Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
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Die Rolle und Bedeutung der Säule Familie innerhalb der unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Ordnungssysteme wird von verschiedenen Autorinnen und Autoren besonders hervorgehoben. Wohlfahrtsstaaten unterscheiden sich deutlich im Grad der Familiarisierung („familialism“, Esping-Andersen 1999: 45): Während in familiaristischen Care-Regimen das Gros der (Sorge-)Verantwortung auf den privaten Haushalten bzw. den Familien liegt, haben Staaten mit einem höheren Grad der Defamiliarisierung („de-familialization“, ebd.) diese Verantwortung vor allem an die öffentliche Hand (weniger an den Markt) abgegeben. Sie unterstützen in besonderem Maße die Erwerbsbeteiligung von Frauen und wenden sich dadurch vom Ernährermodell und der damit verbundenen ökonomischen Abhängigkeit der Frauen von ihren erwerbstätigen Partnern ab. Die Reduzierung oder Minimierung der familiär (und damit oft weiblich) verankerten Sorgeverantwortung sollte daher Leitbild für den Aus- und Umbau moderner Wohlfahrtsstaaten sein (vgl. Esping-Andersen 1999). Feministische Diskurse zur vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung fokussieren ebenfalls die Unterscheidung von Familiarisierung und Defamiliarisierung zur Analyse von Care-Regimen insgesamt oder politischen Strategien und Maßnahmen im Einzelnen (vgl. Leitner, Ostner, Schratzenstaller 2004; Ostner 2011; Evers 2018). Heintze (2013) erfasst dieses Phänomen durch die Unterscheidung in familienbasierte und servicebasierte Care-Systeme. Kennzeichnend für familienbasierte bzw. familiaristische Systeme – wie bisher in Deutschland – sind das Ernährermodell als Leitbild (siehe Kapitel 3.2.2), eine niedrige Frauenerwerbstätigkeit, statuskonservierende Mechanismen innerhalb der sozialen Sicherungssysteme, eine große Bedeutung familiärer Betreuungs- und Pflegearrangements (Subsidiaritätsprinzip) bei einer geringen Professionalisierung von personenbezogenen Dienstleistungen und niedrige öffentliche Ausgaben für derartige Leistungen (vgl. Esping-Andersen 1996; Leitner, Ostner, Schratzenstaller 2004; Heintze 2013). Heintze betont in diesem Kanon vor allem den letztgenannten Indikator der öffentlichen Ausgaben für Leistungen sozialer Dienste. Die Strategie geringer öffentlicher Investitionen in den tertiären Sektor (in Beschäftigung ebenso wie Infrastruktur) wird daher als ,,Lowroad“ bezeichnet. Der Weg über eine „Highroad“54 zeichnet sich im Gegenzug durch staatliche Investitionen in gute (verfügbare und zugängliche) Infrastruktur eines entsprechenden Dienstleistungsangebotes, in hohe Dienstleistungsqualität und in professionalisierte Beschäftigung aus, wie es bereits in einigen skandinavischen Ländern politische Praxis ist. Die Art der Dienstleistungspolitik ist dabei nicht immer, aber häufig abhängig von konservativen, liberalen oder sozialdemokratischen Prägungen der Wohlfahrtsstaatssysteme (vgl. Heintze 2013; 2015).
