Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler страница 11
![Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler](/cover_pre871152.jpg)
Die Komplexität alltäglicher Lebenswelten von Privathaushalten verdeutlicht schließlich die Notwendigkeit eines wahren Alltagsmanagements, im Sinne des Planens, Organisierens, Ausführens und Kontrollierens aller Aufgaben der alltäglichen Daseinsvorsorge. Auch wenn einzelne Faktoren mit Wirkung auf das alltägliche und haushälterische Handeln durch die vorgestellten haushaltswissenschaftlichen Theorien abgebildet werden können, treten deren Wirkungsweise oder Aspekte der gelebten Praxis von Haushaltsführung samt Zuständigkeiten in diesem Modell nicht explizit hervor.
2.2.2 Sozialwissenschaftliche Theorien und Konzepte
Die Arbeit des Alltags findet sich auch in sozialwissenschaftlichen Theorien und Konzepten wieder, die im Folgenden als Ergänzung zur haushaltswissenschaftlichen Perspektive dienen, um einen möglichst umfassenden analytischen Rahmen für den Gegenstandsbereich des Alltags in Familienhaushalten zu spannen. Die Grundlagen eines Alltagsmanagements werden in umfassender Weise zunächst mit dem Konzept der alltäglichen Lebensführung25 erfasst und beschrieben. Ein Mix aus theoretisch-konzeptionellen Überlegungen (Voß 1991) sowie empirischen Erhebungen und Analysen (Jurczyk, Rerrich 1993a; Projektgruppe „Alltägliche Lebensführung“ 1995) schafft zu Beginn der 1990er Jahre, als Reaktion auf gegenwärtige gesellschaftliche Wandlungstendenzen (insbesondere die zunehmende Flexibilisierung der Erwerbsarbeitssphäre sowie die Veränderung der Lebensentwürfe und -verläufe von Frauen im Spiegel modernisierter Geschlechterrollen), eine neue Perspektive auf den Alltag und das Alltagsmanagement von Individuen. Aus einer subjektorientierten Perspektive erfasst die alltägliche Lebensführung die Art und Weise, wie Individuen tagtäglich in den unterschiedlichsten Settings und Beziehungen ihr Leben führen und ihren Alltag gestalten. Im Gegensatz zum Begriff des Lebensstils, der sich als Forschungsdisziplin parallel entwickelt und ausdifferenziert hat, geht es in diesem Konzept nicht um objektiv sichtbare und der Distinktion dienenden äußere Ausdrucksformen (deutlich etwa durch Konsum, Mode, Musik) oder typische Sinn- und Deutungsmuster, sondern um praktische Gestaltungsweisen, durch die Individuen den jeweiligen Umwelten entsprechend ihre Lebensweise gestalten und dabei diverse Settings des Alltags strukturell und emotional „unter einen Hut bekommen“ müssen. Diese Leistung entspricht der Arbeit des Alltags und ist als eine stetig wachsende Herausforderung anzusehen (vgl. Jurczyk, Rerrich 1993b; Voß 1995; Jurczyk, Voß, Weihrich 2016; Müller 2016).
Das theoretische Konzept der alltäglichen Lebensführung26 lässt sich nach Voß anhand von sieben Eckpunkten umreißen und wird damit in seiner Relevanz für das Alltagsmanagement besser greifbar (vgl. Voß 1995; Jurczyk, Voß, Weihrich 2016):
1) Alltägliche Lebensführung als Tätigkeitszusammenhang: Es geht um die Gesamtheit aller Tätigkeiten, die den Alltag von Personen ausmachen, um eine „alltägliche Synchronie des Lebens“ (Voß 1995: 30). Dies bewirkt eine phasenweise stabile Form des gelebten Alltags, der sich bspw. durch Routinen und Regelmäßigkeiten auszeichnet. Dem zugrunde liegen stets auch Sinnstrukturen, die jedoch nicht im Fokus des Konzeptes stehen – diesen bildet die gelebte Praxis.
2) Alltägliche Lebensführung als Zusammenhang und Form der Alltagstätigkeiten: Die integrative Perspektive ist dabei nicht an der Fülle aller Tätigkeiten interessiert, sondern an den einzelnen Lebensbereichen, die zur Betrachtung ,,dimensional aufgeschlüsselt werden in zeitliche, räumliche, sachliche, soziale, sinnhafte, medial-technische, emotionale oder auch körperliche Aspekte“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 67) und dann als „Arrangement der einzelnen Arrangements“ (Voß 1995: 32) zusammenzuführen sind. Schließlich kann so auch zwischen unterschiedlichen Formen der Lebensführung unterschieden werden.
