Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
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Abbildung 2: Jahresvolumen bezahlter und unbezahlter Arbeit im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Darstellung nach Schwarz 2017: 249
Die – auch nach Einführung des Satellitensystems Haushaltsproduktion – gesellschaftlich und (wirtschafts)wissenschaftlich weitgehend missachtete Relevanz von formeller und informeller Sorgearbeit induziert nach wie vor Kritik. In den 1970er Jahren diskutierten feministische Ökonominnen das Phänomen der – im Gegensatz zu den vorindustriellen Gesellschaften – nicht mehr vorhandenen Wertschätzung von Sorgearbeit unter dem Schlagwort „Arbeit aus Liebe“ (Bock, Duden 1977). Heute hingegen wird etwa von Meier-Gräwe (2012) mit der Systemrelevanz generativer Sorgearbeit argumentiert,18 um deren gesamtgesellschaftliche Aufwertung zu begründen. Sie betont damit die Tatsache, dass ohne die Leistungen privater Haushalte (Versorgung, Erziehung, Regeneration und Gesunderhaltung) kein gesellschaftliches System überhaupt funktionieren könnte, kein Gesellschaftsmitglied überlebens- oder arbeitsfahig wäre. Nach Meier-Gräwe sind die unbezahlten Tätigkeiten in privaten Haushalten, ebenso wie die niedrig entlohnten Tätigkeiten in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen (siehe Kapitel 5.2), daher sogar „Systemvoraussetzung“ (Meier-Gräwe 2012: 176) für die Funktionalität und das Wohlergehen einer Gesellschaft. Aus der Kritik resultiert die Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Ökonomie. Eine Abkehr von der marktzentrierten Nationalökonomie hin zu einer „Care-Ökonomie“19 würde nicht nur diese Arbeitsbereiche aufwerten, sondern auch die Ökonomie als Wissenschaft zu ihren aristotelischen Anfängen zurückführen und die Erfüllung der Bedürfnisse von Menschen (zurück) in den Fokus rücken. Care-Ökonom/innen sprechen sich hierzu etwa für eine Reformation des Produktivitäts- und Arbeitsbegriffes aus (vgl. Meier 1995; Madörin 2007; Meier-Gräwe, Ohrem, Häußler 2012; Meier-Gräwe 2012; Praetorius 2015). Winker (2015) schlägt ebenfalls eine umfassende gesellschaftliche Neuausrichtung vor, durch die Sorgetätigkeiten fokussiert, Dualismen – etwa von Monetarisierung und Nicht-Monetarisierung – überwunden und durch neue Bewertungsansätze abgelöst werden („Care Revolution“; Winker 2015).
Familienhaushalten, die im Zuge der alltäglichen Daseinsvorsorge ihre gesellschaftlich relevanten Funktionen erfüllen, indem sie Leistungen der Haushaltsproduktion erbringen, kommt letztlich eine enorme Bedeutung nicht nur individuell, für die in ihnen versorgten Haushaltsmitglieder, sondern auch für den Wohlstand und die Wohlfahrt einer Gesellschaft insgesamt zu – sie sind sogar deren unmittelbare Voraussetzung.
9 Ich habe mich hier auf eine knappe Darstellung des umfassenden Begriffs der Daseinsvorsorge beschränkt, der sich insbesondere durch den Mangel einer klaren und allgemeingültigen Definition auszeichnet. Unstrittig ist offenbar, dass der Begriff zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch den Verwaltungsjuristen Forsthoff Einzug in die Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften gehalten hat und seit Ende des 21. Jahrhunderts auch sozialwissenschaftliche Diskurse in Deutschland prägt. International finden sich zur Daseinsvorsorge vergleichbare Konzepte, die jedoch ebenso wenig klar definiert sind. Im Allgemeinen stellt die Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge nach Forsthoff wesentliche Daseinsberechtigung für die öffentliche Verwaltung dar (vgl. exempl. Neu 2009; Knorr 2018).
10 Ferner thematisiert Egner das Verhältnis des Haushaltes zur Haushaltung (Organisation, Planung, Management) und zur Hauswirtschaft, die er beide als gleichwertige Bestandteile eines Haushaltes definiert (vgl. Egner 1976)
11 Bei Haushalten, im Sinne der eine wirtschaftliche Einheit bildenden Personengemeinschaft, die mehrere Wohnorte aufweisen, kann es daher in der amtlichen Statistik zu Mehrfachzählungen kommen. Darüber hinaus können in einem Haushalt mehrere Familienformen zugleich vorkommen (vgl. Destatis 2018: 24).
12 Auch für Ein-Personen-Haushalte oder andere, nicht-familiale Lebensformen in Mehr-Personen-Haushalten gilt, dass diese als soziale Einheit ein Sachbezugssystem haben, welches dem Personalsystem des Haushaltssystems gleichgestellt ist (vgl. von Schweitzer 1991).
13 (Soziale) Praktiken sind routinisierte Verhaltensmuster: ,,A ‚practice‘ (Praktik) is a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‚things‘ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge. A practice – a way of cooking, of consuming, of working, of investigating, of taking care of oneself or of others, etc. forms so to speak a ‚block‘ whose existence necessarily depends on the existence and specific interconnectedness of these elements, and which cannot be reduced to any one of these single elements. […] The single individual – as a bodily and mental agent – then acts as the ‚carrier‘ (Träger) of a practice – and, in fact, of many different practices which need not be coordinated with one another.“ (Reckwitz 2002: 249 f.)
14 Während vorindustrielle Aufgabenbereiche von Frauen in der Landwirtschaft durch technischen Fortschritt wegrationalisiert wurden (bspw. die Herstellung von Kleidung) und gleichzeitig die Dienstboten aus vielen Haushalten (zuvor Hausgemeinschaften) verschwanden, fand sich in der Haushaltsführung ein neues Aufgabenfeld. Die neuen „Hausfrauen“ hielten fortan ihren im Industriesektor beschäftigten Männern den Rücken frei und trugen zu einer enormen Weiterentwicklung des sozialen Lebens bei, in dem ein gut geführter Haushalt zum Präsentierteller weiblicher Tugend wurde. Paradoxerweise werden Frauen dadurch in Haushalten mit hohen Einkommen zu den