Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
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47 Auf die theoretischen Grundlagen und Erkenntnisse zum Zusammenhang von Identität, (biologischem) Geschlecht und Gender (soziales Geschlecht, Geschlechterrolle) kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. In den letzten Jahrzehnten haben hier insbesondere die Arbeiten von Hagemann-White (1984), Butler (1991) sowie West und Zimmerman (1987) zu einem neuen, sozialkonstruktivistischen Verständnis von der Kategorie „Geschlecht“ geführt (Überblick über diese Forschungsperspektive geben im deutschsprachigen Raum u. a. die Arbeiten von Villa, Gildemeister und Wetterer). Der lange alleingültigen
Annahme, Geschlecht sei rein biologisch und damit natürlich bedingt, wird damit widersprochen. Die Autorinnen und Autoren verweisen auf die Heteronormativität unserer Gesellschaft, die hauptsächlich zwei Geschlechter (männlich und weiblich) kennt. Auch die Tatsache, dass seit dem 01. Januar 2019 ein drittes Geschlecht („divers“) im Personalausweis geführt werden kann, ändert daran bisher wenig. Die Gender- und Queer-Studies thematisieren zudem die Realität verschiedenster Geschlechterrollen, Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten, die sich jenseits dieser hegemonialen Binarität verorten.
48 In der hier zugrunde liegenden Studie (Wippermann 2016) wird mit der Systematik der DELTA-Milieus® gearbeitet. Auch bei einigen weiteren milieutheoretischen Zuordnungen innerhalb dieser Arbeit wird sich, soweit nicht anders benannt, auf diese Systematik bezogen.
49 Dies sind lediglich zwei, hier beispielhaft genannte Grundtendenzen mütterlicher Leitbilder, die vielfältige Formen annehmen können (vgl. Diabaté 2015).
50 Ein Blick in die Literatur zur Männer- und Väterforschung zeigt zweierlei: Zum einen ist der Begriff der „neuen Väter“ nicht so neu, wie es oft scheint – liegen die Anfänge der Diskurse hierzu doch bereits in den 1970er Jahren. Zum anderen hat sich in den letzten Jahrzehnten ein höchst differenziertes Forschungsfeld aufgetan, welches im Rahmen dieser Arbeit nicht wiedergegeben werden kann. Im Kontext familienwissenschaftlicher Diskussionen hat zudem die Einführung des Elterngeldes, als eine familienpolitische Maßnahme, mit der auch Männer klar adressiert und in der Erfüllung der „neuen Erwartungen“ unterstützt werden sollten, einen weiteren Aufschwung an Forschung in diesem Feld bewirkt. Gleichzeitig gibt es politische und gesellschaftliche Bereiche, die in den auch medial wirksamen Diskursen oftmals nicht im Zentrum stehen: So werden Benachteiligungen von Männern, etwa im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich („Jungen als Bildungsverlierer“, Bräutigam 2012), aufgedeckt; als nicht oder (bisher) wenig bearbeitete Problemfelder werden diese etwa auch für den zunehmenden Antifeminismus verantwortlich gemacht (vgl. exempl. Bundeszentrale für politische Bildung 2012).
3.2 Wohlfahrtsstaatliche Leitbilder – Die Relevanz von Care-Regimen
Um den Rahmen für die Organisation und Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sowie die Vorstellungen über die Ausgestaltung eines (Familien-)Alltags abzustecken, gilt es, neben den persönlichen Leitbildern auf der Mikroebene auch jene auf der Makroeben zu betrachten. Hierzu eignet sich die Charakterisierung von Gesellschaften und politischen Systemen anhand ihrer wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung, oder auch: Care-Regime. Lutz (2017) weist auf die Notwendigkeit einer intersektionellen Betrachtung von Care-Arbeit auf der Makroebene hin, die sich aufgrund des Zusammenwirkens unterschiedlicher Regime (als Beziehungsmatrix zwischen Staat, Markt und Familie) ergibt. So gibt es einerseits ein Gender-Regime, welches die geschlechtsdifferenzierte Organisation der Erwerbs- und Sorgearbeit beschreibt (siehe Kapitel 4.1), zweitens ein Migrations-Regime, welches die Beschäftigung von Migrantinnen in privaten Haushalten beeinflusst (siehe Kapitel 5.4), und schließlich das Care-Regime als Ausdruck der wohlfahrtsstaatlichen Tradition eines Landes (vgl. Lutz 2017). Die letztgenannte Perspektive soll an dieser Stelle näher beleuchtet werden, um politische Rahmenbedingungen für den Familienalltag und die Realisierbarkeit privater Leitbilder zur Ausgestaltung von Erwerbs- und Sorgearbeit vor diesem Hintergrund diskutieren zu können.
