Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
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32 Der für viele Forschungsbereiche der Sozial- und Kulturwissenschaften während der letzten 30 Jahre identifizierte „practice turn“ (Schatzki, Knorr Cetina, Savigny 2001) ist inzwischen durch einen intensiven wissenschaftstheoretischen Diskurs zu einem neuen Theoriekomplex geformt worden (vgl. exempl. Schäfer 2016). Alltag steht als Forschungsthema dabei häufig im Fokus praxeologisch ausgerichteter Studien und hat die Theorie maßgeblich mitgeprägt. Mithin ist eine praxeologische Forschungsperspektive zur Erfassung und Interpretation alltagswissenschaftlicher Phänomene, wie sie sich in den Haushaltswissenschaften, in der Geschlechter-, Familien- oder Konsumforschung wiederfindet, geeignet und wertvoll (vgl. Reckwitz 2010; Wahlen 2012; Reuter, Lengersdorf 2016).
33 Prägnante Entwicklungen sind hierbei für den Erwerbsbereich die „Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses“ (Jurczyk, Schier, Szymenderski et al. 2009: 32) durch eine Zunahme prekärer oder atypischer Beschäftigungsverhältnisse (befristet, in Teilzeit) und für den Familienbereich der Bedeutungsverlust der „Normalfamilie“ (v. a. in Westdeutschland) zugunsten vielfältiger familialer Lebensformen. Daneben zeigt sich im Alltag von Familien heute bspw. auch eine zeitliche Entgrenzung, eine „Vervielfältigung der Raum-Zeit-Pfade der Familienmitglieder“ (ebd.: 40) durch deren Eingebundenheit in verschiedene Institutionen (bspw. Schule, Betrieb) des Alltags (vgl. ebd.).
34 Dies ist nur ein Teilaspekt des Konzeptes. Für die weitere Ausdifferenzierung und Begründung von doing family vgl. Lange, Jurczyk, Thiessen 2014.
35 Bereits in den frühen Ausführungen zur Lebensführung in Familien identifiziert Rerrich Sorge bzw. Sorgeverantwortung als „die ,mächtigste‘ Determinante“ (Rerrich 1995: 183) auf alltägliche Lebensführung.
2.3 Zwischenfazit: Alltagsmanagement zur Bewältigung der Arbeit des Alltags
Private Haushalte im Allgemeinen sowie Familienhaushalte im Speziellen erbringen zahlreiche gesellschaftlich relevante Leistungen. Das Alltagsmanagement, welches hierfür erforderlich ist, verdeutlicht die Anforderungen, die die Arbeit des Alltags als Konstruktionsaufgabe an jede/n Einzelnen stellt. Das System der alltäglichen Lebensführung bildet mit seinen, auch dem Haushaltssystem zugrunde liegenden, übergeordneten Sinnstrukturen auf einer individuellen Ebene den Rahmen für das Alltagsmanagement, welches dann auf struktureller Ebene im Sinne des haushälterischen Dreiecksverhältnisses innerhalb eines Haushaltes ausgestaltet wird. Die Erkenntnisse zur familialen Lebensführung verweisen deutlich auf eine geschlechtlich konnotierte Zuordnung der Verantwortung für die Herstellung eines familialen Alltags. Die weibliche Verantwortung für das Alltagsmanagement wird daher auch in den folgenden Abschnitten weiter von Bedeutung sein.
3 Alltag in Familien – Leitbilder in Politik und Gesellschaft
Alltag bedeutet in Familien immer auch Arbeit – zumindest für die erwachsenen, haushaltsführenden Personen, das haben die Ausführungen zur familialen Lebensführung gezeigt. Dieser Alltagsgestaltung liegt dabei stets ein Normen- und Wertemuster zugrunde: Vorstellungen von Partnerschaft, Familienleben, einer beruflichen Entwicklung und Karrierezielen sowie anderen Aspekten der Lebensführung (Ernährungsstil, Konsummuster, politische Haltung, ehrenamtliches Engagement u. v. m.) geben tagtäglich sowie im Lebensverlauf vor, wonach Personen ihren Alltag ausrichten. Für den Alltag in Familien sind sowohl die persönlichen Leitbilder und Lebensentwürfe als auch gesamtgesellschaftlich verankerte Normen (etwa über Geschlechterrollen) entscheidend (Kapitel 3.1). In enger Verbindung dazu ist stets die wohlfahrtsstaatliche Tradition eines Landes zu sehen (Kapitel 3.2), welche die Leitbilder der Arbeitsteilung ebenso beeinflusst wie die Ausgestaltung politischer Rahmenbedingungen im Alltag (Kapitel 3.3). Ein Überblick über diese Lebensentwürfe und Rahmenbedingungen ermöglicht in einem nächsten Schritt einen Abgleich eben jener mit den tatsächlich gelebten Mustern der Alltagsorganisation in Familien.
