Der Reiher. Giorgio Bassani

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Der Reiher - Giorgio  Bassani

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die das einstige Parteihaus, die heutige Carabinieri-Kaserne, mit der nächsten Querstraße bildete. Er spähte zum Bosco Elìceo hinüber: Nein, er hatte sich nicht getäuscht, auch er war noch geschlossen. Also würde ihm tatsächlich nichts übrigbleiben, als so lange zu läuten, bis man ihm aufmachte. Denn hier haltmachen mußte er unter allen Umständen; also blieb ihm keine Wahl.

      Aber als er dann vor den herabgelassenen Rolladen stand, über seinem Kopf das leuchtende Neonschild, da genügte die Vorstellung, plötzlich von Angesicht zu Angesicht Bellagamba gegenüberzustehen – es war ja keineswegs ausgeschlossen, daß er ihm selbst die Tür öffnete –, um ihn doch noch zurückzuhalten.

      Er erinnerte sich an Bellagamba aus den Jahren 1938 und 1939, als er die Uniform eines Korporals der faschistischen Miliz trug (Gino hieß er, wenn er sich nicht irrte, Gino Bellagamba), den Fes in den glattrasierten Stiernacken geschoben, so daß ihm die schwarze Quaste halb über den Rücken hing. Er erinnerte sich an seine Physiognomie: Man dachte an einen ländlichen Bramarbas, der dank der Ereignisse wieder in den aktiven Dienst eingestellt worden war. Fast den ganzen Tag stand er auf der Piazza, wie ein Wachhund, genau vor der Casa del Fascio. Er erinnerte sich der drohenden, verachtungsvollen Blicke, mit denen er damals auch ihn bedacht hatte, weil er Jude war, weil er unpolitisch war und weil er Grundbesitzer war, wenn er auf dem Weg in die Montina durch Codigoro kam und das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen … Nein, diesem Mann plötzlich gegenüberzustehen, mit dem er übrigens in seinem ganzen Leben noch nie ein Wort gewechselt hatte, und ihn darum bitten zu müssen – nämlich um die Erlaubnis, seine Toilette zu benutzen –, das würde alles andere als angenehm für ihn werden. Er war nahe daran – wenn es nur ein bißchen später wäre – kehrtzumachen und bei seinem Vetter Ulderico zu läuten.

      Und wohin sonst hätte er gehen können? Und übrigens, lohnte es sich, offen gesagt, wirklich, es sich selbst so schwerzumachen? Er hatte es seinerzeit immer vermieden, die Mitgliedskarte der Faschistischen Partei zu erwerben (nicht weil er je dagegen gewesen wäre, um die Wahrheit zu sagen, sondern nur so, aus jenem gewissen Zug seines Charakters heraus: dem Mangel an sozialem Empfinden); in dieser Hinsicht hatte er es anders gemacht als Ulderico, der es sich nicht zweimal hatte sagen lassen, als man ihm im Jahre 1932 die Mitgliedschaft anbot; er hatte sofort zugegriffen. Aber, wenn man es recht bedachte, waren die Faschisten von vor 1943 wirklich so viel schlechter als die Kommunisten von heute? Und die heutigen Gewerkschaften, eingerichtet als Zentren der Anmaßung und der Übergriffe gegen den, der etwas hatte, waren sie vielleicht besser als die faschistischen Organisationen? Im Falle Bellagambas allerdings stimmte vielleicht sogar, was Nives behauptete: daß er sich nach dem Zwischenspiel Badoglios zu den Faschisten von Salò geschlagen hatte. Durchaus möglich. Aber wenn selbst die Kommunisten, die heute die absoluten Herrscher von Codigoro waren, ihn in Ruhe ließen, warum sollte da ausgerechnet er Geschichten machen? Außerdem war es ja bekannt, daß Nives die Manie hatte, ihren Landsleuten eins auszuwischen. Dazu war ihr jede Gelegenheit recht …

      Während er so noch dastand, unschlüssig, aber auch in Unruhe wegen der beiden Jagdgewehre, die er für jedermann sichtbar auf dem Rücksitz seines Autos hatte liegenlassen (vielleicht sollte er doch lieber sofort zurückgehen und die Flinten zusammen mit der Patronentasche in den Kofferraum schließen), glaubte er auf einmal, aus dem Innern des Lokals Geräusche zu hören. Es war ein Ächzen, Stöhnen und Knarren, als ob da drinnen jemand mit großer Anstrengung Möbel rückte.

      Er wartete eine Pause ab; dann klopfte er bescheiden mit den Knöcheln an das Wellblech.

      Eine Stimme fuhr ihn an, laut, zornig und doch zugleich auch Angst verratend:

      »Wer ist da?«

      »Ich«, antwortete er leise.

      »Wer ist ich?«

      Er zögerte. Er hörte da drinnen Schritte näher kommen, die schließlich stockten.

