Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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et­was Kal­tes durch die Keh­le rinnt. Wenn er sich aber heu­te auch nur zwei Glas Bier ge­stat­te­te, dann war es mor­gen mit sei­nem kar­gen Abend­brot vor­bei, und die Stun­den des Hun­gers am Mo­nats­en­de wa­ren ihm nur zu wohl be­kannt.

      Er sag­te sich: »Bis zehn Uhr muss ich aus­hal­ten, und dann trin­ke ich einen Bock à l’A­me­ri­cain. Don­ner­wet­ter, habe ich jetzt einen Durst!« Und er blick­te all die­se Men­schen an, die an den Ti­schen sa­ßen, tran­ken und ih­ren Durst lö­schen konn­ten, so viel sie woll­ten. Und wäh­rend er äu­ßer­lich keck und zu­ver­sicht­lich an den Cafés vor­über­ging, ta­xier­te er mit ra­schem Blick nach dem Aus­se­hen und der Klei­dung ei­nes je­den Gas­tes, wie viel Geld er wohl mit sich trug. Eine Wut er­griff ihn ge­gen die­se ru­hig da­sit­zen­den Leu­te. Wenn man ihre Ta­schen durch­such­te, so wür­de man Gold, Sil­ber und Klein­geld fin­den. Durch­schnitt­lich muss­te je­der wohl zwei Zwan­zig­fran­cs­stücke bei sich ha­ben, etwa hun­dert Men­schen sa­ßen in je­dem Café, und hun­dert­mal zwei­mal zwan­zig macht vier­tau­send Fran­cs. »Schwei­ne­hun­de!« mur­mel­te er vor sich hin und ging mit wie­gen­den Schrit­ten wei­ter. Hät­te er nur einen an ir­gend­ei­ner dunklen Stra­ßen­e­cke fas­sen kön­nen, wür­de er ihm weiß Gott ohne Be­den­ken den Hals um­ge­dreht ha­ben, wie er es mit den Dorf­hüh­nern an den Ta­gen der großen Ma­nö­ver tat.

      Er dach­te an sei­ne zwei Dienst­jah­re in Afri­ka und an die Art und Wei­se, wie man in den klei­nen Vor­pos­ten im Sü­den den Ara­bern das Geld ab­nahm. Ein grau­sa­mes, zu­frie­de­nes Lä­cheln glitt über sei­ne Lip­pen, als er ei­nes Strei­ches ge­dach­te, der drei Män­nern vom Stam­me der Uled-Alan das Le­ben kos­te­te und ihm und sei­nen Ka­me­ra­den zwan­zig Hüh­ner, zwei Scha­fe und Gold ein­brach­te und hei­te­ren Ge­sprächss­toff für sechs Mo­na­te.

      Die Schul­di­gen wa­ren nie ent­deckt wor­den, man hat­te sie auch frei­lich nie ge­sucht, da der Ara­ber so­zu­sa­gen als na­tür­li­che Beu­te der Sol­da­ten galt.

      In Pa­ris war das an­ders. Hier konn­te man nicht mit dem Sä­bel an der Sei­te und dem Re­vol­ver in der Faust, fern vom wach­sa­men Auge der bür­ger­li­chen Ge­richts­bar­keit, in vol­ler Frei­heit her­um­plün­dern.

      Wahr­haf­tig, er dach­te mit Weh­mut an die­se zwei Jah­re in der Wüs­te zu­rück. Wie scha­de, dass er nicht da un­ten ge­blie­ben war! Er hat­te sich Bes­se­res er­hofft, als er heim­kehr­te. Und nun … Ach ja, jetzt hat­te er, was er woll­te!

      Er schnalz­te mit der Zun­ge, als woll­te er kon­sta­tie­ren, wie völ­lig aus­ge­dörrt sein Mund schon wäre.

      Lang­sam und müde schob sich die Men­ge an ihm vor­über, und er dach­te im­mer noch: »Die­ses Pack! All die­se Idio­ten ha­ben Geld in der Wes­ten­ta­sche!« Er rem­pel­te die Men­schen an und pfiff dazu eine lus­ti­ge Me­lo­die. Män­ner, die er ge­schubst hat­te, dreh­ten sich schimp­fend um, und die Frau­en rie­fen ent­rüs­tet: »Un­ge­zo­ge­ner Lüm­mel!« Er ging am Vau­de­ville vor­bei und blieb vor dem Café Ame­ri­cain ste­hen. Er frag­te sich, ob er nicht doch ein Glas Bier trin­ken soll­te, so quäl­te ihn der Durst. Ehe er sich ent­schloss, sah er auf die be­leuch­te­te Uhr mit­ten auf dem Fahr­damm. Es war ein Vier­tel nach neun. Er kann­te sich zu ge­nau: so­bald das Glas Bier vor ihm stün­de, wür­de er es mit ei­nem Zug hin­un­ter­schlu­cken. Was soll­te er dann bis elf Uhr an­fan­gen?

