Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler страница 12
![Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien - Mareike Bröcheler](/cover_pre871152.jpg)
Für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit interessant ist zudem der aus dem Konzept der alltäglichen Lebensführung hervorgegangene konzeptionelle Ansatz der familialen Lebensführung29 die „als Prozess der alltäglichen Verschränkung individueller Lebensführungen innerhalb der Familie“ (Jürgens 2001: 37) zu verstehen ist. Neben der alltäglichen Lebensführung der Individuen (die Erwachsenen, hier also Eltern30) wird hierzu auf einer zweiten Ebene die intersubjektiv aktiv konstruierte Verschränkung dieser Lebensführungen zu einer gemeinsamen, familialen Lebensführung analysiert. Diese Verschränkung zeigt sich inhaltlich (Vorstellungen über die Art der Lebensführung), räumlich (Streben nach einem gemeinsamen Wohnort), zeitlich (Abstimmung der Zeitstrukturen von Familienmitgliedern und Institutionen), sozial (Aufbau gemeinsamer Netzwerke) sowie emotional (Liebe als wesentliches Bindeglied innerfamiliärer Beziehungen, aber auch emotionale Bedeutsamkeit der familialen Lebensführung als solche). In all diesen Dimensionen wird schließlich der Arbeitscharakter der familialen Lebensführung deutlich, da es jeweils aktiver Herstellungsleistungen durch die Familienmitglieder bedarf, um diese Verschränkungen herzustellen (vgl. Jürgens 2001). Die bereits im Konzept der alltäglichen Lebensführung deutlich gewordene Bedeutsamkeil der Strukturkategorie Geschlecht wird hier ebenfalls in allen Dimensionen sichtbar. So sind es in verschiedenen Untersuchungen jeweils die Frauen bzw. Mütter, die – so wird es für unterschiedliche Lebenslagen und familiale Lebensformen deutlich – in größerem Maße als die Männer bzw. Väter zur Herstellung eines Familienalltags beitragen, indem sie tagtäglich die unterschiedlichen Puzzleteile zusammenfügen und versuchen, sie unter dem Dach des Familienlebens zusammenzuhalten. Nicht selten ist dies eine Herausforderung, die sich nur durch das Zurückschrauben eigener Bedürfnisse (privat wie beruflich), das Aushalten von Unstimmigkeiten und Konflikten und damit unter großer Belastung bewältigen lässt (vgl. Rerrich 1993; Rerrich 1994; Jürgens 2001). Ebenso relevant für eine gelungene familiale Lebensführung ist die Unterstützung durch andere Frauen, seien es unbezahlte Helferinnen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis oder bezahlte Helferinnen als Au-Pairs, Tagesmütter oder Haushaltshilfen. Sie zeugen von einer neuen Arbeitsteilung, nicht innerhalb von Part-nerschaften, sondern unter Frauen, entlang der sozialen Ungleichheitsdimensionen von sozialer Herkunft, Bildung, Ethnizität und Nationalität – wie von Hochschild (2000) als „global care chains“ bezeichnet und beschrieben – regelmäßig auch über Landesgrenzen hinweg (vgl. Rerrich 1993, 2002; Hochschild 2000; siehe Kapitel 5).
In den Ietzten Jahren hat sich zudem der Begriff des doing family auch in der deutschsprachigen Familienforschung verbreitet. Dieser schließt an die konstruktivistisch angelegten Ausführungen der alltäglichen Lebensführung an, arbeitet sie systematischer (anhand einzelner Dimensionen) auf und begründet sie zeitdiagnostisch (vgl. Jurczyk 2018b). Das Konzept doing family31 stellt eine alltagsnahe, praxeologische Forschungsperspektive32 dar, die insbesondere an das sozialkonstruktivistisch begründete Konzept des doing gender nach West und Zimmerman (1987) oder auch an kulturwissenschaftliche Ansätze anknüpft. Es fokussiert die Alltagspraktiken von Familien und fragt, was Familien und deren Mitglieder konkret tun und wie sie es schaffen, einen gemeinsamen Alltag und eine Identität als Familie herzustellen. Diese erscheint vor allem vor dem als ,,doppelte Entgren-zung“ (Jurczyk, Schier, Szymenderski et al. 2009) beschriebenen Phänomen sich verändernder Alltagswelten in Erwerb und Familie33 als forschungsrelevant (vgl.Jurczyk 2014, 2018a, 2018b).
