Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
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Aus soziologischer Perspektive handelt es sich bei privaten Haushalten auf einer Makroebene zunächst um ein deskriptives Merkmal für statistische Untersuchungen und Auswertungen sozialer Phänomene, während auf der Ebene einer Mikrosoziologie allen voran Kaufmann den Haushalt definiert und eine „Theorie der Haushaltstätigkeit“ (Kaufmann 1999) entwickelt hat (vgl. Thiessen 2004). Im Kern stehen dabei nach Kaufmann die Bemühungen um das Schaffen und Aufrechterhalten von Sauberkeit und Ordnung, da das Sich-Reinigen des Menschen (und seiner Umgebung) in zivilisierten Kulturen sein grundlegendes Handlungsmotiv ist (vgl. Kaufmann 1999). Der Haushalt ist bei Kauffmann daher unmittelbar an die Hausarbeit gebunden.
Familienhaushalte
In der vorliegenden Arbeit steht mit den Familienhaushalten eine besondere Form privater Haushalte im Fokus, weshalb Familien und deren Haushalte hier zunächst ebenfalls zu beschreiben sind. Die heute oftmals proklamierte „Pluralisierung von Lebensformen“ beschreibt die quantitativen Veränderungen von Haushalts- und Lebensmodellen – ohne und mit Kind(ern). Bei den familialen Lebensformen (d. h. jenen mit Kindern) unterliegt die über weite Teile des 20. Jahrhunderts wahrgenommene Dominanz der ,,Normalfamilie“ (Kernfamilie aus Elternpaar mit biologischen Kindern, meist verheiratet) als Ergebnis von Trennungen, Scheidungen, Wiederverheiratung, steigenden Zahlen von Alleinerziehenden sowie unverheirateten Paaren oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit Kindern einem Bedeutungsverlust. Die Variabilität familialer Lebensformen spiegelt stets den soziokulturellen Kontext einer Gesellschaft wider und unterliegt natürlicherweise einem steten Wandel. So gab es auch in vorindustriellen Gesellschaften vielfältige Lebensformen, jedoch mit dem Unterschied einer geringeren gesellschaftlichen Anerkennung, etwa von unehelichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, wohlfahrtsstaatliche Neuerungen oder veränderte Wertvorstellungen, Lebensentwürfe und Lebensverläufe (bspw. Bildungsexpansion, Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern) bedingen und ermöglichen diese dynamischen Prozesse gleichermaßen (vgl. Meier 2000; Nave-Herz 2014; Nave-Herz 2015; Krack-Roberg, Rübenach, Sommer et al. 2016).
,,Familie ist da, wo Menschen kontinuierlich füreinander sorgen und Verantwortung übernehmen“ (Heinrich-Böll-Stiftung 2017: 9). Dieses familienpolitisch hinterlegte Verständnis von Familie bringt eine Annäherung an das familienwissenschaftliche Verständnis des Familienbegriffs. Demnach ist Familie in Folge eines Perspektivwechsels („practical turn“) nicht mehr als natürliche, gegebene Form sondern als Praktik13, d. h. als Ergebnis aktiver Herstellungsleistung, zu sehen (vgl. Jurczyk 2014; siehe Kapitel 2.2.2). Das Konzept der Familien- und Lebensformen im Mikrozensus definiert Familien als Eltern-Kind-Gemeinschaften, zu denen folglich gemischt- oder gleichgeschlechtliche Ehepaare ebenso wie nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kind(ern) zählen (vgl. Krack-Roberg, Rübenach, Sommer et al. 2016). Familien bilden – je nach Perspektive – zwar meistens, jedoch nicht zwangsläufig einen gemeinsamen Haushalt. Das Leben von Familien als soziales Netzwerk kann auch über Haushaltsgrenzen hinweg stattfinden, dies zunehmend auch über mehr als zwei Generationen hinweg. Beziehungen in multilokalen Mehrgenerationenfamilien, etwa zwischen Eltern und ihren erwachsenen, in eigenen Haushalten lebenden Kindern, sind auch überweitere Entfernungen emotional stabil und versprechen intergenerationelle Solidarität und Unterstützungspotenzial. In den letzten Jahrzehnten haben multilokale Familienbeziehungen zugenommen, sodass Alltag in Familien heute als soziales Netzwerk zu verstehen ist, aufgrund des Reziprozitätsprinzips funktioniert und Daseinsvorsorge sichern kann (vgl. Hennig 2014).
