Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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die amerikanische Wirtschaft hatte Ausmaße, die den Aufwand der anderen Großmächte im Vergleich als schwach erscheinen ließen. In Großbritannien und in den Vereinigten Staaten wurde die Ausweitung des staatlichen Zugriffsbereichs nach 1945 nicht infrage gestellt, und zahlreiche Errungenschaften im Arbeitsrecht, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften, die Sozialhilfe und Kinder- und Jugendhilfe wurden beibehalten. Der Krieg hatte in diesem Sinne Einfluss auf die Entwicklung des Staates, so wie der Staat zur Durchführung des Krieges notwendig gewesen war.

      Die Erfordernisse des Staates überstiegen im Zweiten Weltkrieg diejenigen im Ersten Weltkrieges bei Weitem. Selbst in den Demokratien konnte sich kein Bürger und keine Bürgerin der Verpflichtung entziehen. In Großbritannien wurden Frauen mobilisiert, um während der deutschen Luftangriffe die Feuerwachen zu beaufsichtigen. Die militanten Pazifist*innen, die sich verweigerten, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. In den Vereinigten Staaten nötigte im Dezember 1943 ein wilder Eisenbahnerstreik die Roosevelt-Regierung, Kontrolle über das gesamte Eisenbahnnetz zu übernehmen, um den Zugbetrieb sicherzustellen, bis die Angestellten gezwungen waren, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. In Deutschland, in der Sowjetunion und in Japan waren pazifistische Demonstrationen verboten. In Deutschland wurden Streikende in Konzentrationslager geschickt; in der Sowjetunion landeten echte und mutmaßliche Protestierende aller Art im Gulag. In der Praxis bestand ein breiter Konsens darüber, dass dieser Krieg um jeden Preis gewonnen werden müsse, sodass die vom Staat geforderten Vorrechte letztlich von der öffentlichen Meinung mitgetragen wurden. Die Situation war weit entfernt von den sozialen Protesten und der zunehmenden Desillusionierung von 1917–1918. Der »Kriegsstaat« wurde als unvermeidliche Konsequenz des modernen Krieges angesehen, was auch die Botschaften des Propagandaapparates bestätigten.

      Die Überwachung der Meinung durch die Geheimpolizei und andere Mittel begann in den Diktaturen bereits in der Vorkriegsperiode, weitete sich nach 1939 aber auf alle kriegführenden Länder aus. Die britische Home Intelligence, das amerikanische Office of War Information (und andere) sammelten geheime Berichte über die öffentliche Meinung, um die staatliche Politik in verschiedenen Bereichen besser anpassen zu können und den sozialen Konsens zu wahren. Die polizeilichen Befugnisse wurden ebenfalls ausgeweitet, um auf Notfälle reagieren zu können, und es wurden besondere Verbrechen in Kriegszeiten definiert, um die Umsetzung der Dekrete des Staates zu garantieren. In Japan verhaftete eine Abteilung der Wirtschaftspolizei, die zur Bekämpfung des Schwarzmarkts geschaffen worden war, in den ersten fünfzehn Monaten ihres Bestehens zwei Millionen Delinquenten. In Deutschland konnten Verstöße gegen die Lebensmittelkontrolle mit Internierung in Lagern und in Extremfällen sogar mit dem Tod bestraft werden.

       Die Armee erhält wieder ihre Stellung aus der Zeit vor 1914

      Nach 1945 verschwand der Diskurs über den »totalen Krieg«. Die Militärstrategie beruhte nicht mehr auf der Ausbeutung aller Ressourcen des Staates, einerseits weil der Preis für die Bürger*innen und für die öffentlichen Finanzen zwischen 1939 und 1945 zu hoch gewesen war und andererseits weil es nicht mehr möglich war, schnell und zu geringen Kosten immer komplexere Waffen herzustellen – auf jeden Fall war die Vorbereitung eines konventionellen Krieges im Kontext der nuklearen Bedrohung obsolet geworden. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs weiteten die Großmächte hingegen die Vorrechte des Staates in anderen Bereichen aus. Das betraf, angeregt von den Erfahrungen, die während des Krieges mit Planung, Statistik und Gesundheitsversorgung gemacht wurden, beispielsweise die Bereiche Wohlfahrt und Wirtschaft. Nur den beiden Supermächten gelang es, das Profil eines »Kriegsstaates« zu bewahren, insofern sie einen großen Teil ihrer Ressourcen der Industrie und vor allem der militärischen Forschung und Entwicklung widmeten.