3.1 Familie heute: Lebensentwürfe junger Menschen
Die Lebensentwürfe junger Menschen in Deutschland sind heute von einem Wunsch nach einer gelungenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer tendenziell partnerschaftlichen Verantwortungs- und Aufgabenteilung in Erwerbs- und Sorgearbeit geprägt. Ob als „Generation Y“36 oder als ,,pragmatische Generation“ bezeichnet, sind ihre Vorstellungen geprägt von einem deutlichen Schwerpunkt auf ein gelungenes Privatleben mit ausreichend freier Zeit für sich und die eigene Familie (vgl. Shell Deutschland Holding GmbH, TNS Infratest Sozialforschung 2015; Erfolgsfaktor Familie o. J.). Eine von Krisen und Unsicherheiten geprägte Gesellschaft bedingt gleichzeitig eine Skepsis gegenüber der Realisierbarkeit ihrer Vorstellungen: Etwa die Hälfte der in der Shell Jugendstudie37 Befragten hält eine gelungene Work-Life-Balance für schwer erreichbar. Die Jugendlichen befürchten, zukünftig neben dem Beruf zu wenig Freizeit und Zeit für Familie zu haben, was sich u. a. in einem leicht abnehmenden Kinderwunsch bei den jungen Männern und Frauen zeigt.38 Für viele junge Menschen ist der eigene Beruf zwar wichtig, eine Karriere jedoch nachrangig. Eine gelungene Vereinbarkeit hat oberste Priorität und spiegelt sich in Erwartungen an die Unternehmen wider: 97 % wünschen sich Arbeitgeber, die diese unterstützen und ermöglichen, allem voran durch flexible Arbeitsbedingungen, die eine Anpassung an die jeweilige persönliche Situation erlauben. Daneben stehen partnerschaftliche Leitbilder für die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, die idealerweise durch Teilzeitarbeitsmodelle für beide Eltern, die eine geteilte Sorgeverantwortung ermöglichen, realisiert werden. Dabei ist einerseits die wirtschaftlich eigenständige Existenz von Frauen für beide Geschlechter entscheidend, andererseits sehen sowohl Frauen selbst als auch Männer die Frauen in der Rolle der Zuverdienerin (vgl. Erfolgsfaktor Familie o. J.; Allmendinger, Haarbrücker 2013; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2013; Shell Deutschland Holding GmbH, TNS Infratest Sozialforschung 2015).
Da die Familiengründung einen entscheidenden biografischen Übergang darstellt und Familien im Fokus dieser Arbeit stehen, lohnt es sich, ergänzend den Blick auf die Lebensentwürfe junger Eltern zu richten. Bei Paaren mit jungen Kindern dominiert zunächst ebenfalls das Ideal der Partnerschaftlichkeit, in dem (in etwa) gleiche zeitliche Anteile an den beiden Arbeitsbereichen Erwerb und Care angestrebt werden. Laut „Familien in Deutschland“ wünschen sich 60 % der Eltern mit Kindern unter drei Jahren eine gleichmäßige Arbeitsteilung, allerdings schaffen es nur 14 % diese zu realisieren (vgl. Müller, Neumann, Wrohlich 2013).39 In einer Studie zu „Familienleitbildern in Deutschland“ des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung40 geben jeweils über 90 % der Männer und Frauen an, dass sich beide Geschlechter gleichermaßen um die Kinder kümmern sollen. Gleichzeitig stimmen die Befragten sowohl der Aussage zu, dass auch Mütter berufstätig bleiben und ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit erhalten sollen, als auch der Forderung, dass diese nachmittags zu Hause sein sollen, um die Kinder zu betreuen und auch beim Lernen zu unterstützen. Die längerfristige, alleinige Konzentration auf Sorgearbeit wird hingegen als nicht zufriedenstellend eingeschätzt. Unterdessen verliert das Idealbild von Vätern als Alleinernährer der Familie heute deutlich an Zustimmung. Es wird hingegen eine aktive Beteiligung von Vätern an der Sorgearbeit eingefordert, die sich auch in einer Verkürzung ihrer Erwerbsarbeitszeiten ausdrücken soll. Die persönlichen Leitbilder der Befragten stimmen nicht immer mit den als gesellschaftlich wahrgenommenen Leitbildern überein, wobei Mütter und Väter