Das Geheimnis der gelben Narzissen. Edgar Wallace

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Das Geheimnis der gelben Narzissen - Edgar  Wallace

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und Schals dichter um sich, weil einzelne Schneeflocken niederfielen. Bald war die ganze Gegend von einer leichten weißen Decke überzogen, und die ersten Frühlingsblumen schauten in ihrer weißen Umrahmung recht kläglich aus.

      Die Gefängnisuhr schlug acht. Eine kleine Tür öffnete sich, und ein Mann trat heraus. Er hatte Jacke und Kragen zugeknöpft und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Lyne ließ die Zeitung sinken, in der er bis jetzt gelesen hatte, öffnete die Wagentür, sprang hinaus und eilte direkt auf den entlassenen Gefangenen zu.

      »Nun, Sam«, sagte er liebenswürdig. »Sie haben mich diesmal wohl nicht erwartet?«

      Der Mann stand plötzlich still, als ob er vom Blitz getroffen sei, und starrte auf die Gestalt in dem kostbaren Pelz.

      »Ach, Mr. Lyne«, erwiderte er mit gebrochener Stimme. »Sie sind es!« Er konnte nicht weitersprechen, die Tränen liefen ihm über die Backen, und er ergriff die ausgestreckte Hand mit seinen beiden Händen.

      »Sie haben doch nicht etwa gedacht, daß ich Sie im Stich lasse, Sam!« Lyne war ganz begeistert von seiner eigenen vornehmen Gesinnung.

      »Ich dachte, Sie hätten mich jetzt aufgegeben, Mr. Lyne«, entgegnete Sam Stay heiser. »Sie sind wirklich ein edler Herr und haben einen anständigen Charakter. Ich muß mich vor mir selber schämen!«

      »Unsinn, Sam, nicht doch! Kommen Sie schnell in meinen Wagen, mein Junge, setzen Sie sich hierher. Jetzt denken die Leute, Sie sind ein Millionär.«

      Der Mann schluckte, grinste verständnislos und stieg ein. Mit einem Seufzer sank er in die weichen Polster, die mit kostbarem, braunem Saffianleder bezogen waren.

      »Mein Gott, wenn man denkt, daß es Leute wie Sie in der Welt gibt, dann kann man wirklich noch an Engel und Wunder glauben!«

      »Reden Sie doch nicht so dummes Zeug, Sam. Sie kommen jetzt zu mir in meine Wohnung, essen sich einmal tüchtig satt, und dann werde ich Ihnen helfen, wieder etwas Neues anzufangen.«

      »Ich will jetzt auch wirklich ein ordentliches Leben führen«, sagte Sam mit einem unterdrückten Schluchzen.

      Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß gesagt werden, daß sich Mr. Lyne im Grunde sehr wenig darum kümmerte, ob Sam einen ordentlichen Lebenswandel führte oder nicht. Vielleicht wäre er sogar entsetzt gewesen, wenn Sam ein ordentlicher Mensch geworden wäre. Er hielt sich Sam ungefähr so, wie andere Leute sich seltenes Geflügel oder schöne Hunde halten, und war auf ihn nicht weniger stolz als andere Menschen auf ihre Briefmarken oder ihr chinesisches Porzellan. Sam gehörte zu dem Luxus, den er sich gestatten und mit dem er renommieren konnte. In seinem Klub erzählte er gern von seiner Bekanntschaft mit diesem Verbrecher -Sam war ein bekannter und berüchtigter Geldschrankknacker. Seine Anhänglichkeit war ein ungewöhnlicher Nervenkitzel für Lyne.

      Die Verehrung, die dieser Verbrecher Lyne entgegen brachte, war wirklich ungewöhnlich. Sam hätte ohne zu zögern sein Leben für diesen Mann mit dem blassen Gesicht und dem leichtfertigen Mund gegeben. Er hätte sich für seinen Wohltäter in Stücke reißen lassen, wenn er ihm dadurch irgendwie hätte nützen können, denn für ihn war Lyne ein vom Himmel herabgestiegener Gott. Zweimal war Sam zu kurzen Gefängnisstrafen verurteilt worden, und einmal hatte er auch länger gesessen, und jedesmal hatte Thornton ihn mit nach Hause genommen, großartig bewirtet und ihm eine Menge sehr überflüssige Ratschläge gegeben; dann hatte er ihn mit einem Anfangsgehalt von zehn Pfund wieder auf die Mitwelt losgelassen. Diese Summe genügte Sam gerade, um einen neuen Satz von Einbrecherwerkzeugen zu kaufen.