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind Familienhaushalte, die aus zusammenwohnenden Eltern-Kind-Gemeinschaften bestehen. Im Sinne einer intergenerationellen Übernahme von Fürsorge sind für den familiären Alltag dabei häufig auch die Beziehungen zu weiteren Haushalten (vorrangig denen von Großeltern) entscheidend, wie im Laufe der Untersuchung deutlich werden wird (siehe Kapitel 8).
Funktionen und gesellschaftliche Relevanz privater Haushalte
Mit dem Ziel der unmittelbaren Daseinsvorsorge obliegen Haushalten „Aufgaben der Lebenserhaltung, der Persönlichkeitsentfaltung und der Kultur des Zusammenlebens“ (von Schweitzer 1991: 134), die sowohl durch eigens erstellte ebenso wie über den Markt bezogene Güter und Dienstleistungen hergestellt werden. Die gesellschaftliche Relevanz der Hausarbeit, der in privaten Haushalten und damit auch in Familienhaushalten erbrachten Leistungen, wird anhand der Funktionen deutlich, die von Schweitzer privaten Haushalten zuordnet (vgl. von Schweitzer 1983, 1991). Diese sind:
• Ökonomische Funktion: Durch die Erzielung von Einkommen und das Auftreten der Haushaltsmitglieder als Arbeitskraft in der Erwerbs- ebenso wie Sorgearbeit können im Privathaushalt Ressourcen erhalten und gesichert werden. Einkommenserzielung und -sicherung durch Erwerbsarbeit ist hierbei ebenso bedeutsam wie die Versorgung des Haushaltes mit Gütern und Dienstleistungen zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Dies bildet zugleich die Basis für die Erfüllung der übrigen Funktionen.
• Generative Funktion: In privaten Haushalten werden Kinder geboren und zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft herangezogen. Leistungen der Generationenfolge zum Fortbestand der Gesellschaft sowie die intergenerationelle Fürsorge im Lebensverlauf sind essenzielle Aufgaben privater Haushalte.
• Regenerationsfunktion: Eine stete Aufgabe der privaten Haushalte besteht in der Regeneration und Gesunderhaltung seiner Haushaltsmitglieder. Das Ziel ist es, durch Leistungen der Erholung, der bedarfsgerechten Ernährung oder (Körper-)Pflege, diese gesund zu erhalten und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
• Sozialisationsfunktion: Durch Leben und Alltag im privaten Haushalt, die damit vermittelten Werte und Normen sowie durch aktive Erziehungsleistungen tragen Haushalte wesentlich zur Bildung von Humanvermögen und damit der Integration von Individuen in die Gesellschaft bei.
Krüsselberg betont ebenfalls, dass Familienhaushalte in modernen Gesellschaften durch ihre generativen und regenerativen Leistungen der Bildung und Erhaltung von Humanvermögen die Funktionalität, nicht nur von Familien selbst, sondern ganzer Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Wahlstandsentwicklung sicherstellen (vgl. BMFSFJ 1995; Krüsselberg 2007; Nave-Herz 2014). Alle Leistungen der alltäglichen Daseinsvorsorge in privaten Haushalten im Allgemeinen sowie – aufgrund ihrer intergenerationellen Beziehungen – in Familienhaushalten im Besonderen sind damit wertschöpfende Leistungen: Sie zeigen sich mittelbar im Humanvermögen der Familien- und Haushaltsmitglieder sowie unmittelbar in den durch sie erbrachten und gesellschaftlich bewerteten Leistungen im Erwerbsleben (vgl. Meier 1995).
Der (ökonomische) Wert der Hausarbeit
Während Erwerbsarbeit, wie andere über Märkte organisierte Dienstleistungen oder Waren, in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) abgebildet wird, fallen die in privaten Haushalten erbrachten, wertschöpfenden Leistungen der unbezahlten Arbeit zunächst durch das ökonomische Raster. Private Haushalte (und damit auch Familienhaushalte) werden volkswirtschaftlich lediglich als konsumierende, wertvernichtende (oder sparende) Wirtschaftseinheiten sichtbar (vgl. exempl. Meier, von Schweitzer 1999; Richarz 2000; Thiessen 2004; Meier-Gräwe 2015b). Die Abgrenzung dieser beiden gleichermaßen gesellschaftlich relevanten Arbeitsbereiche nimmt mit Entstehung der Industriegesellschaft Einzug in das wirtschaftswissenschaftliche Denken (oft beschrieben als die Entstehung der sog. Nationalökonomie,