Fritz Bauer und das Versagen der Justiz. Werner Renz

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Sprachen, auf Schwedisch, Dänisch und Deutsch.7 In einem Beitrag für die von ihm und Willy Brandt herausgegebene Exilzeitung Sozialistische Tribüne vom Februar 1945 erörterte Bauer die notwendige »Abrechnung mit den Kriegsverbrechern« und sprach sich im Namen der »deutschen Opposition« für eine »durchgreifende Revolution gegen Kriegsanstifter, Kriegsverbrecher und Verbrecher am deutschen Volke«8 aus. Mit Revolution meinte er eine auf »revolutionäres Recht« gestützte Aburteilung der NS-Verbrecher, das heißt, mit Hilfe eines Rechts, das erst rückwirkend zu schaffen sei. Auf der Grundlage des geltenden Rechts war nach Bauer die geforderte »Abrechnung« nicht möglich. So heißt es: »Die nazistische Revolution muss durch eine antinazistische Gegenrevolution beseitigt werden. Die Antinazisten können einen Mittelweg beschreiten, indem sie revolutionäre Gesetze und Revolutionstribunale mit rückwirkender Kraft schaffen, aber auch dieser Weg ist nicht der des geltenden Rechts, sondern der Weg revolutionären Rechts. Bestimmt sich das Volk zu ihm, werden wir nicht nur den Alliierten viele Schwierigkeiten abnehmen. Wir werden auch die Glaubwürdigkeit und Effektivität eines neuen Deutschland beweisen.«9

      Als Bauer seit Frühjahr 1956 in Hessen den rechtspolitischen Freiraum durch die von Georg August Zinn geführte Landesregierung erhielt, verstärkt NS-Verbrecher zu verfolgen und Ermittlungsverfahren einzuleiten, mussten die Staatsanwaltschaften und die Schwurgerichte mit dem Strafgesetzbuch (StGB) von 1871 hantieren. Bauer wusste nur allzu gut, dass das StGB kein geeignetes Instrument war, die NS-Verbrechen zu ahnden. Er hoffte, wie er wiederholt betonte, auf die rechtsschöpferische Kraft einer Gerechtigkeit anstrebenden Justiz. Daraus ist aber nichts geworden. Die Schwurgerichte wandten das gute alte Recht an, das als Individualstrafrecht wenig tauglich war, die kollektiv begangenen Massenverbrechen tatangemessen zu judizieren.

      Bauer hatte die Hoffnung, mit Hilfe von Verfahren gegen NS-Verbrecher den Deutschen das Spiegelbild ihres eigenen Handelns in den Jahren 1933 bis 1945 vor Augen führen zu lassen. In einem Prozess der Selbsterkenntnis sollten sie zu dem Ergebnis gelangen, dass sie hätten Nein sagen, sich dem Regime, seinen Untaten, seinen verbrecherischen Befehlen, verweigern müssen.

      Wenn Bauer erwartete, dass die NS-Prozesse den Deutschen eine »Unterrichtsstunde« erteilten, ihnen ein Lehrstück seien, bei ihnen Lernprozesse in Gang setzten, so deshalb, weil er den Glauben hatte, die Deutschen um einer besseren Zukunft willen zu engagierten Demokraten erziehen zu können, zu Menschen somit, die unsere in der Verfassung festgeschriebenen Grundwerte achten und die universell gültigen Menschenrechte verteidigen.

      Bauers Radbruch-Aufsatz ist unter Rekurs auf seine Nürnberg-Texte zu lesen. 1968 bezog er sich angesichts des Fehlschlags, den die NS-Prozesse seiner Ansicht nach weitgehend bedeuteten, auf sein radikales Denken nach Auschwitz, auf seine 1945/46 veröffentlichten Auffassungen, die freilich in der Bundesrepublik eingedenk der personellen Kontinuitäten in Politik und Justiz und der allgemeinen politischen Situation zu Beginn des Kalten Krieges nie eine Chance gehabt hatten.

      Die deutscherseits geforderte Entlassung der »Kriegsverurteilten« aus alliierter Haft, die Ablehnung der Nürnberger Rechtsgrundsätze, das Beharren auf der Anwendung des Rechts zur Tatzeit, das grassierende Gnadenfieber mit Beginn der Ost-West-Konfrontation, die Reintegration der Beamten des NS-Unrechtsstaats durch das »131er-Gesetz«, die bereitwillig vorgenommene Auslegung des »Überleitungsvertrags« von 1955 mit ihren verheerenden Konsequenzen für die Belangung derjenigen, gegen die alliierte Stellen wegen »Kriegsverbrechen« bereits Verfahren durchgeführt hatten, die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954, die Verjährung von Totschlag 1960 – all diese von Politik und Justiz zu verantwortenden Entwicklungen sah und beklagte Bauer.

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