      Er über­leg­te: »Ich gehe noch bis zur Ma­de­lei­ne und keh­re dann lang­sam zu­rück.«

      Als er an die Ecke des Place de l’O­pe­ra kam, be­geg­ne­te er ei­nem di­cken jun­gen Man­ne, des­sen Ge­sicht ihm ir­gend­wie be­kannt er­schi­en.

      Er folg­te ihm und such­te sich zu er­in­nern, wäh­rend er halb­laut vor sich hin­sprach: »Zum Teu­fel, wo ken­ne ich die­sen Kerl her?«

      Er ging und grü­bel­te, ohne dass es ihm ein­fiel; dann plötz­lich er­schi­en ihm der­sel­be Mensch durch einen ei­gen­tüm­li­chen Vor­gang des Ge­dächt­nis­ses we­ni­ger dick, jün­ger, in Husa­ren­uni­form. »Halt, Fo­res­tier!« rief er laut, be­schleu­nig­te sei­ne Schrit­te und klopf­te dem vor ihm Ge­hen­den auf die Schul­ter. Die­ser wand­te sich um, blick­te ihn an und sag­te:

      »Was wün­schen Sie, mein Herr?«

      Du­roy lach­te: »Er­kennst du mich nicht?«

      »Nein.«

      »Ge­or­ge Du­roy von den 6. Husa­ren.«

      Fo­res­tier streck­te ihm bei­de Hän­de ent­ge­gen: »Du bist es, Al­ter! Wie geht es dir?«

      »Aus­ge­zeich­net. Und dir?«

      »Mir geht es nicht all­zu gut. Den­ke dir, mei­ne Brust ist wie aus Pa­pier­maché. Sechs Mo­na­te im Jahr quält mich ein Hus­ten, die Fol­ge ei­ner Bron­chi­tis, die ich mir in Bou­gi­val ge­holt habe kurz nach mei­ner Rück­kehr nach Pa­ris. Es sind jetzt schon vier Jah­re her.«

      »So, du siehst aber ganz ge­sund aus.«

      Fo­res­tier nahm sei­nen al­ten Ka­me­ra­den am Arm und er­zähl­te ihm von sei­ner Krank­heit, von den Ärz­ten, die er kon­sul­tiert hat­te, de­ren Mei­nun­gen und Ratschlä­gen und der Schwie­rig­keit, in sei­ner Stel­lung ih­ren Ver­ord­nun­gen zu fol­gen. Er soll­te den Win­ter im Sü­den zu­brin­gen, aber wie konn­te er das? Er war ver­hei­ra­tet, Jour­na­list, und hat­te eine gute Stel­lung. »Ich re­di­gie­re den po­li­ti­schen Teil in La Vie Françai­se, ich schrei­be die Se­nats­be­rich­te für den ›Sa­lut‹, und im ›Pla­ne­te‹ er­schei­nen hin und wie­der li­te­ra­ri­sche Feuil­le­tons von mir. Ich habe mei­nen Weg ge­macht.«

      Du­roy war über­rascht und sah ihn er­staunt an. Fo­res­tier hat­te sich sehr ver­än­dert, er war rei­fer ge­wor­den. Sein Ge­ba­ren, sei­ne Hal­tung zeig­ten den ge­setz­ten, selbst­si­che­ren Mann und sein Bäuch­lein wuss­te von gu­ten Di­ners zu er­zäh­len. Frü­her war er ma­ger, klein und schlank, ein aus­ge­las­se­ner Le­be­mann und streit­süch­ti­ger Ra­dau­ma­cher, stets an­ge­hei­tert. Die drei Jah­re in Pa­ris hat­ten aus ihm einen ganz an­de­ren, einen be­lieb­ten und ernst­haf­ten Men­schen ge­macht, der schon ei­ni­ge wei­ße Haa­re an den Schlä­fen hat­te, ob­gleich er nicht mehr als sie­ben­und­zwan­zig Jah­re zähl­te.

      Fo­res­tier frag­te: »Wo gehst, du hin?«

      Du­roy ant­wor­te­te: »Nir­gends. Ich ma­che einen Spa­zier­gang, be­vor ich nach Hau­se gehe.«

      »Weißt du was, willst du mich viel­leicht nach der Vie Françai­se be­glei­ten? Ich habe noch ein paar Kor­rek­tu­ren zu er­le­di­gen. Dann wol­len wir zu­sam­men ein Glas Bier trin­ken?«

      »Sehr gern.«

      Und Arm in Arm gin­gen sie wei­ter mit der leich­ten Ver­trau­lich­keit, die zwi­schen Schul­ka­me­ra­den und Waf­fen­ge­fähr­ten herrscht.

      »Was machst du in Pa­ris?« frag­te Fo­res­tier.

      Du­roy

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