Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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– Ich werde es Ihnen gleich erklären. Die Gräfin Samoris gehört zu jenen Talmi-Fremden, wie sie auf Paris alljährlich zu Hunderten herabregnen. Sie war eine Gräfin aus Ungarn oder der Walachei, oder sonst woher, und tauchte eines Winters in einem Hause der Champs-Élysées, dieses Abenteurer-Viertels, auf, wo sie ihre Salons aller Welt öffnete.
Ich ging auch hin. Warum? werden Sie fragen. Ich weiß es selbst nicht recht. Ich ging hin, wie wir alle hingehen, weil dort gespielt wird, weil die Weiber gefällig und die Männer Gauner sind. Sie kennen ja diese Freibeuterwelt mit ihren mannigfachen Aushängeschildern, sie sind alle von edler Geburt, alle haben Titel, und alle sind auf den Gesandtschaften unbekannt, ausgenommen die Spione. Alle sprechen von Ehre, auch wenn von ihren Stiefeln die Rede ist, prahlen mit ihren Vorfahren und erzählen von ihrem Leben; sie sind allesamt Aufschneider, Lügner und Schelme, verdächtig wie ihre Karten, trügerisch wie ihre Namen, kurz, eine rechte Galgen-Aristokratie.
Ich liebe diese Leute! Es ist interessant, sie zu durchschauen, interessant, sie kennen zu lernen, amüsant, sie anzuhören; sie sind oft geistreich und nie banal, wie öffentliche Beamte. Ihre Weiber sind immer hübsch, mit einem kleinen Stich ins Ausländisch-Gaunerhafte, vom Geheimnis ihres Daseins umwittert, das sie vielleicht zur Hälfte in einem Korrektionshause verbracht haben. Im Allgemeinen haben sie prächtige Augen und unwahrscheinlich schönes Haar; sie liebe ich gleichfalls!
Frau Samoris ist der Typus dieser Abenteuerinnen. Sie ist elegant, üppig und noch schön, reizend und verschlagen; man spürt, sie ist lasterhaft bis ins Mark. Bei ihr amüsierte man sich besonders gut, man spielte, tanzte, soupierte… kurzum, man ging in ihrem Hause allen weltlichen Vergnügungen nach.
Sie hatte eine schon erwachsene Tochter, eine große und stolze Erscheinung. Sie war immer fröhlich, immer zu Kurzweil aufgelegt, immer über das ganze Gesicht lächelnd und von leidenschaftlicher Tanzlust. Aber sie war unschuldig, unwissend und von Herzen naiv; sie sah nichts, wusste nichts, verstand nichts und erriet nichts von alledem, was im Hause ihrer Mutter vorging.
– Woher wissen Sie das?
– Woher ich das weiß? Das ist bei der ganzen Sache das drolligste. Eines schönen Morgens klingelte es bei mir und mein Kammerdiener meldete einen Herrn Joseph Bonenthal, der mich zu sprechen wünschte. Ich fragte gleich:
– Wer ist dieser Herr?
– Ich weiß nicht recht, gnädiger Herr, sagte mein dienstbarer Geist, es ist vielleicht ein Diener.
Es war auch wirklich ein Diener, der bei mir in Stellung gehen wollte.
– Woher kommen Sie? fragte ich ihn.
– Von Frau Gräfin Samoris.
– Ach!… Aber in meinem Hause geht es anders zu, als bei ihr.
– Ich weiß wohl, gnädiger Herr, deshalb wollte ich grade zum gnädigen Herrn kommen. Ich habe von den Leuten da genug; das macht man wohl mal mit, aber man bleibt doch nicht da.
Da ich grade noch einen Diener brauchte, nahm ich ihn.
Einen Monat später starb Yveline Samoris auf geheimnisvolle Weise. Ich habe alle Einzelheiten ihres Todes von Joseph erfahren, der sie wiederum von seiner Freundin, der Kammerzofe der Gräfin, hatte.
Eines Abends war Ball bei Samoris und zwei neue Gäste plauderten hinter der Tür. Fräulein Yveline, die eben getanzt hatte, lehnte sich gegen diese Tür, um ein wenig Luft zu holen. Sie sahen sie nicht kommen und das Mädchen verstand ihre Unterhaltung.
– Aber wer ist denn der Vater des jungen Mädchens? fragte der eine.
– Ein Russe, scheint es, ein Graf Ruwaloff. Er sieht die Mutter nicht mehr.
– Und der jetzt regierende Herr?
– Jener englische Prinz, der sich ins Fenster lehnt. Frau Samoris betet ihn an. Nur dauern ihre Anbetungen nie länger als vier bis sechs Wochen. Übrigens sehen Sie ja, dass es an Freunden nicht fehlt; alle sind berufen… und fast alle werden auserwählt. Das ist ein etwas teurer Scherz, aber… Basta!
– Woher hat sie denn aber den Namen Samoris?
– Von dem einzigen Manne vielleicht, den sie geliebt hat, einem jüdischen Bankier aus Berlin, der Samuel Borris hieß.
– Gut. Ich danke Ihnen, Jetzt, wo ich unterrichtet bin, sehe ich klar. Und ich werde gerade aufs Ziel gehen.
Welcher Sturm der Entrüstung in dem Gehirn dieses jungen Mädchens ausbrach, das alle Instinkte eines anständigen Weibes besaß; welche Verzweiflung diese unschuldige Seele erfasste; welche Qualen diesem unaufhörlichen Frohsinn, diesem bezaubernden Lachen, dieser übermütigen Lebensfreude ein Ende bereiteten; welcher Kampf in dem Herzen des armen jungen Wesens tobte, bis der letzte Gast gegangen war: das alles hat mir Joseph nicht verraten können. Aber noch an demselben Abend trat Uveline plötzlich in das Zimmer ihrer Mutter, die sich gerade hinlegen wollte, hieß das Kammermädchen herausgehen, das hinter der Tür stehen blieb, und sagte mit bleichem Gesicht und großen Augen:
– Mama, dies habe ich eben im Salon gehört. Und damit erzählte sie die Unterhaltung, die ich Ihnen eben anvertraute, Wort für Wort wieder.
Die Gräfin war betroffen und wusste zu Anfang nicht, was sie sagen sollte. Dann stellte sie alles energisch in Abrede, erfand eine Geschichte, schwur und rief Gott zum Zeugen an.
Das junge Mädchen ging verwirrt, aber nicht überzeugt, und passte seither auf.
Ich ensinne mich noch sehr deutlich der seltsamen Veränderung, die mit ihr vorgegangen war. Sie war immer ernst und traurig und blickte uns mit ihren großen Augen starr an, als ob sie auf dem Grund unserer Seelen lesen wollte. Wir wussten nicht, was wir davon halten sollten, und glaubten wohl, sie suchte einen Mann, sei es für immer, sei es vorübergehend.
Eines Abends war sie nicht mehr in Zweifel: sie überraschte ihre Mutter. Da sagte sie kalt, wie ein Geschäftsmann, der seine Vertrags-Bedingungen vorschlägt: