Darf man sich`s urgut gehen lassen?. Herlmut A. Gansterer

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Darf man sich`s urgut gehen lassen? - Herlmut A. Gansterer

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ist nicht die Bewahrung der Asche,

      sondern die Weitergabe der Glut.“

      Ordens-Spruch

      Das Einstiegszitat, das wir oft hören, weil es so gut ist, wird einem christlichen Orden zugesprochen. Ich habe vergessen, welchem. Es dürfte ein fortschrittlicher sein. In der Praxis erlebe ich Menschen, die den Begriff Tradition eher verstaubt auslegen. Unter selbst ernannten „Sprachliebhabern“ beispielsweise jene, die bei jedem englischen Wort in der heiligen deutschen Sprache in Ohnmacht fallen. Oder Pädagogen, die immer noch von der erzieherischen Tradition der „gesunden Watsch’n“ träumen, obwohl man heute weiß: „Wer geschlagen wird, wird schlagen.“ Und was die Mode betrifft, so kenne ich gar nicht wenige, die moderne Tracht für eine Todsünde halten. Sie sehen darin ein contradictio in adiecto, ein Auseinanderfallen von Objekt und Eigenschaft. Diese Leute finden abartig, dass es heute Trachtenkleidungs-Entwürfe gibt, die selbst die jungen Damen und Herren „cool“ finden; die nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt geschätzt werden; die sogar von Subjekten getragen werden, die – an dieser Stelle bekreuzigen wir uns dreimal – am Sonntag nicht ins Hochamt gehen, vielleicht sogar satanische Wiederverheiratete sind, bar aller Sakramente.

      Die moderne Tracht ist zum Entsetzen der eingestaubten und eingeschnorchelten Traditionalisten in der Gegenwart angekommen. Sie wird auch die Zukunft mit waghalsigen Einfällen schmücken. Demgemäß sollten ihr auch alle Möglichkeiten einer modernen Wirtschaft offen stehen.

      Dennoch verhoffte ich wie ein Jagdhund und hielt sekundenlang still, als mir die Frage gestellt wurde, ob „E-Commerce und Tracht“ eine Chance hätten, zusammenzukommen. Ob also letzten Endes vorstellbar wäre, ein modernes Trachten-Equipment via Internet zu verkaufen und zu kaufen. Schnelle, vorläufige Reaktion: Weltklasse-Kleidung kann niemals billig sein. Aber sie ist keine Yacht, von der man sagt: „Wenn du darüber nachdenkst, ob du sie dir leisten kannst, bist du schon zu arm dafür.“ Yachten kann man im Internet bewerben, aber niemals verkaufen. Trachten-Gwand hingegen – mal nachdenken.

      Ehe ich mein subjektives Urteil preisgebe, eine grundsätzliche Erwägung zwischendurch. Modern sein heißt nicht, alles Neue blindlings gutzuheißen. Schon gar nicht, wenn dieses „Neue“ nur die Neuauflage einer schlechten Gewohnheit ist.

      Ein Beispiel: Wir leben gerade wieder in einer „Zeit verminderter Zuversicht“. Ich nenne sie so, weil ich das Wort Krise nicht mag, und wenn, dann nur im altgriechischen Sinn von Katharsis und Reinigung. Ich bin entsetzt, wie schnell schlechte Gewohnheiten ihr hässliches Haupt heben, sobald nach fetten Jahren ein paar magere kommen, egal aus welchem Grund. Sofort stürzen sich viele BürgerInnen über Billigstprodukte. Der Spruch „Billig, aber viel“ war jedoch nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit berechtigt. Unsere älteren Mitbürger hatten ein Recht, nach sechs Kriegsjahren nach diesem Motto zu essen, zu trinken, sich einzurichten und zu kleiden. Ab dem Wirtschaftswunder der 1960er-Jahre gilt dies nicht mehr.

      Gerade jenen, die eher arm als reich sind und vom Wohlstand Österreichs nur wenig profitierten, wünschte ich, sie würden besser begreifen, dass „billig, aber viel“ ein schlechter Weg ist. Er führt sie nicht ans Ziel eines besseren Lebens. Er entfernt sie davon. Die Aristokraten haben dies früh erkannt. Sie wissen seit Jahrhunderten, dass Qualität wichtiger ist als Menge; dass auf Dauer jeder schlecht kauft, der billig kauft. Wer hingegen das teure Gute kauft und pflegt, besitzt nicht nur Besseres und Schöneres und also Beglückenderes, er handelt auch ökonomisch. Er steigt unter dem Strich besser aus als einer, der in schneller Folge das Drittklassige immer wieder ersetzen muss.