      »Limentani«, sagte er.

      »Wer?«

      »Li-men-ta-ni«, wiederholte er, ohne die Stimme zu erheben und plötzlich verwundert über seinen eigenen Namen und darüber, wie fremd die Silben im Freien widerhallten.

      Mit einem Ruck wurde der Rolladen hochgezogen.

      Es war wirklich Bellagamba; er erkannte ihn gleich; er war nur noch stärker, dicker und stierhafter geworden. Unter dem Unterhemd zeichnete sich seine Brust wie die einer Frau ab. Jäh von seinem alten Widerwillen gepackt, war er drauf und dran, sich umzudrehen und wieder zu gehen. Vielleicht war jetzt noch Zeit dazu.

      Aber es war schon zu spät. Der andere riß die Augen auf (hellblaue Augen); er hatte ihn erkannt.

      »Das ist aber eine Überraschung!« erklärte er mit gedämpfter Stimme.

      Er lächelte ihm zu, wie von der Freude übermannt, wobei er seine kleinen kräftigen Boxerzähne zeigte.

      »So eine Überraschung!« wiederholte er. »Aber wissen Sie, Herr Rechtsanwalt«, fuhr er flüsternd fort und blinzelte ihm, höflich beiseite tretend, komplizenhaft zu, »wissen Sie, daß Sie mir beinahe einen Schrecken eingejagt haben? Aber kommen Sie doch herein, ich bitte Sie! Es ist kalt draußen. Treten Sie näher!«

      Alles hätte er erwartet, nur nicht diesen herzlichen und so wortreichen Empfang (merkwürdig: Auch Bellagamba sprach wie jener William, der Mann Irma Manzolis, ein gewandtes, flüssiges, korrektes Italienisch). Wie dem auch sei, er war darüber nicht glücklich. Fast wäre ihm ein schlechter, feindseliger Empfang noch lieber gewesen, bei dem es ihm überlassen geblieben wäre, dann die Rolle des großmütig Verzeihenden, des vornehmen Herrn zu spielen, der über gewisse Dinge hinwegsieht. Und was sollte diese Pose des Mitverschworenen, in der sich Bellagamba gefiel? Rechnete er etwa damit, er könne ihn, wenn er ihn erst einmal in seine Höhle gezogen hatte, dazu bewegen, mit ihm gemeinsam den schönen Zeiten des faschistischen Imperiums oder gar der Republik von Salò nachzuweinen? Sicher wußte auch Bellagamba so gut wie jeder andere in Codigoro genau, was ihm im vergangenen April in der Montina zugestoßen war. Aber wenn er sich jetzt vielleicht einbildete, er würde bei ihm seinem Herzen Luft machen, dann hatte er sich gründlich geirrt. Er hatte gegen niemanden etwas, und schon gar nichts gegen Bellagamba. Aber, wohlverstanden, keine plumpen Vertraulichkeiten!

      Indessen war er eingetreten, übrigens mit dem Gefühl – vielleicht auch des ungemein starken Geruchs nach gebratenem Fisch wegen, der ihm schon auf der Schwelle schier den Atem benahm –, tatsächlich in eine Höhle zu kommen, in den Bau eines wilden Tieres. Er nahm seine Pelzmütze ab und sah sich um. Er befand sich in einem mittelgroßen, saalartigen Raum, der in fast vollkommene Dunkelheit getaucht war. Nur an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite verbreitete auf einer Art Katheder eine Tischlampe mit grünem Seidenschirm ein wenig Licht.

      Das Katheder war freilich, wie er bald begriff, nur die Rezeption des Hotels; alles funkelnagelneu. Hinter dem Tisch, an der Wand, hingen an numerierten Haken, die in doppelter Reihe in der frisch gekalkten Wand angebracht waren, zehn oder zwölf Schlüssel. Mehr konnte er in dem schwachen Lichtschein nicht erkennen, aber es genügte ihm. Ihm genügte der Tisch der Rezeption mit den Schlüsseln an der Wand, um sich bewußt zu werden, wie wenig dieses Lokal, das der einstige Korporal der faschistischen Miliz zu einem Restaurant und Hotel gemacht hatte, der anspruchslosen ländlichen Schenke glich, wie sie in seiner Erinnerung existierte.

      Bellagamba war zurückgeblieben. Er hörte ihn leise fluchen: Der Rolladen wollte sich nicht wieder herunterziehen lassen. Dazwischen rief er ihm in Abständen zu, ja vorsichtig zu sein. Auf dem Fußboden stehe eine erst halb geöffnete Kiste mit etwas Schwerem darin – einer Schnellwaage; sie war gestern abend mit der Post aus Mailand gekommen. Er möge also aufpassen, daß er nicht darüber stolperte und sich weh tat.

      Aber

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