3.2.2 Wohlfahrtsstaatliche Leitbilder für die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit
Die feministische Kritik an der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung macht deutlich, dass die Betrachtung allein der Verantwortungsteilung zwischen Staat, Markt und Familien eine wesentliche Dimension der Organisation von Sorgearbeit und damit eines Teils von Care-Regimen verdeckt: Die wohlfahrtsstaatliche Säule der Familie ist maßgeblich durch die industriell-kapitalistische, geschlechtsdifferenzierte Arbeitsorganisation durch eine männlich kodierte Erwerbsarbeitssphäre und weiblich besetzte Sphäre der Sorgearbeit bedingt. Ebenso beeinflusst die wohlfahrtsstaatliche Tradition Politik in der Weise, dass im Fall der konservativ und familiaristisch geprägten Bundesrepublik Deutschland lange Zeit Maßnahmen zum Statuserhalt oder zur Familiarisierung dominierten. Neuere gesetzliche Regelungen oder familienpolitische Leistungen deuten eine stärkere Defamiliarisierung und damit einen Wandel der wohlfahrtsstaatlichen Leitbilder55 an, der von Bemühungen um eine geschlechtsneutrale statt androzentrische Perspektive geprägt ist (vgl. Leitner, Ostner, Schratzenstaller 2004; Ohrem 2015). So wurde das Ernährermodell (oder male breadwinner model) zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch das adult worker model (mit Fokus auf Paarbeziehungen auch dual earner model) ersetzt, welches geschlechtsunabhängig allein Erwerbspersonen definiert. Der Fokus auf die Erwerbsarbeit zeugt dabei jedoch von einer „Reproduktionsblindheit“ (Gottschall und Sehröder 2013: 167) des Doppelverdiener-Modells. Ebenso zeigt die Realität weiblicher Erwerbsverläufe der letzten Jahrzehnte, dass in der Bundesrepublik vielmehr ein sog. Zuverdiener-Modell gelebt wird, welches sich weiterhin durch einen männlichen Hauptverdiener und eine – spätestens ab Zeitpunkt der Familiengründung – weibliche Zuverdienerin in geringfügiger oder Teilzeitbeschäftigung auszeichnet.56 In zwei Dritteln aller Familienhaushalte sind heute beide Elternteile erwerbstätig, wobei die Verantwortung für die Haus- und Sorgearbeit bei den Frauen verbleibt, sodass sich wiederum eine Traditionalisierung der Rollenverhältnisse einstellt – mit dem bekannten Risiko einer schlechteren Existenzsicherung für Frauen und einem erhöhten Armutsrisiko, insbesondere im Alter (vgl. BMFSFJ 2012a; Gottschall, Schröder 2013; Wanger, Bauer 2015; BMFSFJ 2017).
Die Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung betont daher die Notwendigkeit eines integrierenden Leitbildes, in dem die Organisation der Sorgearbeit in enger Verbindung mit der Organisation der Erwerbsarbeit zu sehen ist. Das Erwerb-und-Sorge-Modell (earner carer model) verfolgt die bereits im Ersten Gleichstellungsbericht erarbeitete Zielstellung, „dass eine gleichstellungsorientierte Gestaltung der Erwerbs- und Sorgearbeit allen Menschen unabhängig vom Geschlecht ermöglichen muss, während ihres Lebensverlaufs Erwerbs- und Sorgearbeit gleichberechtigt zu verbinden“ (BMFSFJ 2017: 101). Damit einher geht die Aufforderung, Sorgearbeit gesamtgesellschaftlich zu organisieren und nicht mehr allein in privater Verantwortung zu belassen, sodass schließlich auch „Zweiverdiener-Arrangements ohne Überforderung gelebt werden können“ (ebd.). Um dies realisieren zu können, ist schließlich nicht nur ein Umdenken in Politik, Gesellschaft und Unternehmen erforderlich, sondern es braucht vielmehr entsprechende Rahmenbedingungen, die diese selbstbestimmten Lebensverläufe ermöglichen. Neben verschiedenen gleichstellungsorientierten politischen Maßnahmen ist dabei auch „eine gute Infrastruktur der privaten Haushaltsführung (…) sowohl für die Integration der Beschäftigten in existenzsichernde Arbeitsverhältnisse als auch für die gleichstellungsorientierte Organisation von Erwerbs- und Sorgearbeit von Bedeutung“ (ebd.: 170). Schließlich wird mit dieser Forderung auch die Relevanz haushaltsnaher Dienstleistungen für die Realisierung wohlfahrtsstaatlicher Leitbilder deutlich.
51 Die Kategorie „Wohlfahrtsstaat“ ist abzugrenzen vom Terminus des „Sozialstaates“, der die rechtlich-normative Dimension der entsprechenden Politikbereiche betont (vgl. Schmid 2011).
52 Die Realität weicht also stets – in mehr oder minder großen Anteilen – von diesen Typen ab, Reinformen treten praktisch nicht auf (vgl. Esping-Andersen 1997).
53 Ostner (2011) verweist ausdrücklich darauf, dass sich die skandinavischen Länder, die in den wohlfahrtsstaatspolitischen Diskursen häufig als Vorbild angeführt werden, untereinander ebenfalls stark unterscheiden. Dies wird deutlich, wenn etwa Leitbilder und Strategien der Familienpolitik verglichen werden: „Norwegen und Finnland sind Abweichler im nordeuropäischen Cluster: Lange Zeit investierte Norwegen wenig in die öffentliche Kinderbetreuung; Finnland bietet Eltern kleiner Kinder wiederum ein