      Doch selbst in diesen Ländern galt die Priorität dem Wirtschaftswachstum im zivilen Sektor und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Die Armee unterhielt wieder eine Beziehung zum Staat, wie sie sie vor 1914 gehabt hatte: Sie kümmerte sich um die Kriegsbereitschaft und kontrollierte die Rüstungsentwicklung, ohne sich in den zivilen Bereich einzumischen. Bei den meisten Großmächten markierte auch das Verschwinden der Wehrpflicht das Ende einer Epoche, in der der obligatorische Militärdienst jeden Bürger praktisch zu einem Soldaten gemacht hatte. Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Militärausgaben denen aller anderen Länder zusammen entsprachen, bereiteten sich die Streitkräfte von nun an mit Berufssoldat*innen und der verfügbaren Bewaffnung auf den Krieg vor, ohne den Staat um substanzielle Ressourcen aus dem nichtmilitärischen Sektor zu ersuchen.

      Eine Ausnahme bildeten nach 1945 nur kleine Länder, die durch hohe Kriegsbereitschaft und ein starkes Engagement des Staates charakterisiert und in der Lage waren, eine moderne Bewaffnung für Interventionen in Regionalkonflikten zu produzieren oder zu kaufen. Das gilt beispielsweise für ein demokratisches Land wie Israel, das sich einer permanenten Sicherheitsbedrohung ausgesetzt sieht und im Krisenfall einen großen Teil der Gesellschaft mobilisieren muss, aber auch für Diktaturen, für die der Krieg oder die Aussicht auf Krieg zu zentralen Zielen geworden sind: der Irak unter Saddam Hussein, Nordkorea nach den 1950er Jahren und Nordvietnam während des Krieges gegen Südvietnam und dessen amerikanische Verbündete. Am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielten nichtstaatliche Akteure eine zentrale Rolle in den militärischen Auseinandersetzungen. Dies zeigt an, dass die Gewalt heute keines strukturierten Staatsapparates bedarf, solange die beteiligten Gemeinschaften ihre eigene Kohärenz aufweisen und Zugang zu entsprechenden Ressourcen besitzen. Der Staat existiert weiterhin als institutionelles System, das zur Kriegführung notwendige Ressourcen beisteuert, doch die Perspektive von Cyberkriegen und der verbreiteten Verwendung von Drohnen lässt auch die Annahme zu, dass die konventionellen zwischenstaatlichen Konflikte, die ihren Höhepunkt Mitte des 20. Jahrhunderts erreichten, von anderen Formen globaler Konflikte verdrängt werden könnten.

      Richard Overy ist Professor an der University of Exeter. Er ist einer der wichtigsten Experten für den Zweiten Weltkrieg und das nationalsozialistische Deutschland. Er hat zahlreiche Werke verfasst, darunter The Bombing War (London 2013; dt.: Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945, Berlin 2014).

       Literaturhinweise

      Zur Rolle des Staates in der Zeit des totalen Krieges hat Cambridge University Press eine Reihe unverzichtbarer Arbeiten veröffentlicht: Stig Förster und Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification (1861–1871) (Cambridge 1997); Roger Chickering und Stig Förster (Hg.), Great War, Total War. Combat and Mobilization on the Western Front (1914–1918) (Cambridge 2000); dies. (Hg.), The Shadows of Total War. Europe, East Asia and the United States (1919–1939) (Cambridge 2003); dies. und Bernd Greiner (Hg.), A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction (1937–1945) (Cambridge 2005). Für einen stärker theoretischen Zugang zum Verhältnis zwischen der Formierung des Staates und dem Krieg siehe Bruce Porter, War and the Rise of the State. The Military Foundations of Modern Politics (New York 1994); Harrison Wagner, War and the State. The Theory of International Politics (Ann Arbor 2007); Douglas Lemke und Jeff Carter, »Birth Legacies, State Making and War«, The Journal of Politics 78, Nr. 2 / 2016, S. 497–511.

      Zur Rolle des Staates bei der Mobilmachung und Organisation des Krieges ab dem Amerikanischen Bürgerkrieg siehe Joseph Dawson, »The First of the Modern Wars?«, in: Susan-Mary Grant und Brian Reid (Hg.), The American Civil War (Harlow 2000), S. 121–141; Mark Neely, »Was the Civil War a Total War?«, in: Stig Förster und Jörg Nagler (Hg.), On the Road to Total War (Cambridge 1997), S. 29–52; John Horne (Hg.), State, Society, and Mobilization in Europe during the First World War (Cambridge 1997); David Edgerton, Warfare State: Britain (1920–1970) (Cambridge

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