Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 39
Duroy hatte wenig Interesse für die Darbietung. Er wandte seinen Kopf und beobachtete unaufhörlich die hinter ihm vorbeiflutende Menge von Männern und Kokotten.
Forestier sagte: »Sieh dir mal die Leute im Parkett an, nichts als Spießbürger mit ihren Frauen und Kindern, alles brave, dumme Gesichter, die sich das hier ansehen wollen. In den Logen sitzen die Stammgäste der Boulevards, einige Künstler und Halbweltdamen, hinter uns findest du die seltsamste Mischung, die es in Paris geben kann. Was das für Männer sind? Beobachte sie mal: alles mögliche, alle Berufe und Klassen, aber das Gesindel überwiegt. Da sind die Kommis, Bankangestellte, Beamte, Verkäufer, ferner Reporter, Zuhälter, Offiziere in Zivil, Bummler im Frack, die grade im Restaurant gegessen haben und von der Großen Oper zu den Italienern rennen, und schließlich noch eine ganze Menge verdächtiger Individuen, aus denen man nicht recht klug wird. Was die Frauen angeht, so gibt es hier nur eine Art: die Halbwelt vom Americain. Sie verkaufen sich für ein oder zwei Goldstücke, wobei sie von Fremden auch fünf nehmen, und winken ihren ständigen Kunden zu, wenn sie frei sind. Man kennt sie alle seit zehn Jahren, man sieht sie jeden Abend das ganze Jahr hindurch in denselben Lokalen, mit Ausnahme, wenn sie einmal eine heilsame Kur im Frauengefängnis von St. Lazare oder im Lourcine durchmachen.«
Duroy hörte nicht mehr zu. Eins von diesen Mädchen lehnte sich über die Loge und sah ihn an. Es war eine üppige Brünette mit weißgeschminktem Gesicht und schwarzen Augen, die mit dem Farbstift unterstrichen waren, und riesigen, angemalten Augenbrauen. Über ihrer allzu starken Brust spannte sich die dunkle Seide ihres Kleides, und ihre geschminkten, blutroten Lippen gaben ihr etwas Tierisches, Sinnliches, Wildes, das aber trotzdem anziehend wirkte.
Sie winkte mit einer Kopfbewegung einer ihrer Freundinnen zu, die gerade vorbeikam, einer ebenfalls korpulenten, rothaarigen Kokotte, und sprach zu ihr so laut, dass man es hören konnte:
»Sieh mal her, das ist ein hübscher Junge. Wenn er mich für zweihundert Francs haben wollte, ich würde nicht nein sagen.«
Forestier drehte sich um und schlug Duroy lächelnd auf die Schenkel: »Das gilt dir, du hast Erfolg, mein Lieber, ich gratuliere!«
Der frühere Unteroffizier wurde rot und mechanisch tastete er nach den zwei Goldstücken in seiner Westentasche. Der Vorhang fiel und das Orchester begann einen Walzer zu spielen.
Duroy fragte: »Wollen wir nicht auch einmal durch den Wandelgang gehen?«
»Wie du willst.«
Sie verließen ihre Loge und waren sofort von dem Strom der Menge umgeben. Gedrückt, gepresst, hin und her gestoßen, gingen sie weiter und ein Wald von Hüten wogte vor ihren Augen. Zwischen Ellenbogen, Brüsten und Rücken der Männer drängten sich behänd paarweise die Kokotten hindurch, die sich hier so recht in ihrem Element, wie Fische im Wasser, zu fühlen schienen.
Duroy war entzückt. Er ließ sich treiben und wurde von der stickigen Luft, die durch Tabak, Menschenausdünstungen und Dirnenparfüms verpestet war, berauscht. Aber Forestier schwitzte, keuchte und hustete.
»Gehen wir in den Garten«, sagte er.
Sie wandten sich nach links und kamen in eine Art Wintergarten, wo zwei geschmacklose Fontänen ein bisschen kühle Luft schafften. Unter den paar Taxusbäumen und Thujas saßen Männer und Frauen an Zinktischen und tranken.
»Noch ein Bier?« fragte Forestier.
»Ja, gern.«
Sie setzten sich und beobachteten das Publikum. Von Zeit zu Zeit blieb ein herumspazierendes Mädchen stehen und fragte mit ordinärem Lächeln:
»Laden Sie mich nicht ein?« — Und wenn Forestier erwiderte : »Ja, zu einem Glas Wasser aus dem Springbrunnen«, so entfernte sie sich mit einem ärgerlichen Schimpfwort.
Aber die dicke Brünette tauchte wieder auf. Sie kam in übermütiger Haltung, Arm in Arm mit der dicken Rothaarigen. Sie bildeten wirklich ein hübsches, gut ausgesuchtes Frauenpaar.
Sobald sie Duroy erblickte, lächelte sie, als hätten sich ihre Augen schon vertraute und verschwiegene Dinge gesagt. Sie nahm einen Stuhl und setzte sich ruhig ihm gegenüber und ließ ihre Freundin auch Platz nehmen. Dann rief sie mit lauter Stimme:
»Kellner, zwei Grenadine!«
Erstaunt sagte Forestier:
»Du genierst dich wirklich nicht!«
»Ich bin in deinen Freund verliebt«, antwortete sie. »Er ist wirklich ein schöner Kerl. Ich glaube, ich könnte seinetwegen Dummheiten begehen.«
Duroy wusste vor Verlegenheit nicht, was er sagen sollte. Er drehte an seinem wohlgepflegten Schnurrbart und lächelte nichtssagend vor sich hin. Der Kellner brachte die Limonaden und die beiden Freundinnen tranken sie in einem Zuge aus. Dann standen sie auf und die Brünette nickte Duroy wohlwollend zu und gab ihm mit ihrem Fächer einen leichten Schlag auf den Arm: »Danke, mein Schatz. Du bist nicht sehr geschwätzig.«
Dann gingen sie fort, sich in den Hüften wiegend.
Forestier begann zu lachen:
»Sag mal, alter Freund, weißt du, dass du wirklich Erfolg bei Weibern hast? So was muss man pflegen, damit