      Aber nie zuvor hatte Sam solche Dankbarkeit gezeigt, und nie vorher hatte Thornton Lyne sich so um ihn bemüht. Zunächst war ein heißes Bad vorgesehen, dann folgte ein warmes, luxuriöses Frühstück. Sam erhielt einen neuen Anzug, und in seiner Brusttasche steckten diesmal nicht nur zwei, sondern vier Fünfpfundnoten.

      Nach dem Frühstück hielt Lyne seine übliche Ansprache.

      »Ach, Mr. Lyne, das ist alles ganz schön und gut, aber für mich paßt es nicht!« sagte Sam offen und schüttelte den Kopf. »Ich habe alles versucht, um ein ehrliches Leben zu führen, aber es kommt mir immer etwas dazwischen. Als ich das letztemal herauskam, wurde ich doch Chauffeur und fuhr drei Monate lang ein Mietauto. Dann bekam so ein verdammter Detektiv von Scotland Yard heraus, daß ich keinen Führerschein hatte, und da war es mit dem ordentlichen Leben wieder aus. Es hat keinen Zweck, mir eine Stelle in Ihrem Geschäft zu geben, das würde doch nicht lange dauern. Ich bin nun einmal ein Leben in der frischen Luft gewöhnt und muß mein eigener Herr sein. Ich gehöre nun schon einmal zu den.«

      »Zu den Abenteurern«, sagte Lyne und lachte leise. »Ja, da haben Sie recht, Sam. Und ich kann Ihnen diesmal eine etwas abenteuerlichere Aufgabe geben, die so recht nach Ihrem Herzen sein wird.«

      Dann erzählte er ihm die Geschichte von der gemeinen Undankbarkeit des Mädchens, dem er geholfen, die er direkt vom Hungertod gerettet und die ihn in der niederträchtigsten Art und Weise betrogen hatte. Thornton Lyne war ein Dichter, aber er war ebenso auch ein Lügner. Er konnte genauso leicht die Unwahrheit wie die Wahrheit sagen. Als er nun von der Bosheit Odette Riders sprach, hörte Sam aufgeregt zu und kniff die Augenlider zusammen. Für eine solche Kreatur war keine Strafe zu schwer, sie verdiente nicht das geringste Mitgefühl.

      Thornton Lyne hielt einen Augenblick in seiner Erzählung inne, um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte auf Sam gemacht hatten.

      »Sagen Sie mir doch nur«, flüsterte Sam mit zitternder Stimme, »wie man mit dieser Kanaille abrechnen kann und ich gehe durch die Hölle, um Sie an dieser Person zu rächen!«

      »Das höre ich gerne«, erwiderte Lyne und goß aus einer hohen Flasche einen kräftigen Schluck ein. Es war Sams Lieblingsschnaps. »Nun kann ich Ihnen ja auch sagen, wie ich mir die Sache gedacht habe.«

      Sie saßen noch ein paar Stunden zusammen und planten furchtbare Rache an Odette Rider, die Thornton Lynes Eitelkeit so schwer gekränkt und deren aufrechte Haltung den Haß dieses lasterhaften Mannes entflammt hatte.

       Kapitel 4

      Am Abend desselben Tages, an dem Sam Stay aus dem Gefängnis entlassen wurde, lag Jack Tarling auf seinem harten Bett ausgestreckt. Er hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, las ein Buch über chinesische Philosophie und war mit sich und der Welt zufrieden.

      Er hatte einen aufregenden Tag hinter sich, denn er hatte den Auftrag erhalten, eine große Unterschlagung bei einer Bank aufzuklären. Diese Sache hätte eigentlich seine ganze Zeit in Anspruch genommen, wenn er nicht noch eine kleine private Nebenbeschäftigung gehabt hätte. Sie brachte ihm zwar nicht das mindeste ein, aber seine Neugierde und sein Interesse waren nun einmal geweckt.

      Er legte das Buch flach auf seine Brust, als er hörte, wie sein Assistent leise die Tür öffnete. Ling Chu trat lautlos ein und setzte ein Tablett auf den niederen Tisch neben dem Bett. Tarling sah, daß der Chinese ein blau-seidenes Gewand trug.

      »Du willst also heute abend nicht mehr ausgehen, Ling Chu?«

      »Nein, Lieh Jen.«

      Sie sprachen in der weichen, melodiösen Mundart von Schantung miteinander.

      »Warst du bei dem Mann mit dem schlauen Gesicht?« Als Antwort nahm der Chinese einen Briefumschlag aus seiner inneren Tasche und reichte ihn Tarling, der die Adresse las.

      »Dort lebt die junge Dame? Miss Odette Rider. 27, Carrymore Mansions,

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