Darf man sich`s urgut gehen lassen?. Herlmut A. Gansterer

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Darf man sich`s urgut gehen lassen? - Herlmut A. Gansterer

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ich kein Hinterwäldler, sondern ein Vorderwäldler bin, kann ich nicht nur viele Zeichen der Mandarin-Bildsprache deuten, sondern kenne auch die meisten elektronischen Kürzel. Sie stören mich nicht, wenn sie in E-Mails auftauchen. Aber ich schätze sie auch nicht wirklich, denn sie verführen zu schlampiger Schreibsprache. Wer seine Sätze genau bildet, muss keine Smile-Symbole anhängen, um dem Empfänger klarzumachen, dass sie nicht ernst gemeint sind. Es liegt auch eine kleine Bevormundung des Empfängers darin. Aber da diesen leisen Schmerz nur die Wenigsten verspüren, können wir ihn als Spitzfindigkeit vernachlässigen.

      JA, ich bitte sogar darum. Wir sollten alles daran setzen, diesen ohnehin vergifteten Platz zur endgültigen Hölle der modernen Zivilisation zu machen. So können wir aus dem Übel einen Nutzen ziehen. Und zwar ungefähr in diesem Sinn: Wer regelmäßig übt, den Horror der Supermarktkassen zu überleben, stärkt sein psychologisches Immunsystem und ist gut gerüstet für jeden anderen Supergau.

      Der italienische Schriftsteller Dante Alighieri (1265–1321) schreibt in seiner Divina Commedia (Die göttliche Komödie) über die drei großen Orte inferno, purgatorio und paradiso. Auf Deutsch: Hölle, Fegefeuer, Himmel. Die Hölle teilt er in Kreise unterschiedlichen Schreckens. Zu seiner Zeit kaufte man in Florenz, wo er geboren, und in Ravenna, wo er begraben wurde, noch lustvoll auf Märkten ein, bei Standlern und Standlerinnen. Erst siebenhundert Jahre später kamen die Supermärkte, und mit ihnen die Supermarktkassa, der neue Ort namenlosen Schreckens. Signore Dante hätte ihn als einen der schärfsten Kreise der Hölle beschrieben.

      Er wurde von Heerscharen von Hausfrauen dazu gemacht. Arme männliche Singles und Witwer, die verdammt sind, selbst einzukaufen, können darüber Balladen singen. Oft verlassen sie mit weit aufgerissenen Augen den Supermarkt, irren ziellos durch ihren Heimatort oder versacken in Wirtshäusern, um dort im Suff zu vergessen, was sie gesehen und gehört hatten.

      Sie sahen legendär schlecht bezahlte Supermarkt-Kassiererinnen, die mit lustlosem Grimm in der Kundenware wühlen, sie scannen und ungeduldig auf die freie Fläche schieben, auf der sie der Kunde selbst in Säcke und Körbe verstauen muss, und zwar möglichst schnell, um nicht von den Waren des nächsten Käufers, die sich untrennbar mit den eigenen vermischen, erschlagen zu werden. Die einzigen kleinen Freuden, die den Kassiererinnen vergönnt sind, sind Kommentare zu den eingekauften Lebensmitteln. Männer, die Kürbiskerne – das Bonbon des Mannes – kaufen, werden gern laut gefragt, ob diese Dinger wirklich gegen Prostatabeschwerden helfen.

      Um gleich eine andere DARF-MAN-Frage zu beantworten: Nein, man darf den Kassiererinnen nicht böse sein. Es gibt gute Gründe, warum die Jungen unter ihnen alt und die Alten wie tot aussehen. Denn sie werden ihrerseits von Hausfrauen genervt, die offenbar über unbegrenzte Zeitbudgets verfügen. Sie haben die Supermarktkassa zum modernen Hyde-Park erhoben. Dort erzählen sie einander den neuesten Tratsch und ihre Theorien über das Leben, erläutern gern auch neue Krankheiten und deren Überwindung und verraten selbstlos jeden neu entdeckten, sensationellen Gynäkologen, der immer auch wahnsinnig fesch ist und die bange Frage aufwirft, ob er nicht schon zu viel von Frauen gesehen habe, um noch zuverlässig heterosexuell zu sein.

      Es stört die tratschenden Damen keineswegs, von nervösen Menschen, die weniger Zeit haben, weitergeschubst zu werden. Selbst wenn grad keine Gesprächspartnerin vor Ort ist, wissen sie sich zu helfen. Denn zuverlässig schrillt ihr Telefon, wenn sie grad zahlen sollten. Das kommt dem Supergau schon ziemlich nah. Erstens sind ihre Klingeltöne hart am Wahnsinn (zuletzt hörte man Babygeschrei als Erkennungsmelodie), zweitens zählen sie der anrufenden Freundin alle Waren auf, die sie gerade kaufen und für jeden Umstehenden sichtbar auf dem Laufband liegen. Bewährter Höhepunkt ist der Akt des Zahlens. Hier liegt der eigentliche, noch nicht erforschte, primäre Unterschied von Männern und Frauen.

