Behemoth. Franz Neumann
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Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß ursprünglich die oberste Parteispitze sich für diese Totalitätsdoktrin einsetzte. Goebbels erklärte: »Unsere Partei hat von jeher den totalen Staat erstrebt … Das Ende der Revolution muß immer der totale Staat sein, der alle Gebiete des öffentlichen Lebens durchdringt.«17 Frick, Reichsinnenminister und ein führender Mann der Partei, unterzeichnete am 11. Juli 1933 ein Rundschreiben, in dem die Reichsstatthalter ermahnt wurden, »die Autorität des Staates … unter allen Umständen sicherzustellen«.18 Hitler wandte sich in einem ähnlichen Ton an die am 1. Juli 1933 in Bad Reichenhall versammelten SA-Führer. Die dritte Phase der Revolution, sagte er, ist »die Herstellung dessen, was mit der Totalität des Staates bezeichnet wird: Die nationalsozialistische Bewegung müsse diesen Staat zum Träger ihres Geistesgutes machen«.19 Auf dem Juristentag 1933 ermahnte er seine Zuhörer, »die Autorität dieses totalen Staates zu verteidigen«.20 Und sogar noch am 15. November 1934 betonte Frick in einer Rede vor Reichswehroffizieren die Notwendigkeit absoluter Autorität und forderte »eine starke Regierung … ungehindert durch die Wünsche von einzelnen Personen, Gruppen, Klassen, Ständen, Parteien und Parlamenten«.21
Solche Verherrlichung des Staates wurde kurze Zeit später aufgegeben (übrigens fehlt sie auch in »Mein Kampf«). Warum stand sie bis Ende 1934 so stark im Mittelpunkt? Drei Faktoren scheinen dafür ausschlaggebend gewesen zu sein. Erstens hatten die politischen Theoretiker und Rechtsgelehrten der vorangegangenen Ära ihre herausragende Stellung bei der Ideologienformulierung behalten. Diese Männer sahen in der nationalsozialistischen Revolution eine Neuausgabe des kaiserlichen Systems, das sich auf die Autorität der Bürokratie und der Armee stützte. Nun, da diese Autorität wieder in den Händen zuverlässiger Führer lag, würde der deutsche Staat wieder die höchsten Werte verkörpern. Der italienische Faschismus hatte eine Lehre des totalitären Staates entwickelt, und da die Unterschiede zwischen beiden bisher noch nicht klar zum Ausdruck gekommen waren, wurde natürlich versucht, die italienische Doktrin in die ältere deutsche Tradition einzubauen.
Eine große Hilfe war dabei die spezielle Note, die Carl Schmitt, der intelligenteste und verläßlichste aller nationalsozialistischen Verfassungsrechtler, der Totalitätslehre gab. Er machte sie sogar der Großindustrie schmackhaft, eine Sache, die er sich bereits seit 1932 zum Ziel gesetzt hatte. In einer Rede – mit dem bezeichnenden Titel »Starker Staat und gesunde Wirtschaft« – vor dem Langnam-Verein22 erfand er eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Totalität, der romanischen und der germanischen.23 Die romanische Totalität sei eine quantitative, die germanische eine qualitative. Die erste würde alle Bereiche des Lebens erfassen und in jedwede Tätigkeit der Menschen eingreifen. Im scharfen Gegensatz dazu begnüge sich die germanische Totalität mit einem starken und mächtigen Staat, der zwar die volle politische Kontrolle für sich in Anspruch nimmt, die wirtschaftliche Betätigung aber nicht einschränkt. Natürlich ist die Schmittsche Lehre ebenso wenig germanisch, wie ihr Gegenteil romanisch ist. Tatsächlich war sie weitaus klarer und realistischer von einem Italiener formuliert worden, von Vilfredo Pareto, der für das Nebeneinander von politischem Autoritarismus und wirtschaftlichem Liberalismus eintrat und die ersten Anfänge der Wirtschaftspolitik Mussolinis beeinflußte.