      Dieser Tage entdeckte ich am Stadtrand von Wien eine Art von Geschäft, die mir bisher entgangen war. Es war ein sogenannter „Supermarkt für Trachten“. Mir gefiel weder die Idee noch das, was ich in den Auslagen sah. Mir wurde sogar ein bissl schlecht beziehungsweise schwindelig. Das lag vielleicht daran, dass viele Dirndln in klassisch-unverbindlichem Massen-Look, zu Dutzenden nebeneinander gehängt, unverzüglich den Blick trüben und verwirren, wie der Blick in ein schnell gedrehtes Kaleidoskop. Beinahe eine psychedelische Erfahrung. Neben dem optischen Unwohlsein störte mich auch, dass man Kleider dieser Art wie Schweinehälften präsentiert.

      Im Gegensatz dazu, um die eigentliche Frage zu beantworten, kann ich mir den Kauf einer modernen Tracht via Computer gut vorstellen. Aus persönlichen Gründen sogar sehr gut. Erstens stelle ich mir gern in aller Ruhe zu Hause meine individuellen Kombinationen zusammen – auch bei Autos. Zweitens bin ich ein Mann.

      Man wird Frauen, die zu meiner größten Bewunderung Umkleidekabinen und Spiegel lieben und mit unendlicher Geduld zwanzig Kleider probieren, also das Erlebnis „Kauf“ genießen, nur schwer zu Virtuell-Käuferinnen umwandeln können. Bei Männern, zumindest den meisten meiner Freunde und mir, sieht das anders aus.

      Ich erzähle diesbezüglich in gekürzter Form ein Erlebnis, das ich in einem meiner Bücher ausführlich schilderte. Ich betrat mit einer exakt vorbereiteten Liste (Modell, Größe, Stückzahl diverser Männer-Wäsche) eine Palmers-Filiale. In drei Minuten war mein Jahreseinkauf erledigt, inklusive Bezahlung. Alle anwesenden Damen, die Kundinnen und die Verkäuferinnen, hatten mich entsetzt beobachtet. Sie riefen wie aus einem Mund: „Das kann man doch nicht einkaufen nennen!“

      Die üblichen Schwarzmaler und Jammerer erzählen dauernd von der Belästigung durch Handyphonierer. Sie finden müde Bauarbeiter lächerlich, die in Bus und U-Bahn von ihrer Frau wissen wollen, welches Abendessen sie in dreißig Minuten erwartet. Sie hassen jeden, der sich auf der Straße oder im Restaurant per Handy ein wenig wichtig macht.

      Ich hingegen finde das großartig. Viele Paare, die einander nur noch angeschwiegen hatten, reden via Handy wieder miteinander wie beim ersten Rendezvous. Und die Möglichkeit, dass nun viele, die an kleinen Komplexen leiden, sich lautstark via Handy ein wenig größer machen als sie sind („Sie werden von meinen Anwälten hören!“), erspart Österreich zehn Nervenkliniken. Da reden wir noch gar nicht von den sachlichen Vorzügen. Dem Zeitgewinn etwa, dass wir nicht mehr öffentliche Telefonzellen suchen müssen, die von Vandalen versifft und zerstört wurden. Oder der neuen Sicherheit, die Bergwanderer und allein lebende Kranke verspüren, weil sie jederzeit Alarm schlagen können. Und weit entfernt wohnende Familienmitglieder haben wieder Kontakt. Das wäre zwar theoretisch auch übers Festnetz gegangen. In der Praxis geht es erst jetzt wieder dank der Handys, weil man damit Wartezeiten sinnvoll nützen kann.

      Das Handy zählt, so wie das Auto und die Zeitung, zu jenen Produkten, deren Wert man erst dann zu schätzen weiß, wenn es sie einen Tag lang nicht gibt. Für junge Karrieristen, die noch kein Geld für eine Sekretärin haben, ersetzt das zum Smartphone erweiterte Handy ein ganzes Büro. Es wurde zum Schweizermesser für berufliche Erfolge. Und was die neuen Tablets aller Betriebssysteme im Windschatten von Apples i-Pad betrifft, so steht man noch am Anfang einer ungeheuren Nützlichkeit.

      Kurz gesagt: Das Handy ist die größte soziale Errungenschaft seit der Sonntagsruhe für Arbeiter.

      JA UND JA.

      Allerdings sind dies zwei Fragen, die höchst unterschiedlich zu kommentieren sind.

      Die Führung von Tagebüchern gilt seit Jahrhunderten als normale Sache. Es gab in Europa allenfalls kurze, militärisch geprägte Epochen, in denen intime Aufzeichnungen als sentimental-weibisch galten. Oder wo man aufpassen musste, was man niederschrieb, wie im Überwachungsstaat des Biedermeier oder generell in Diktaturen.

      Alle berühmten Tagebuchschreiber sprachen von

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