Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens

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So erhielten dann die Insassen des Armenhauses dreimal täglich einen dünnen Haferschleim, außerdem zweimal in der Woche eine Zwiebel und sonntags eine halbe Semmel.

      Schon in den ersten sechs Monaten nach Olivers Rückkehr war dieses System in vollem Gange. Der Raum, in dem die Jungen abgefüttert wurden, war eine große Halle aus Stein, an deren einem Ende ein kupferner Kessel stand. Aus diesem schöpfte der Speisemeister, unterstützt von einigen Frauen, zur Essenszeit den Haferschleim. Von dieser köstlichen Speise erhielt jeder Junge einen Napf voll, und nicht mehr – festliche Anlässe ausgenommen, an denen sie auch noch ein nicht allzu großes Stück Brot bekamen. Die Näpfe brauchten nicht abgewaschen zu werden, die Jungens bearbeiteten sie mit ihren Löffeln so lange, bis sie wieder spiegelblank waren.

      Kinder haben fast immer Hunger. Oliver und seine Kameraden hatten die Qualen des langsamen Hungertodes drei Monate lang ausgehalten. Da erklärte ein ziemlich großer Junge, dessen Vater eine kleine Kneipe hatte, und der daher reichliches Essen gewöhnt war, er fürchte seinen Schlafkameraden einmal nachts aufzuessen, wenn er nicht noch einen weiteren Napf Haferschleim täglich erhielte. Dabei rollten seine Augen wild. Die Jungen beratschlagen und losten dann, wer nach dem Abendessen zum Speisemeister gehen und um mehr bitten solle. Das Los fiel auf Oliver Twist.

      Der Abend kam heran, der Speisemeister stellte sich an den Kessel, und nachdem ein langes Tischgebet über das kurze Mahl gesprochen war, wurde der Haferbrei aus, geteilt. Dieser war schnell im Magen der Kinder verschwunden, als Oliver aufstand und mit Napf und Löffel vor den Speisemeister hintrat. Hunger und Elend ließen ihn alle Rücksichten vergessen, doch zitterte er, als er sagte:

      "Bitte, Herr, ich möchte noch etwas mehr."

      Der wohlgenährte, rotbäckige Koch wurde bei diesen Worten blass und musste sich am Kessel festhalten. Er blickte mit starrem Entsetzen auf den kleinen Rebellen und stieß schließlich mit schwacher Stimme aus: "Was?"

      "Bitte, Herr, ich möchte noch etwas mehr!"

      Da schlug ihn der Küchenmeister mit dem Löffel über den Kopf, packte Oliver bei den Händen und rief laut nach dem Gemeindediener.

      Der Verwaltungsausschuss hielt eben eine Sitzung ab, als Herr Bumble aufgeregt ins Zimmer stürzte. Er wandte sich an den Vorsitzenden:

      "Verzeihung, Herr Limbkins! Oliver Twist hat mehr haben wollen!"

      Alle waren starr.

      "Mehr?" fragte Herr Limbkins. "Nehmen Sie sich zusammen, Bumble, und antworten Sie mir klar und deutlich. Habe ich das so zu verstehen, dass er noch mehr verlangte, nachdem er bereits seinen vorschriftsmäßigen Anteil erhalten hatte?"

      "Jawohl, Herr!"

      "Der Junge wird am Galgen enden", sagte der Herr mit der weißen Weste. "Ich bin ganz sicher, dass der Bursche dereinst gehängt wird!"

      Niemand widersprach dieser Prophezeiung. Nach kurzer Beratung wurde Oliver eingesperrt. Am nächsten Morgen wurde ein Anschlag an das Tor geklebt, der jedem, der Oliver der Gemeinde abnähme, eine Summe von fünf Pfund verhieß. Mit anderen Worten, Oliver Twist wurde nebst fünf Pfund jedem Mann oder jeder Frau – wer eben einen Lehrling oder einen Laufburschen brauchte – angeboten.

      Oliver blieb eine Woche lang in einer dunklen, einsamen Kammer eingesperrt. Er weinte den ganzen Tag über bitterlich. Wenn dann die lange, traurige Nacht kam, legte er seine Händchen auf die Augen, um nicht ins Dunkel starren zu müssen, kroch in eine Ecke und versuchte zu schlafen. Alle Augenblicke aber fuhr er aus seinem Schlaf auf und drückte sich dann dichter an die Mauer, als ob er sich selbst in ihrer kalten, harten Fläche einen Schutz gegen die ihn umgebende Finsternis verspräche.

      Nun begab es sich, dass eines Morgens der Schornsteinfegermeister Gamfield die Landstraße entlang zog. Er dachte darüber nach, wie er gewisse Mietsrückstände, um die ihn sein Hauswirt ziemlich energisch gemahnt hatte, bezahlen solle. Er wusste nicht, wie er die ihm fehlenden fünf Pfund herbeischaffen könnte, und marterte damit bald sein Gehirn, bald den Kopf seines Esels. Da fiel ihm plötzlich der Anschlag ins Auge, als er beim Armenhause vorbeikam.

      "Halt!" sagte der Meister zu dem Esel, doch dieser, ebenfalls in tiefes Sinnen versunken, trabte, ohne auf den Befehl seines Herrn zu achten, ruhig weiter. Gamfield fluchte wie ein Heide und versetzte dem Esel einen Schlag auf den Kopf, dass dieser halb betäubt war und stillstand. Dann begann der Meister aufmerksam den Anschlag zu lesen.

      Der Herr mit der weißen Weste stand, die Hände auf dem Rücken, am Tore. Er hatte dem kleinen Streit zwischen Gamfield und seinem Esel gespannt zugeschaut und lächelte gutgelaunt. Gamfield lächelte gleichfalls, als er das Schriftstück durchgelesen hatte, denn fünf Pfund waren gerade die Summe, die er brauchte. Was die Beigabe des Jungen anbelangt, so wusste der Meister, der die Armenhauskost kannte, dass es sich nur um ein ziemlich schmächtiges Menschenexemplar handeln könnte. Er buchstabierte also den Anschlag nochmals von Anfang bis zu Ende durch und redete dann den Herrn mit der weißen Weste an, indem er gleichzeitig grüßend die Hand an seine Pelzmütze legte:

      "Diesen Jungen hier will also die Gemeinde als Lehrling vergeben?"

      "Ja, lieber Freund", erwiderte der Herr mit der weißen Weste leutselig, "warum?"

      "Wenn die Gemeinde ihn ein leichtes, angenehmes Handwerk lernen lassen will, so möchte ich mein Schornsteinfegergeschäft empfehlen", entgegnete der Meister. "Ich brauche einen Lehrling und bin bereit, ihn zu nehmen!"

      "Kommen Sie rein", sagte der Herr mit der weißen Weste.

      Gamfield folgte diesem in das Sitzungszimmer und trug Herrn Limbkins seinen Wunsch vor.

      "Es ist ein schmutziges Handwerk, man hat auch erlebt, dass Jungens in den Schornsteinen erstickt sind", meinte Limbkins.

      "Dies kommt daher", versetzte Gamfield, "dass man das Stroh anfeuchtete, ehe man es im Kamin anzündete, um die Jungen herunterzuholen. Es gab nur Rauch aber kein Feuer. Rauch hat aber keinen Zweck, denn er veranlasst einen Jungen nicht runterzukommen, er macht ihn nur schläfrig, und das ist es ja gerade, was solch ein Bursche will. Jungen sind faul und widerspenstig, meine Herren, und ein schönes, heißes Feuer das Beste, um sie im Galopp herunterzubringen. Es ist auch ein humanes Mittel, meine Herren, denn wenn einer im Schornstein steckenbleibt und sich die Füße verbrennt, dann tut er schon selbst alles Mögliche, um sich aus dieser Lage zu befreien.`

      Die Vorstandsmitglieder berieten sich einige Minuten, dann verkündete Herr Limbkins:

      "Wir haben Ihren Vorschlag überlegt, können aber nicht drauf eingehen."

      "Ganz und gar nicht", sagte der Herr mit der weißen Weste.

      "Entschieden nicht", fügten die andern Vorstandsmitglieder hinzu.

      "So soll ich ihn also nicht haben, meine Herren?" fragte Gamfield.

      "Nein", antwortete Herr Limbkins, "oder Sie müssten mit einer kleineren Summe zufrieden sein, da es doch ein zu schmutziges Handwerk ist."

      "Was wollen Sie geben, meine Herren? Seien Sie nicht zu hart gegen einen armen Mann!"

      "Nun, ich meine, drei Pfund und zehn Schillinge wären genug", sagte Herr Limbkins.

      "Schon zehn Schilling zu viel", bemerkte der Herr mit der weißen

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