Oliver Twist. Charles Dickens
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Der Friedensrichter guckte seinen Kollegen bedeutungsvoll an und sagte dann:
"Wir versagen dem Lehrbriefe unsere Genehmigung"; damit schob er das Pergament beiseite.
"Ich hoffe", stotterte Herr Limbkins, "Sie werden nicht glauben, dass die Behörde fahrlässig gehandelt hat, noch dazu auf das unhaltbare Zeugnis eines Kindes hin."
"Wir sind nicht berufen, darüber eine Meinung auszusprechen", versetzte der alte Herr ziemlich scharf. "Nehmen Sie den Jungen wieder mit und behandeln Sie ihn anständig. Er scheint's nötig zu haben."
Am nächsten Morgen wurde Oliver wieder für fünf Pfund ausgeboten.
Viertes Kapitel: Oliver findet eine Stelle und macht den ersten Schritt ins Leben
Angesehene Familien schicken die jüngeren Söhne, die sonst keine Aussicht haben vorwärtszukommen, gern auf die See. Der Armenhausvorstand beschloss dieses weise Beispiel nachzuahmen. Er glaubte, es wäre das Beste für Oliver. Vielleicht würde ihn ein Schiffer in der Trunkenheit zu Tode prügeln oder sonst wie um die Ecke bringen. Herr Bumble erhielt also den Auftrag, einen Schiffer ausfindig zu machen, der Oliver nehmen würde. Als er von dieser Mission zurückkehrte, traf er in der Haustür den Leichenbestatter Herrn Sowerberry. Dieser war trotz seines ernsten Berufes keinem Scherze abgeneigt. Er schüttelte Herrn Bumble die Hand und sagte:
"Ich habe den beiden Weibern, die gestern Abend starben, eben Maß genommen."
"Sie werden noch reich werden, Herr Sowerberry."
"Glauben Sie? Aber die von der Gemeinde bewilligten Preise sind zu gering, Herr Bumble."
"Die Särge sind auch dementsprechend klein", erwiderte der Gemeindediener würdevoll lächelnd.
Herr Sowerberry fand diesen Witz furchtbar komisch und lachte anhaltend. Endlich sagte er:
"Größere sind bei dem neuen Verpflegungssystem auch nicht nötig."
"Übrigens, Herr Sowerberry, wissen Sie keinen, der einen Lehrjungen gebrauchen kann?" fragte Herr Bumble, der das Gespräch ablenken wollte. "Sehr günstige Bedingungen, sehr günstig."
Währenddessen zeigte er mit seinem Stock nach dem Anschlag an der Tür und schlug dreimal bedeutungsvoll auf die großgedruckten Worte "fünf Pfund".
"Nun, wie wär's?"
"Ach, Sie wissen, Herr Bumble, dass ich viel Armensteuer bezahle."
"Nun?"
"Da dachte ich, wenn ich so viel bezahle, hätte ich auch ein Recht, wieder etwas davon rauszukriegen. Ich möchte deshalb schon den Jungen nehmen."
Herr Bumble fasste den Leichenbestatter am Arme und führte ihn ins Haus. Dort hatte Herr Sowerberry eine Unterredung von fünf Minuten mit dem Vorstand, und man kam überein, dass Oliver ihm noch am selben Abend auf Probe übergeben werden solle. Dies wurde Oliver von den Herren mitgeteilt und ihm gleichzeitig angedroht, dass man ihn auf die See schicken würde, wenn er es in der Lehre nicht aushielte und der Gemeinde nochmal lästig fiele. Oliver hörte das schweigend an, dann führte ihn der würdige Herr Bumble an den neuen Schauplatz von Leiden. Als sie dem Orte ihrer Bestimmung näher kamen, sagte Herr Bumble:
"Schiebe dir die Mütze aus dem Gesicht, und halte den Kopf hoch."
Der Leichenbesorger hatte eben die Fensterladen seiner Werkstätte geschlossen und trug beim Schein einer Kerze einige Posten in sein Buch ein, als Herr Bumble eintrat.
"Sind Sie es, Bumble?" sagte Sowerberry und blickte von seinem Buche auf.
"Niemand anders" versetzte der Gemeindediener, "und da ist der Junge."
Oliver machte einen Diener.
"Also das ist der Junge", sagte der Leichenbesorger und hob die Kerze hoch, um ihn besser betrachten zu können. "Liebe Frau, komm doch mal herein."
Frau Sowerberry kam aus einem kleinen Zimmer hinter der Werkstätte, sie war eine kleine, magere Person mit einem Gesicht wie eine Xanthippe.
"Das ist der Junge aus dem Armenhause, von dem ich dir gesprochen habe."
",Mein Gott", sagte sie, der ist aber doch zu klein."
"Klein ist er freilich", bemerkte Herr Bumble, "aber er wird wachsen, sicher, er wird wachsen."
"Das glaub' ich wohl", sagte Frau Sowerberry, "aber von unserer Kost. – Da, geh die Treppe herunter, kleines Gerippe! Charlotte, gib dem Jungen etwas von dem, was für den Hund zurückgestellt war, der kriegt nichts mehr, da er heute Morgen nicht nach Hause gekommen ist", rief sie dem Dienstmädchen zu.
Oliver verschlang mit Gier den Hundefraß.
"Nun" sagte Frau Sowerberry, "bist du fertig?" Sie hatte mit Entsetzen und düsterer Ahnungen voll zugesehen, wie ein solcher Appetit in Zukunft zu befriedigen sei. Oliver bejahte.
"So komm mit. Dein Bett ist unter dem Ladentisch. Ich denke, es macht dir nichts aus, unter den Särgen zu schlafen. Doch gleichviel, eine andere Schlafstelle können wir dir nicht geben."
Fünftes Kapitel: Oliver lernt seine neue Umgebung kennen und nimmt zum ersten Mal an einem Leichenbegängnis teil. Er fasst eine ungünstige Meinung vom Geschäfte seines Meisters
Am Morgen wurde Oliver durch lautes Pochen an der Ladentür geweckt. Während er in seine Kleider fuhr und die Sperrkette zu lösen begann, ließ sich eine Stimme vernehmen:
"Öffne die Tür, ein bisschen schnell!"
"Sofort, Herr", antwortete Oliver und schloss an der Tür.
"Ich vermute, du bist der neue Lehrling, nicht wahr?" sagte die Stimme durchs Schlüsselloch.
"Jawohl"
"Wie alt?"
"Zehn Jahre."
"Dann setzt es Keile, wenn ich erst drin bin. Pass bloß auf, du Armenhäusler!" Dann hörte man pfeifen.
Oliver schob zitternd die Riegel zurück und machte die Tür auf. Ein paar Augenblicke sah Oliver die Straße rauf und runter, im Glauben, der Unbekannte sei einige Schritte weitergegangen. Er sah aber niemand als einen dicken Bengel, der auf einem Stein vor dem Hause saß und ein Butterbrot verschlang.
Da Oliver sonst niemand in der Nähe sah, sagte er zu ihm:
"Verzeihung, haben Sie geklopft?"
"Jawohl", antwortete der Bengel.
"Wünschen Sie einen Sarg?" fragte Oliver harmlos.
Der Bengel schnitt ein grimmiges Gesicht und schrie ihn an, es werde nicht lange dauern, bis er selbst einen brauchte, wenn er sich derartige Witze mit seinem Vorgesetzten erlaube.
"Du weißt wohl nicht, wer ich bin, Armenhäusler?" fuhr der Bengel fort und kam näher.
"Allerdings nicht!".
"Ich