaftsschichten zu rechtfertigen, während die »liberale« Doktrin der Burschenschaften – wie selbst Treitschke erkannte47 – den Keim des Rassismus, Antisemitismus und teutonischer Selbstüberhebung in sich barg. Hegels Theorie ist rational; sie hält zudem am freien Individuum fest. Sein Staat verkörpert sich in einer Bürokratie, die die bürgerlichen Freiheiten garantiert, weil sie auf der Grundlage rationaler und berechenbarer Normen tätig wird.48 Diese Betonung des rationalen Verfahrens der Bürokratie, Hegel zufolge die Voraussetzung einer guten Regierung, macht seine Lehre für den nationalsozialistischen »Dynamismus« unannehmbar.

      Einige wenige Worte sind nötig, um den Begriff der »rationalen« Bürokratie, wie Hegel ihn verstand, und sein Verhältnis zu einem demokratischen System zu klären. Heute werden Übergriffe der Bürokratie in fast allen Ländern als eine Bedrohung der Freiheit des Individuums verdammt.49 Und wenn wir Demokratie ausschließlich als ein Organisationsmodell definieren, nach dem die politische Macht unter frei gewählten Volksvertretern aufgeteilt wird, so läßt sich ohne weiteres feststellen, daß eine Bürokratie, die dauerhaft, hierarchisch gegliedert und einer eigenmächtigen Befehlsgewalt unterworfen ist, als Widerspruch zur Demokratie erscheinen muß. Demokratie ist aber nicht ein bloßes Organisationsmodell; sie ist auch ein Wertsystem, und die von ihr verfolgten Ziele können sich verändern. Der Konkurrenzkapitalismus zielte einzig und allein darauf ab, die Freiheit der Gesellschaft vor staatlicher Einmischung zu schützen. In der Ära des Kollektivismus, der den Konkurrenzkapitalismus als Resultat tiefgreifender ökonomischer Wandlungen ablöste, und in dem die Massen die Berücksichtigung ihrer materiellen Lage verlangen, erweist sich das durch die liberale Demokratie repräsentierte Wertsystem als unangemessen. Arbeitslosen-, Kranken- und Invalidenversicherung, Wohnungsbauprogramme werden zur Notwendigkeit und müssen als unverzichtbarer Teil der Demokratie akzeptiert werden. Darüber hinaus muß eine gewisse Kontrolle des ökonomischen Handelns eingeführt werden. Offensichtlich bieten sich zur Verwirklichung dieser neuen Ziele zwei Methoden an: Eine, als pluralistische Lösung, enthält die Selbstverwaltung durch die privaten interessierten Parteien; die andere, eine monistische Lösung, bedeutet bürokratische Bevormundung. Die Wahl zwischen diesen beiden Methoden fällt nicht leicht, um so weniger, als das Maximum an bürokratischer Macht nur dann erreicht wird, wenn staatliche und private Bürokratien einander durchdringen. Die Bevorzugung der Selbstverwaltung folgt nicht unbedingt aus dem Wesen der Demokratie. Das wäre der Fall und in der Tat die Ideallösung, wenn die privaten Bürokratien in allen wichtigen Punkten eine Einigung erzielen könnten, ohne die Interessen der Gesellschaft insgesamt zu verletzen. Aber diese Erwartung ist utopisch. Wann immer private Gruppen zu einer Einigung kamen, geschah es auf Kosten der Gesamtgesellschaft; gewöhnlich hatte der Verbraucher zu leiden, und ein Eingreifen der Regierung erwies sich als unabdingbar. Unsere Gesellschaft ist nicht harmonisch, sie ist antagonistisch, und der Staat wird immer die ultima

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