Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 33
Herr und Frau von Méroul reisten am folgenden Tage ab.
Er wartet noch auf sie.
*
Das Pflegekind
Fräulein Source hatte diesen Knaben unter sehr traurigen Umständen adoptiert. Sie war damals sechsunddreißig Jahre alt, und ihre Hässlichkeit – sie war als Kind von den Knien des Kindermädchens in den Kamin gerutscht und hatte sich ihr ganzes Gesicht furchtbar verbrannt, sodass sie noch immer höchst garstig aussah – ihre Hässlichkeit hatte sie bestimmt, nicht zu heiraten, denn sie wollte nicht ihres Geldes wegen geheiratet werden.
Eine Nachbarin wurde, als sie in guter Hoffnung war, plötzlich Witwe und starb darauf im Wochenbett, nicht einen Pfennig hinterlassend. Fräulein Source nahm sich des Neugeborenen an, tat das Kind zur Amme, erzog es, schickte es in eine Pension und nahm es dann im Alter von vierzehn Jahren wieder zu sich, um in ihrem leeren Hause ein Wesen zu haben, das sie liebte, sich um sie kümmerte und ihr Alter sonnig machte. Sie hatte einen kleinen Landsitz vier Stunden von Rennes und lebte jetzt ohne Magd. Die Ausgaben hatten sich seit der Ankunft dieses Waisenknaben um mehr als das Doppelte gesteigert und ihre dreitausend Frank Rente konnten nicht hinreichen, um drei Personen zu ernähren.
Sie führte nun selbst den Haushalt, kochte, und schickte den Kleinen, den sie außerdem im Garten beschäftigte, auf Einkäufe aus. Er war sanft, furchtsam, schweigsam und zärtlich. Und sie hatte eine innige Freude, eine neue Freude daran, wenn er sie umarmte, ohne sich von ihrer Hässlichkeit abschrecken zu lassen. Er nannte sie Tante und behandelte sie wie seine Mutter.
Abends saßen sie beide am Herd und sie bereitete ihm Leckerbissen. Sie bereitete Glühwein und röstete ein paar Brotscheiben; das war ein köstlicher kleiner Schmaus vor dem Zubettgehen. Oft nahm sie ihn auch auf ihren Schoß und überhäufte ihn mit Liebkosungen, indem sie ihm zärtliche und leidenschaftliche Worte ins Ohr flüsterte. Sie nannte ihn denn wohl: »Mein Herzblatt, mein angebeteter Engel, mein himmlischer Schatz«, und er ließ sich das ruhig gefallen, indem er seinen Kopf an der Schulter der alten Jungfer barg.
Obwohl er jetzt bereits fast fünfzehn Jahre zählte, war er zart und klein geblieben, und sah etwas kränklich aus.
Zuweilen nahm ihn Fräulein Source nach der Stadt mit, um zwei Verwandte zu besuchen, ein paar Kousinen, die in einer der Vorstädte verheiratet waren. Es war dies ihre ganze Familie. Die beiden Frauen grollten ihr im Stillen noch immer, dass sie dieses Kind angenommen hatte, denn sie hofften selbst auf die Erbschaft; doch empfingen sie sie immer mit Wärme, denn sie erwarteten noch immer einen Teil davon, ein Drittel wenigstens, wenn redlich geteilt wurde.
Sie war glücklich, sehr glücklich, und jederzeit mit ihrem Kinde beschäftigt. Sie kaufte ihm Bücher, um seinen Geist zu bilden, und er begann leidenschaftlich zu lesen.
Am Abend kam er jetzt nicht mehr auf ihren Schoß, um sie zu liebkosen wie vordem, vielmehr setzte er sich schnell auf seinen kleinen Stuhl in die Ecke am Feuer und schlug ein Buch auf. Die Lampe stand am Rande des Tischchens über seinem Haupte und beschien sein lockiges Haar und ein Stück der Stirn. Er rührte sich nicht mehr, schlug die Augen nicht auf, machte keine Gebärde, sondern las, las wie geistesabwesend und ganz in das Abenteuer des Buches versunken.
Sie saß ihm gegenüber und blickte ihn starr und voll innerer Erregung an; sie wunderte sich über seine gespannte Aufmerksamkeit und war voller Eifersucht; die Tränen waren ihr nahe.
Zuweilen sagte sie zu ihm: »Du wirst dich müde machen, mein Schatz!«, denn sie hoffte, dass er die Augen aufschlagen und sie küssen würde. Aber er antwortete nicht einmal; er sah und hörte nichts und wusste von nichts andrem, als was auf den Seiten des Buches stand.
So verschlang er zwei Jahre lang ungezählte Bände. Sein Charakter veränderte sich.
In der Folge bat er Fräulein Source mehrmals um Geld, und sie gab es ihm. Da er aber immer mehr wollte, schlug sie es ihm schließlich aus, denn sie war haushälterisch und energisch und wusste am rechten Platze vernünftig zu sein.
Er setzte ihr aber so lange zu, bis sie ihm eines Abends doch noch einmal eine beträchtliche Summe gab; als er aber ein paar Tage später wiederkam und bettelte, zeigte sie sich unerbittlich und gab tatsächlich nicht mehr nach.
Da schien er seinen Entschluss zu fassen. Er wurde wieder ruhig, wie vordem, saß wieder Stunden lang unbeweglich, ohne einen Ton von sich zu geben, mit gesenkten Augen, in seine Träumereien verloren. Er sprach nicht mehr mit Fräulein Source und antwortete auf ihre Fragen kaum mit kurzen und knappen Sätzen.
Trotzdem war er aufmerksam gegen sie, voller Rücksicht, aber er küsste sie nie mehr.
Am Abend, wenn sie schweigend und unbeweglich rechts und links vom Feuer saßen, flößte er ihr jetzt manchmal Furcht ein. Sie wollte ihn aufrütteln, wollte irgendetwas sagen, um aus diesem schrecklichen Schweigen herauszukommen, das so unheimlich war, wie ein finsterer Wald. Aber er schien sie nicht zu hören, und sie bebte vor Schrecken, die arme alte Jungfer, wenn sie fünf- oder sechsmal zu ihm gesprochen hatte, ohne ein einziges Wort zu bekommen.
Was hatte er? Was ging in diesem verschlossenen Kopfe vor? Wenn sie so zwei oder drei Stunden ihm gegenüber gesessen hatte, fühlte sie den Wahnsinn nahen; sie wollte fliehen und sich ins Freie retten, um diesem ewigen stummen Beisammensein zu entgehen, sie bangte vor einer unbestimmten Gefahr, ohne doch recht zu wissen, weshalb.
Und oft weinte sie ganz allein.
Was hatte er? Sprach sie einen Wunsch aus – er führte ihn ohne Murren aus. Brauchte sie etwas aus der Stadt – sogleich ging er hin. Sie hatte sich über ihn gewiss nicht zu beklagen. Und doch…
So verging noch ein Jahr, und es schien ihr, als hätte sich in dem Geiste des geheimnisvollen Jungen eine neue Wandlung vollzogen. Sie spürte es, sie ahnte es, sie wusste nicht wie, aber sie war dessen sicher; sie wusste, dass sie sich nicht täuschte, aber sie wäre nicht imstande gewesen zu sagen, worin die unbekannten Gedanken dieses seltsamen Knaben sich geändert hatten.
Ihr