      Männer halten eine passende Banknote parat und kriegen blitzschnell ihr Wechselgeld. Hausfrauen aber, speziell in Gegenwart anderer Hausfrauen, fingerln kleine und kleinste Münzen aus ihren riesigen Brieftaschen, stöhnend vor Trennungsschmerz. So demonstrieren sie Sparsamkeit, um keine schlechte Nachred’ zu haben. Fast immer fehlt grad eine letzte Münze für den gefragten Betrag, sodass sie am Ende genau so zahlen müssen wie die Männer, per Banknote oder Kreditkarte.

       Fazit:

      Natürlich dürfen Sie an der Kassa zum Handy greifen. Sie sollten es sogar. Denn erstens fallen Sie unangenehm auf, wenn Sie’s nicht tun (dieser Mann hat nichts zu sagen), zweitens sollte man dazu beitragen, den kontaminierten Platz „Supermarktkassa“ zum endgültigen inferno zu machen. Mit dem Vorteil immerhin, das Leben außerhalb des Supermarkts wieder als paradiso oder wenigstens als purgatorio zu begreifen.

      Meine spontane Antwort wäre NEIN gewesen. Sie wird aber durch Nachbarschaft zur Künstlerin Martina Schettina gehemmt, die mir zweifach auffiel. Erstens durch ihre Bilder, zweitens durch ihren Umgang mit Hightech.

      Ihre Frauen-Akte sind durch Erfindung der Doppel-Linie von Weitem als Schettina-Gemälde kenntlich (was die Kronen Zeitung oft zur Illustrierung der Sex-Kolumne von Gerti Senger nützt). Und ihre Mathemagischen Bilder sind der denkbar größte Kontrast da-zu.

      Hightech-mäßig war sie dem Motto verpflichtet: „Das beste Werkzeug ist eines, an das man sich gewöhnte.“ Als Siemens schon aus dem Handy-Geschäft ausgestiegen war, verwendete sie immer noch das legendär unkaputtbare Siemens-Edelstahl-Handy. Nachher blieb sie lange einem extraflachen, schneeweißen Samsung-Handy treu, bis dessen Monitor erblindete.

      Erst jetzt ist sie mit dem Apple-iPhone-4 in der Gegenwart der Smartphones angekommen. Und will nun nicht mehr zurück. Täglich entdeckt sie neue Fähigkeiten und Apps ihres neuen Begleiters, die ihr als Malerin und Buch-Autorin behilflich sind.

      Mit Martina Schettina ging der letzte User verloren, der noch glaubte, es sei sinnvoll, ein zehn Jahre altes Handy zu nützen.

      Tausendmal JA. Man wird es nie bereuen. Der Instinkt ist immer klüger als der sogenannte Verstand. Wenn die rechte Gehirnhälfte der Gefühle sagt, dieses Gespräch sei besser später zu führen, sollte die linke Gehirnhälfte der Vernunft der Zunge befehlen, verwirrt zu sprechen. Beispielsweise so: „Hallo? … Allo? … Llo? … O? … Höre Dich jetzt gutttxchzsch … sehrguttttxxchhzzschsch … Unwettpffrrr … Hallowhaffwahaffwahff … alle lieb grüßzingpfiiiiiiiii“. Ewiges Vorbild dafür bleibt Bud Spencer in „Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“, wo er als Pilot atmosphärische Störungen vorgaukelt.

      Alte Regel: Ein unangenehmes Telefongespräch kann einen Tag warten. Selten wird es schlechter. Meist gilt der klügste Satz, den die Militärs je fanden: „Eine wichtige Sache sollte man 24 Stunden überschlafen.“

      Wenn sie dadurch besser wird, ist beiden Seiten gedient. Man darf dann von Höflichkeit mit den Werkzeugen der Täuschung sprechen. Was aber, wenn einer zu anständig ist, eine schlechte Verbindung vorzutäuschen?

      Dem verrate ich ein Geheimnis. Mein iPhone-5 ist ein One-Way-Handy. Ich quäle damit andere aufs Blut, bin aber selbst nicht erreichbar. Weiß nicht mal die eigene Nummer, könnte sie selbst volltrunken keinem verraten. Alle Anrufe landen bei der Herzallerliebsten und Managerin, die nur jene Anrufe später bekannt gibt, die mich glücklich und stark machen. Das funktioniert gut. Aber Vorsicht. Solche Managerinnen sind teuer. Oft wollen sie sogar geheiratttchchzzffffklokklokkklokpffrrwhaffwhaff.

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