Behemoth. Franz Neumann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Behemoth - Franz Neumann страница 39

Behemoth - Franz Neumann eva taschenbuch

Скачать книгу

gegenüber der Person des Königs zu begründen. Ihre Argumentation war überwiegend antirational, ja sogar charismatisch. »Der König«, schrieb Tyndale, »unterliegt in dieser Welt keinem Gesetz, kann nach seinem Belieben recht oder unrecht tun und ist nur Gott allein verantwortlich.«10 Heinrich VIII. ist der »Sonne der Menschheit« gleich – man »wagt nur einen Blick von der Seite auf den strahlenden Glanz der hellen Sonne (des Königs) zu werfen, der man nirgendwo unverwandt standzuhalten vermag.«11 Gehorsam gegenüber dem König war eine bürgerliche und, mehr noch, eine religiöse Pflicht. Ihm mußte gehorcht werden, weil er mit übermenschlichen Eigenschaften begabt war. Er war der Führer. Es ist leicht einsehbar, daß diese Lehren ihrem Wesen nach opportunistisch waren, dazu bestimmt, den Erfordernissen von Englands innen- und außenpolitischer Lage zu genügen. Es bedurfte einer zentralen und unanfechtbaren Autorität, die dem Zugriff der Katholischen Kirche entzogen und fähig war, einem Angriff von außen zu widerstehen – eine Autorität, die sich die autonomen lokalen, feudalen und kirchlichen Herrschaftsbereiche unterordnen und sie wenn nötig sogar vernichten würde. All das machte es unmöglich, sich auf eine Theorie des Gesellschaftsvertrages mit ihren revolutionären Implikationen zu stützen. Die lutherischen und calvinistischen politischen Lehren lieferten eine Lösung des Problems.

      Luther forderte zwar individuelle Freiheit, doch unterschied sich seine Idee der Freiheit grundlegend von der unsrigen. Luthers Freiheitsbegriff, wie er ihn in seiner wichtigen Abhandlung »Von der Freiheit eines Christenmenschen« darlegte, vereint in sich tatsächlich unsere Vorstellung und ihr genaues Gegenteil. Luther sagt dort: »Eyn Christenmensch ist eyn freyer herr, über alle ding, und niemandt unterthan. Eyn Christenmensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yederman unterthan.« Die Antinomie könnte kaum mit deutlicheren Worten ausgedrückt werden. Beide Postulate, Freiheit und Untertänigkeit, sollen gleich gültig und allgemein sein.

      Der Begriff der »inwendigen Freiheit« löst den Widerspruch. Freiheit und Knechtschaft gehören in zwei verschiedene Sphären; Freiheit in die innere, Knechtschaft in die äußere Welt. Die erste Aussage Luthers betrifft den inneren Menschen und seine Freiheit; die zweite den äußeren Menschen, der gehorchen muß. Eine solche Dichotomie zwischen innerem und äußerem Leben – jedes für sich von anderen Gesetzen geregelt – war der griechischen und mittelalterlichen Philosophie fremd. Alle klassischen griechischen Denker vertraten die Auffassung, daß innere Freiheit ohne äußere Freiheit nicht möglich sei, und die Denker des Mittelalters sahen im Menschen ein vernunftbegabtes Wesen, dessen Geist und Taten nach natürlichem Recht geordnet sind. Luther trennte das innere vom äußeren Reich und verneinte den Wert der »Werke«, das heißt der äußeren Einflüsse. »So ists offenbar, das keyn eusserlich ding mag yhn frey, noch frum machen, wie es mag ymmer genennet werden«, und kein äußeres Verhältnis reicht »bis an die Seelen, sie zu befreyen oder fangen, frum oder böße zu machen.« Der Arme ist genau so frei wie der Reiche, der unterjochte Bauer ist ebenso frei wie der König, der Gefangene so frei wie sein Wärter. Die Unterdrückten sind bereits im Besitz der Freiheit; warum also sollten sie nach ihr streben? Gewiß, die Welt, so wie sie ist, entspricht nicht dem christlichen Ideal. Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Liebe herrschen nicht auf dieser Welt, und Luther hielt diese ursprünglich nicht für die Verkörperung christlicher Prinzipien. Er nahm die Welt und die souveräne Macht des Staates lediglich als bedauerliche Tatsachen hin. Doch diese resignierte Hinnahme wich bald einer ausdrücklichen Rechtfertigung. »Es will dißer artickel (gemeint ist die Forderung der Bauern nach Aufhebung der Leibeigenschaft, 1525) alle Menschen gleich machen, und aus dem geystlichen reich Christs eyn welltlich eusserlich reich machen, wilchs unmuglich ist. Denn welltlich reich kan nicht stehen, wo nicht ungleicheyt ist ynn personen, das ettliche frey, ettliche gefangen, ettliche herrn, ettliche unterthan etc. Wie S. Paulus sagt … das ynn Christo herr und knecht eyn ding sey.«12 Das war Luthers Antwort auf die Forderung nach Aufhebung der Leibeigenschaft.

      Nach Luther gibt es zwei Arten von Gerechtigkeit, eine innere und eine äußere. Wahre innere Gerechtigkeit erfüllt sich nur in innerer Freiheit, äußere Gerechtigkeit aber dadurch, daß man seine Pflichten an seinem gegebenen Platz erfüllt. Ein Angriff auf einen Herrscher ist ein Angriff auf sein Amt. »Uffs erst ist der unterschied fur zu nemen, das ein ander ding ist ampt und person odder werck und thetter. Denn es kan wol ein ampt odder werck gut und recht sein an yhm selber, das doch boese und unrecht ist, wenn die person odder thetter nicht gut odder recht ist odder treibts nicht recht.«13 Das Amt als solches hat absolute Autorität. Es ist vom Amtsträger getrennt, was den abstrakten Charakter menschlicher Beziehungen andeutet.14 Die Beziehungen zwischen Herr und Knecht, König und Untertan werden abstrakt und anonym. Die Institution der Leibeigenschaft ist ewig und unwandelbar. Selbst wenn er heidnischen Türken in die Hände fiele, dürfe ein Christ seinem neuen Herrn nicht davonlaufen: »Denn du raubst und stiehlst damit deinem Herrn deinen Leib, welchen er gekauft hat oder sonst zu sich gebracht, daß er hinfort nicht dein, sondern sein Gut ist, wie ein Vieh oder andere seine Habe.«15 Alle Macht über Menschen und Dinge stiftenden Verhältnisse, ob private oder öffentliche, sind damit geheiligt. »Darumb auch ungehorsam grosser sund ist dan totschlag, unkeuscheit, Stelen, betriegen ...« »Widderumb geburt der gehorsam den unterthenigen, das sie alle yhren fleysz und auffsehen dahyn keren, zuthun und lassen, was yhr uber hern von yhm begeren, sich davon nit lassen reyssen noch treyben, es thu ein ander was er thu.«16

      Die äußere Welt braucht nicht nur keine Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Liebe; sie muß nicht einmal harmonisch sein. Die Obrigkeiten verlangen nicht Liebe, sondern Gehorsam, und sie messen nicht Barmherzigkeit, sondern unerbittliche Strafen zu. »Der esel will schlege haben, und der pofel will mit gewalt regirt seyn, das wuste Gott wol, darumb gab er der oberkeyt nicht eynen fuchsschwantz sondern eyn schwerd ynn die hand.«17 »Drumb sol hie zuschmeyssen, wurgen und stechen heymlich odder offentlich, wer da kan, und gedencken, das nicht gifftigers, schedlichers, teuffelischers seyn kan, denn eyn auffrurischer mensch, gleich als wenn man eynen tollen hund todschlahen mus.«18

      Luthers politische Theorie, soweit er eine besaß, enthielt sehr wenig, aber dieses Wenige könnte als charismatische Rechtfertigung der Macht bezeichnet werden. Trotz der Unbarmherzigkeit ihres Leitsatzes entwikkelte die Luthersche Lehre, da sie innere Freiheit einräumte, eine harmonische innere Welt, die der Schlechtigkeit und Verderbtheit der äußeren Welt entgegengesetzt werden konnte. Insofern enthielt sie die revolutionäre Saat, die in den Lehren der Taboriten und Anabaptisten aufging. Zudem begründete und stützte Luther mit der Trennung von Amt und Amtsinhaber sowie durch die Entpersönlichung der menschlichen Beziehungen die Lehren von einer rationalen Bürokratie.

      Zur vollen Entfaltung gelangte die charismatische Lehre durch Calvin.19 Seine Schriften bilden die politische Theorie der Bourgeoisie seiner Zeit, der es hauptsächlich um die Errichtung eines starken staatlichen Zwangsapparates ging. Die Calvinische Lehre vollzieht einen eindeutigen Bruch mit dem mittelalterlichen Denken in allen seinen Formen, theologischen, philosophischen, politischen und sozialen. Während Luther der Schlechtigkeit der Welt wenigstens die Gerechtigkeit der evangelischen Ordnung gegenüberstellte, wobei letztere den Keim potentieller Auflehnung und Revolution in sich barg, brachte Calvin das weltliche Reich mit dem geistlichen in Übereinstimmung, indem er dem Staat sein neues Glaubensbekenntnis aufzwang. Dieses neue Credo war nicht das der Bergpredigt, sondern das der Zehn Gebote, und die Theologie war nicht scholastisch, sondern positivistisch. Nach Calvin ist der Mensch nicht ein rationales, mit dem Licht der Vernunft begabtes Wesen; er ist unfähig, sein Leben nach rationalen Maximen zu begreifen und zu führen. Seine Vernunft ist verderbt, »von zahllosen Irrtümern eingewickelt und geblendet«.20 Seine »Intelligenz und Vernunft sind verderbt durch den Fall«, und die »Integrität seines Verstehens«21 ist zerstört worden, so daß es ihm unmöglich ist, die Wahrheit zu erkennen. Er vermag sie nur in einem sehr begrenzten Bereich zu finden. Dieser »begrenzte Bereich« stiftet einen inneren Zusammenhang zwischen dem Calvinismus und der empirizistischen, experimentellen Haltung der darauffolgenden Periode. Calvin räumt eine gewisse Fähigkeit, »irdische Dinge« zu erkennen, ein: »Unter ›irdischen‹ Dingen verstehe ich dabei das, was mit Gott, seinem Reiche, der wahren Gerechtigkeit und der Seligkeit des kommenden Lebens nichts zu tun hat, sondern …

Скачать книгу