Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 82
Die Sekundanten stiegen zuerst aus, dann der Arzt und zuletzt der Duellant. Rival nahm den Pistolenkasten und schritt mit Boisrenard den beiden Fremden entgegen, die auf sie zukamen. Duroy sah, wie sie sich etwas feierlich begrüßten, dann in der Lichtung auf und ab gingen und bald auf den Boden, bald zu den Bäumen hinauf blickten, als suchten sie etwas, was fallen oder fortfliegen könnte. Dann zählten sie die Schritte ab und stießen mit großer Mühe ein paar Stöcke in die gefrorene Erde. Dann traten sie zu einer Gruppe zusammen und losten »Kopf oder Schrift« wie spielende Kinder.
Der Doktor Le Brument fragte Duroy:
»Fühlen Sie sich wohl? Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
»Nein, ich brauche nichts. Danke sehr.«
Es war ihm, als sei er verrückt geworden, als schliefe, als träumte er, und etwas Übernatürliches sei über ihn gekommen und umgäbe ihn.
Hatte er Furcht? Vielleicht! Er wusste es nicht.
Alles war so seltsam und eigenartig um ihn herum geworden.
Jaques Rival kam zurück und sagte zu ihm leise mit befriedigter Stimme:
»Alles ist fertig. Wir haben Glück mit unseren Pistolen.«
Duroy war das völlig gleichgültig.
Man zog ihm den Mantel aus. Er ließ es geschehen. Man befühlte ihm die Gehrocktaschen, um sich zu vergewissern, dass er kein Papier oder eine schützende Brieftasche darin trüge.
Er wiederholte für sich wie ein Gebet: »Bei dem Kommando ›Feuer‹ hebe ich den Arm.«
Nun führte man ihn zu einem der Stöcke, die in den Boden gebohrt waren und gab ihm eine Pistole in die Hand. Da sah er dicht vor sich einen Menschen stehen, einen kleinen, kahlköpfigen, dickbäuchigen Mann mit einer Brille. Das war sein Gegner. Er sah ihn ganz deutlich; doch er dachte nur an das eine: »Bei dem Kommando ›Feuer‹ hebe ich den Arm und schieße.« Eine Stimme ertönte in der tiefen Stille, eine Stimme, die ganz aus der Ferne zu kommen schien:
»Sind Sie fertig, meine Herren?«
Georges rief:
»Ja.«
Darauf kommandierte dieselbe Stimme:
»Feuer!«
Er hörte nichts mehr, er sah nichts mehr, er überlegte nichts mehr. Er fühlte nur, wie er den Arm erhob und mit aller Kraft auf den Hahn drückte.
Er hörte nichts, aber er sah sofort an der Mündung seines Pistolenlaufes eine leichte Rauchwolke. Und da der Mann ihm gegenüber noch in derselben Haltung stehenblieb, so erblickte er über dem Kopf des Gegners eine zweite kleine Rauchwolke.
Sie hatten alle beide geschossen. Es war aus.
Seine Sekundanten befühlten und betasteten ihn, knöpften ihm den Rock auf und fragten ängstlich:
»Sind Sie nicht verwundet?«
Er antwortete auf gut Glück:
»Nein, ich glaube nicht!«
Übrigens war Langremont ebenso unverletzt wie sein Gegner, und Jaques Rival murmelte in sehr missvergnügtem Ton:
»Mit diesen verfluchten Pistolen ist es immer dieselbe Geschichte: man knallt vorbei oder schießt sich tot. Ein ekelhaftes Zeug.«
Duroy rührte sich nicht. Er war erstarrt vor freudiger Überraschung: Alles war vorüber. Man musste ihm die Waffe abnehmen, die er noch fest und krampfhaft in der Hand hielt. Jetzt war ihm zumute, als hätte er mit der ganzen Welt gekämpft. Es war vorüber! Welches Glück! Er fühlte sich plötzlich so tapfer, dass er am liebsten noch jemanden gefordert hätte.
Die Sekundanten hatten noch eine Besprechung. Sie verabredeten eine Zusammenkunft, um das Protokoll aufzunehmen. Dann stieg man wieder in den Wagen, und der Kutscher, der auf dem Bock lachte, knallte mit der Peitsche und fuhr davon.
Sie frühstückten alle vier auf dem Boulevard und plauderten über das große Ereignis des Tages. Duroy schilderte seine Eindrücke:
»Es hat mir gar nichts gemacht, ganz und gar nichts. Sie müssen das auch übrigens bemerkt haben.«
Rival antwortete:
»Ja, Sie haben sich wacker gehalten.«
Als das Protokoll aufgenommen war, legte man es Duroy vor, damit er es in den Lokalnachrichten veröffentlichte. Er war sehr erstaunt, zu lesen, dass er zwei Kugeln mit Herrn Louis Langremont gewechselt hätte, und etwas beunruhigt fragte er Rival:
»Wir haben doch nur einmal geschossen?«
»Natürlich einmal,« lächelte der andere, »jeder eine Kugel, macht zwei Kugeln.«
Und Duroy, der die Erklärung einleuchtend fand, erhob weiter keinen Widerspruch. Vater Walter umarmte ihn:
»Bravo! Bravo! Sie haben die Fahne der Vie Française verteidigt. Bravo!«
Abends besuchte Duroy alle angesehensten Zeitungen und die wichtigsten Boulevardcafes. Zweimal traf er dabei mit seinem Gegner zusammen, der sich gleichfalls überall zeigte. Sie grüßten sich nicht. Wäre einer von ihnen verwundet gewesen, so hätten sie sich die Hände gedrückt. Übrigens schwor jeder von ihnen mit vollster Überzeugung, er hätte die Kugel des anderen pfeifen gehört.
Am nächsten Morgen erhielt Duroy gegen elf Uhr ein blaues Briefchen:
»O Gott, welche Angst hab’ ich ausstehen müssen. Komme sofort zur Rue Constantinople, mein Liebster, damit ich Dich umarme. Wie tapfer Du bist — ich liebe Dich. — Clo.«
Er ging alsbald hin. Sie fiel ihm um den Hals und bedeckte ihn mit Küssen.
»Ach, Liebling, wenn du wüsstest, wie aufgeregt ich war, als ich heute Morgen in den Zeitungen las! Oh,