3) Alltägliche Lebensführung als Handlungssystem der Person: Die Integration aller Tätigkeiten ist die Hauptaufgabe der alltäglichen Lebensführung als Handlungssystem. Sie ist damit das fundamentale und wichtigste System für Individuen als Teil einer Gesellschaft, vermittelt zwischen diesen beiden Sphären. Das Handlungssystem ist unmittelbar an die Person gebunden, also nicht losgelöst zu betrachten oder auf andere Personen übertragbar.
4) Alltägliche Lebensführung als aktive Konstruktion und Leistung: Die Bindung an die Person verweist bereits darauf, dass alltägliche Lebensführung situations- und kontextadäquat „aktiv konstruiert, alltäglich praktiziert und erhalten sowie […] bei Bedarf auch modifiziert werden muss“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 69; Herv. i. Orig.). Es handelt sich dabei um ein strukturiertes Verfahren zur Alltagsgestaltung, welches reflexiv und unbewusst angewandt wird. Dies geschieht zwar in Abhängigkeit der Lebenslage von Personen, wird jedoch in aktiver Auseinandersetzung und daher individuell verschieden ausgearbeitet und lässt einen stabilen Bezugsrahmen entstehen.
5) Die Eigenlogik des Systems alltägliche Lebensführung: Trotz des Charakters einer aktiven Herstellungsleistung ist alltägliche Lebensführung überwiegend Resultat situativer Entscheidungen, die nur begrenzt reflektiert werden. So ergibt sich eine „funktionale wie strukturelle Eigenständigkeit“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 69), eine innere Eigenlogik des Systems.
6) Die nicht-deterministische Vergesellschaftung alltäglicher Lebensführung: Auch als subjektbezogene Herstellungsleistung sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die alltägliche Lebensführungvon Personen relevant, beeinflussen sie in ihrer Art und Weise. Neben objektiven Lebenslagen wirken auch soziokulturelle Einflüsse (Deutungsmuster, Standards oder Ideologien) sowie Lebens- und Familienformen hier prägend. So verschränken sie sich etwa in Beziehungen oder in privaten Haushalten miteinander, in denen Lebensführung kooperativ entsteht und erhalten wird.
7) Alltägliche Lebensführung als System sui generis: Schließlich ist die alltägliche Lebensführung als System sui generis zu verstehen, welches als Vermittler zwischen Individuum und Gesellschaft dient. Das Verhältnis zwischen diesen Sphären ist durch „Form und Logik“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 72) dieses Systems geprägt, das in jeder einzelnen Tätigkeit von Personen dieses System der Alltagsgestaltung zum Tragen kommt.
Bei allen Unterschieden in der alltäglichen Lebensführung zwischen Individuen lassen sich auch übergreifende Tendenzen analysieren.27 Diese ergeben sich vor dem Hintergrund der zeitdiagnostischen Analyse, die vier wesentliche Modernisierungstendenzen für die alltägliche Lebensführung hervorbringt. Erstens geht es um eine Rationalisierung der Lebensführung28 für die sich u. a. Routinen als besonders bedeutsam erweisen, da sie Kontinuität sichern können und „zur Entlastung von permanentem Entscheidungsdruck“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 63) beitragen. Für den kompetenten Umgang mit unsicheren und flexibilisierten Lebensbedingungen ist Vertrauen zudem eine wichtige Ressource der Lebensführung, die es erlaubt, auch ohne allumfassendes Durchplanen den Alltag kompetent zu gestalten. Zweitens zeigt sich eine Individualisierung der Lebensführung, für die autonome Verhaltensweisen der „Selbststeuerung und Selbstvergesellschaftung“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 63 f.) bedeutsam sind. Hierfür braucht es persönliche und soziale Kompetenzen des Einzelnen, gleichzeitig besteht die intersektionelle Wirksamkeit von Kategorien sozialer Ungleichheit fort. Drittens entwickelt sich eine Egalisierung der Geschlechterverhältnisse, die eine Verringerung traditioneller Geschlechterhierarchien bewirkt. Gleichzeitig jedoch offenbaren sich neue Ungleichheiten, etwa durch die konsistente Verantwortungszuschreibung unbezahlter Arbeit an die weibliche Hälfte der Gesellschaft. Die Wirksamkeit dieser Dichotomie