3.2.1 Typen von Wohlfahrtsstaaten und Care-Regimen
Schmid (2011) bezeichnet den Wohlfahrtsstaat als „politische Konstruktion“, da der Begriff „die verbindliche Regelung der sozialen Sicherheit durch Staat, Verbände, Betriebe sowie Verwandtschafts- und familiäre Systeme [bezeichnet]. Seine Funktion ist es, gegen die – vom Individuum nicht zu vertretenden – Risiken der modernen Industriegesellschaft, also Alter, Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflege, zu schützen und auf diese Weise über den Lebenslauf hinweg ein regelmäßiges Einkommen zu sichern“ (Schmid 2011: 117). In den sozialwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Analysen ist dieses Leitbild jedoch ein wirkungsmächtiges Konstrukt, welches als „empirische Kategorie zur vergleichenden Analyse der Inhalte und Determinanten moderner Staatsaktivitäten“ (Schmid 2011: 118) fungiert.51 Eine weit verbreitete Klassifizierung unterschiedlicher Traditionen von Wohlfahrtsstaaten geht auf Esping-Andersen (1997) zurück, der zwischen drei idealtypischen wohlfahrtsstaatlichen Traditionen52 in kapitalistischen Gesellschaften unterscheidet (siehe Tabelle 1). Er differenziert diese aufgrund des Umfangs der sozialen Sicherungssysteme (Indikator „De-Kommodifizierung“), Arten der „Stratifizierung“ (Mechanismen der Regulierung sozialer Ungleichheiten) sowie durch das damit verbundene Zusammenwirken von Staat, Privatwirtschaft und Familie zur Übernahme wohlfahrtstaatlicher Aufgaben (vgl. Esping-Andersen 1997; Schmid 2011; Heintze 2013).
Tabelle 1: Typologie kapitalistischer Wohlfahrtsstaaten nach Esping-Andersen
Quelle: Eigene Darstellung nach Schmid 2011 und Kirschner 2015: 181 f.
In konservativen Wohlfahrtstaaten, zu denen auch Deutschland gezählt wird, gibt es ein ausgeprägtes System sozialer Sicherung zur De-Kommodifizierung der Menschen von der Erwerbsarbeit, erbracht durch Sozialversicherungen. Dabei prägen starke soziale Differenzierungen die Versicherungsstrukturen, die am Modell der traditionellen „Normalfamilie“ ebenso wie dem Normalarbeitsverhältnis orientiert sind. Im Dreieck Markt-Staat-Familie kommt der Familie eine besondere Bedeutung und Verantwortung zu, gepaart mit einer deutlichen Feminisierung von Sorgeaufgaben. Das Ernährermodell und ein Streben nach Statuskonservierung sind somit wichtige Pfeiler konservativ geprägter Wohlfahrtsstaatlichkeit. Liberale Wohlfahrtsstaaten betonen hingegen die Verantwortung des Marktes und der Familie. Die Abhängigkeit der Einzelnen vom Markt bringt bei einer geringen Ausprägung sozialer Sicherungssysteme extreme soziale Ungleichheiten hervor. In sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten hingegen sind ein Rechtsanspruch auf Sozialleistungen sowie eine am Gleichheitsideal orientierte Politik oberstes Gebot. Für die allgemeinen Risiken des Erwerbslebens (Krankheit, Alter, auch Elternschaft) werden staatlich finanzierte Lohnersatzleistungen vorgehalten, um eine deutliche De-Kommodifizierung vom Erwerbssystem zu erreichen. Dabei gilt es, soziale Ungleichheiten – insbesondere in der Dimension Geschlecht – abzubauen. Sozialdemokratisch geprägte Staaten finden sich in den skandinavischen Ländern53, allen voran in Schweden (vgl. Esping-Andersen 1997; Leitner, Ostner, Schratzenstaller 2004; Schmid 2011; Heintze 2013).
Mit dem Konzept des „Wohlfahrtsmixes“ (Evers, Olk 1996) gesprochen, sind die wohlfahrtsstaalichen Kulturen durch eine jeweils unterschiedliche Gewichtung der Säulen Staat, Markt, Familie und – in diesem Konzept ergänzend – auch die Zivilgesellschaft