Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 32
Damit ging er herauf in sein Zimmer, um sich als Bauer anzuziehen, wie er sagte. Bald erschien er in blauer Leinewand wieder. Auf dem Kopfe hatte er einen Farmerhut, an den Füßen gelbe Lederschuhe, kurz, er sah aus wie ein Pariser im Schwank-Kostüm. Auch schien er noch gewöhnlicher, vertraulicher und jovialer geworden zu sein und mit seiner Bauernkleidung eine Zwanglosigkeit und Ungebundenheit angetan zu haben, wie er sie hier wohl für angebracht hielt. Sein neues Auftreten berührte Herrn und Frau von Méroul etwas peinlich, denn sie blieben auch auf ihrem Landsitz ernst und würdig, als ob die drei Buchstaben vor ihrem Namen sie zu einer gewissen Feierlichkeit selbst im engsten Kreise verpflichteten.
Nach dem Frühstück wurden die Höfe besichtigt, und der Pariser machte die ehrerbietigen Bauern durch seinen plump vertraulichen Ton stutzig.
Abends aß der Pfarrer im Hause, ein alter, wohlbeleibter Herr, und steter Sonntagsgast; er war zu Ehren des Neuangekommenen ausnahmsweise zu diesem Tage gebeten.
Als Josef ihn erblickte, schnitt er ein Gesicht und blickte ihn dann erstaunt an, wie ein seltenes Wesen von besonderem Schlage, das er noch nie so nahe gesehen hatte. Im Verlaufe der Mahlzeit erzählte er allerhand gewagte Stücklein, die im vertrauten Kreise wohl durchgehen mochten, hier aber, in Gegenwart eines Geistlichen, den Mérouls sehr wenig am Platze schienen. Auch sagte er nicht einmal »Herr Pfarrer«, sondern ganz kurz »Herr« und setzte den Priester durch philosophische Betrachtungen über die verschiedenen Arten von Aberglauben auf dem Erdrund in nicht geringe Verlegenheit. »Ihr Gott, mein Herr«, sagte er, »gehört zu denen, die man achten soll, aber auch zu denen, über die man streiten muss. Der meine heißt Vernunft; er ist von jeher der Feind des Ihren gewesen«… u. s. w.
Die Mérouls waren verzweifelt und bemühten sich, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken. Der Pfarrer ging frühzeitig.
Da sagte der Gatte sanft:
»Du bist in Gegenwart dieses Priesters vielleicht etwas zu weit gegangen.«
Aber Josef rief sofort: »Das ist ausgezeichnet! Ich werde mich vor so einem Schwarzen wohl noch genieren! Übrigens weißt du: Tue mir den Gefallen, und setze mir diesen Biedermann bei Tische nicht mehr vor. Ihr mögt ihn ja frequentieren, so viel Ihr wollt, Sonntags und Werkeltags, aber sapperlot! setzt ihn nicht Euren Freunden vor.
– Aber mein Lieber, in seiner heiligen Eigenschaft…
– Jawohl, weiß schon, fiel ihm Josef Mouradour ins Wort. Man muss sie behandeln, wie zarte Jungfern. Kennen wir, mein Freund! Wenn die Leute da meine Überzeugungen ehren, ehre ich die ihren auch!
Das war der erste Tag.
Als Frau von Méroul am nächsten Morgen in das Wohnzimmer trat, sah sie mitten auf ihrem Tische drei Zeitungen liegen, vor denen sie unwillkürlich zurückwich; es waren der »Voltaire«, die »République Française« und die »Justice.«
Und alsbald erschien Josef Mouradour, wieder ganz in blau, auf der Schwelle, mit der Lektüre des »Intransigeant« beschäftigt.
– Hier, rief er, steht ein famoser Artikel von Rochefort. Der Kerl ist wirklich überraschend.
Er las ihn dann mit lauter Stimme vor, indem er auf die Kraftstellen einen besonderen Nachdruck legte, und war so begeistert, dass er das Erscheinen seines Freundes garnicht bemerkte.
Herr von Märoul trat mit dem »Gaulois« und dem »Clairon« in der Hand ein, diesen für seine Frau, jenen für sich mitbringend. Er hörte, wie die glühende Prosa des meisterhaften Schriftstellers, der das Kaiserreich niederdonnerte, in südlichen Akzenten und leidenschaftlicher Tonart vorgetragen, durch das friedliche Zimmer scholl, die alten Gardinen mit ihren graden Falten in Schwingung versetzte, und die Wände, die großen gewirkten Lehnstühle, die ganzen schweren Möbel, die seit einem Jahrhundert auf demselben Fleck standen, mit einem Hagel herumschnellender, boshafter, höhnender, vernichtender Worte überschüttete…
Mann und Frau, er stehend, sie sitzend, hörten mit Staunen zu und ärgerten sich dermaßen, dass sie kein Glied rührten.
Mouradour schmetterte das Finale heraus, wie man eine Rakete abbrennt, und fragte dann in triumphierendem Tone:
– Was? Ist das nicht gut gesalzen?
Plötzlich aber bemerkte er die beiden Blätter, die sein Freund mitgebracht hatte, und blieb diesmal selbst vor Staunen starr. Dann eilte er mit großen Schritten auf ihn zu und fragte mit wütender Stimme:
– Was willst du mit den Wischen da?
– Aber… machte Herr von Méroul zögernd, das sind ja meine… meine Zeitungen!
– Deine… Zeitungen? Ei sieh, du machst dich wohl über mich lustig! Du wirst mir das Vergnügen machen, die meinen zu lesen; die werden dir den Kopf zurechtsetzen. Die deinen aber… sieh mal, das mach’ ich mit ihnen, das…
Und ehe sein verdutzter Wirt etwas dagegen tun konnte, hatte er die beiden Blatter ergriffen und zum Fenster hinaus geschleudert. Dann überreichte er die »Justice« mit wichtiger Gebärde der Frau von Méroul, übergab den »Voltaire« ihrem Gatten und ließ sich selbst in ein Fauteuil fallen, um den »Intransigeant« zu Ende zu lesen.
Mann und Frau taten anstandshalber so, als läsen sie etwas darin und gaben ihm darauf die republikanischen Blätter zurück, fassten sie dabei aber nur mit den Fingerspitzen an, als wären sie vergiftet.
Da lachte er, lachte laut und erklärte:
– Acht Tage diese Kost und ich bekehre Euch zu meinen Ideen!
Nach acht Tagen war er wirklich der Herr im Hause. Er hatte dem Pfarrer die Tür verschlossen; Frau von Méroul besuchte ihn nur insgeheim; er hatte verboten, dass der »Gaulois« und der»Clairon« ins Haus kamen; dafür wurden sie von einem Bedienten heimlich von der Post geholt, und wenn er erschien, unter das Sophakissen versteckt; er bestimmte alles nach seinem Gutdünken und war stets bezaubernd und jovial in seiner tyrannischen Allmacht…
Indessen wurden andere Bekannte erwartet,