Beide Beweggründe – das Berufen der monarchistischen Tradition eines starken Staates wie des Privateigentums und der Privatinitiative – spielten eine große Rolle in der letzten Rede, die Hitler vor einem (relativ) frei gewählten Reichstag hielt (23. März 1933). Hitler legte dar, daß eine monarchische Restauration zur Zeit kein Gegenstand der Diskussion sein könne, weil die Hauptaufgabe darin bestehe, eine unbedingte Autorität der Regierung herzustellen. Gleichzeitig versprach er, die Privatinitiative aufs stärkste zu fördern und das Privateigentum anzuerkennen.24
Die Lehre von der Totalität des Staates befriedigte so die zahlreichen Anhänger der deutschen Reaktion: Universitätsprofessoren, Bürokraten, Reichswehroffiziere und Großindustrielle. Ebenso war sie für die westliche Welt im allgemeinen akzeptabel. Denn jede politische Theorie, in welcher der Staat die zentrale und beherrschende Rolle einnimmt und mit der Aufgabe betraut ist, das Allgemeininteresse zu wahren, steht in Einklang mit der Tradition der westlichen Zivilisation, mag diese Tradition auch noch so liberal sein. Die westliche Tradition betrachtet den Staat nicht als einen gegen die Menschenrechte gerichteten Unterdrükkungsapparat, sondern als eine Institution, die über das Interesse des Ganzen wacht und dieses Interesse gegen Übergriffe partikularer Gruppen schützt. Die Souveränität des Staates ist der Ausdruck des Bedürfnisses nach Sicherheit, Ordnung, Gesetz und Rechtsgleichheit, und die nationalsozialistische Emphase der Totalität des Staates hatte noch nicht mit dieser europäischen Tradition gebrochen. Zudem diente dieser Totalitarismus auch den praktischen Erfordernissen des Augenblicks. In den ersten Monaten des Regimes versuchte jeder Braun- und Schwarzhemd-Funktionär, so viel wie möglich Posten und Ämter zu ergattern. Die breite Masse der Parteimitglieder war bald ungehalten über den Verrat an der Revolution; ein Flügel rief sogar nach einer zweiten Revolution. Röhms Braunhemden sahen voller Neid auf die neue Macht der Reichswehr.
Die Lage war heikel, und Hitler beeilte sich, die Waffe der Totalitätslehre einzusetzen. Die Revolution mußte – was Eigentum, Beamtentum und Reichswehr betraf – in geordneten Bahnen verlaufen. § 26 des Reichswehrgesetzes und eine preußische Verordnung vom 4. Mai 1933 bestimmten, daß Parteimitglieder ihre Mitgliedschaft für die Dauer des Dienstes bei den bewaffneten Streitkräften oder der Polizei aufgeben mußten, da sie einer anderen Disziplinargewalt unterstanden.25 Am 20. November 1933 trat Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers, mit einer eindringlichen Erklärung an die Öffentlichkeit, in der es hieß, daß Parteiführer kein Recht hätten, Verordnungen und Erlasse herauszugeben.26 Vor allen Dingen sollten die Parteichefs auf Orts- und Gauebene sich aus der Wirtschaft heraushalten. Dies ist der Inhalt des Rundschreibens von Dr. Frick, in dem er die hohen Beamten des Reiches, an die das Schreiben gerichtet war, ermahnte, nicht zuzulassen, daß der Parteiapparat die Autorität der Bürokratie antastet. Dr. Frick beabsichtigte keineswegs gegen die Terrorakte an Juden, das Schlagen wehrloser Gefangener in den Kasernen der Braunhemden, die Verschleppung von Kommunisten, Sozialisten und Pazifisten oder die Ermordung – »auf der Flucht erschossener« – politischer Gegner einzuschreiten. Aber die Partei durfte sich nicht in Wirtschaft und Verwaltung einmischen.
3. Die Gleichschaltung des politischen Lebens
Die Totalitätstheorie war auch das Instrument zur Koordinierung des gesamten öffentlichen Handelns. Die absolute Kontrolle von oben – die berühmte Gleichschaltung jeder Tätigkeit von Reich, Ländern, Kreisen und Gemeinden – erfuhr in der Lehre vom totalen Recht und der totalen Macht des Staates ihre Rechtfertigung. Im Gegensatz zu der pluralistischen und föderalistischen Weimarer Republik konnte und wollte der neue Staat die Existenz autonomer öffentlicher Institutionen nicht dulden, und in den Jahren 1933 und 1934, die Hitler die Zeit der Machtbefestigung nannte, sorgte eine ganze Serie von Rechtsverfügungen für alle dazu erforderlichen Details. Anders als in Italien waren Machtkonzentration und Gleichschaltung in Deutschland in sehr kurzer Zeit abgeschlossen.
Die Rechtsgrundlage bildete das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das »Gesetz zur Behebung der Not vom Volk und Reich«, das von einem Reichstag beschlossen wurde, der erst knapp drei Wochen zuvor, am 5. März, gewählt worden war. Es ist auch