Zentral für dieses Verständnis von Familie ist zum einen die „sinnhafte Kon-struktion eines gemeinschaftlichen Beziehungsgefüges“ (Jurczyk 2018a: 147), das heißt Aktivitäten, die Familien sich selbst als Familie erkennen und (nach innen wie außen) darstellen lassen. Hierzu dienen vor allem symbolisch aufgeladene Aktivitäten, wie etwa die gemeinsame Familienmahlzeit oder generell die bewusste Organisation von bestimmten Zeitfenstern für Familie und Familienaktivitäten (vgl. Rerrich 1993; Barlösius 2016; Jurczyk 2018b). Neben dieser klar sozialkonstruktivistischen Grundform von doing family ist auch das „Vereinbarkeits- und Balancemanagement“ (Jurczyk 2018a: 146) als tägliche Herstellungsleistung für einen gemeinsamen Familienalltag zu sehen, um trotz verschiedenster Zeit-strukturen und -logiken eine Ko-Präsenz von (allen) Familienmitgliedern zu ermöglichen.34 Letztlich ist Care- bzw. Sorgearbeit für familiale Lebensführungen und doing family von elementarer Bedeutung: 35
„Denn Familie ist ein (multilokales) Netzwerk besonderer Art, das zentriert ist um Care, d. h. um verantwortliche, emotionsgeleitete persönliche Sorge zwischen Generationen und Geschlechtern, die – teilweise existenziell – aufeinander angewiesen sind. […] So verstanden meint Familie als Herstellungsleistung hier die Herstellung fürsorglicher persönlicher Beziehungen, die sich weder auf verheiratete Eltern und ihre Kinder noch auf das Zusammenleben in einem Haushalt beschränken.“ (Jurczyk 2014: 66)
Ein gemeinsames Leben, mit persönlichen Beziehungen, gemeinsamer Zeit in räumlicher Nähe und die Möglichkeit zur Wahrnehmung von Sorgearbeit sind somit wesentliches Ziel von familialer Lebensführung und Inhalt der aktiv zu erbringenden Herstellungsleistungen. Alltagsmanagement als Haushaltsführung und Lebensführung bedeutet letztlich ein Austarieren von unterschiedlichen Di-mensionen des Alltags und der Alltagsstrukturen von Haushaltsmitgliedern und ist dabei zugleich individuelle Konstruktionsleistung. Dieses Verständnis findet sich auch bei Kaufmanns Charakterisierung eines Familienhaushaltes wieder:
„Der Ausdruck sollte beim Wort genommen werden. Denn ,den Haushalt machen‘ bedeutet nicht einfach nur, Staub zu wischen und die Gegenstände an ihren richtigen Platz zu rücken. Durch diese Routinehandgriffe wird Tag für Tag nichts anderes als die Existenzgrundlage der häuslichen Gemeinschaft geschaffen, die ohne diese Handgriffe nichts wäre. ,Den Haushalt machen‘ (im sächlichen Sinne) bedeutet auch, den Haushalt (im personalen Sinne) zu machen, also die Familie zu konstruieren.“ (Kaufmann 1999: 68)
Die Autor/innen des Konzeptes zur alltäglichen Lebensführung resümieren schließlich, dass der Arbeitsbegriff „im Zuge der Modernisierung der Moderne“ (Jurczyk, Voß, Weihrich 2016: 65) nicht mehr allein für den Bereich der Er-werbsarbeit, sondern zunehmend auch für die Sphäre des Privaten gilt. Das Spektrum der unbezahlten Arbeit, die Tätigkeiten der sachbezogenen Hausarbeit, Betreuungs- und Pflegeaufgaben – oder kurz: Sorgearbeit – umfasst, impliziert den Anspruch an deren umfassende Bewältigung (vgl. Jurczyk, Voß, Weihrich 2016). Gleiches gilt damit für die Aufgaben der familialen Lebensführung.
2.2.3 Nutzen der vorgestellten Theorien und Konzepte für den Forschungsansatz
Die bis hierher vorgestellten Ansätze stellen die theoretisch-konzeptionelle Grundlage für den gewählten Forschungsansatz dar. Im Konzept der Neuen Hausarbeit wird auf die Zunahme und die besondere Herausforderung koordinativer und synchronisierender Leistungen verwiesen, die in privaten Haushalten tagtäglich im Sinne eines Alltagsmanagements zu erbringen sind. Die Konzepte der alltäglichen und familialen Lebensführung erfassen die Erwerbs- und Sorgearbeit als Teil des Alltags von Personen und lassen sie – als System sui generis – zu einem sinnvollen Ganzen werden. Diese Strukturierung und Ordnung der alltäglichen Lebensführung über Routinen, ebenso wie reflexive Allpassungen der Lebensführung im Sinne der systeminternen Eigenlogik, wirkt dabei sowohl auf den Haushaltsstil ein, der ebenfalls ein Handlungssystem darstellt, als auch auf andere Sphären des Alltags. Die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft stellt durch die genannte Einbettung der Individuen in Haushaltskontexte und Lebensformen