Die Akte Hürtgenwald. Lutz Kreutzer
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Читать онлайн книгу Die Akte Hürtgenwald - Lutz Kreutzer страница 13
»Uiui«, staunte der Junge, »zwei Steinpilze.«
»Die kannst du nehmen. Unten direkt am Boden abschneiden und vorsichtig in die Tasche legen. Da stehen bestimmt noch mehr«, sagte sie und wies auf das Wurzelwerk eines großen Baums, ein paar Schritte entfernt.
»Womit denn?«, fragte der Junge.
Sie fasste in ihre Manteltasche, lächelte ihn strahlend an, holte ein großes silberglänzendes Taschenmesser hervor, an dem eine kleine Kette mit einer Medaille baumelte, und hielt es ihm hin.
Der Junge konnte es kaum fassen. »Boaaah! Für mich?«, fragte er leise, als würde er befürchten, dass sie es wieder wegnähme.
Sie nickte. »Ja, für dich, mein Schatz. Du wirst bald acht. Da kannst du mit so was jetzt umgehen.«
Voller Glück nahm er das schwere Messer in die Hand, las die Gravur darauf mit seinem Namen und öffnete es. Er wollte seiner Mutter in die Arme fallen, doch sie hielt ihn zurück. »Vorsicht, mein Junge, es ist scharf!«, sagte sie.
»Das ist ja richtig groß! Woher hast du es?«, fragte er leise, voller Ehrfurcht.
»Es … Es ist …«, ihr Blick lag zwischen Demut und Befürchtung, »es ist von deinem Papa.«
Der Junge sah sie traurig an. »Wo ist er denn?«
»Du weißt doch, dass er nicht da ist.« Sie wollte ihm gerade ausführlicher antworten, da ging sie schnell in die Hocke und hob den Zeigefinger an die gespitzten Lippen. »Psst«, flüsterte sie, »da sind zwei.«
Der Junge klappte das Messer zu, stützte seine Hände auf die Knie und folgte ihrem Blick durchs Unterholz, und tatsächlich: Zwei Männer sprachen miteinander, der jüngere schien dem älteren etwas zu zeigen. Mitten in dem Durcheinander gesprengter Bäume.
»Was machen die da?«, fragte der Junge.
»Ruhig!«, zischte sie und gab ihm einen Klaps auf die Lippen.
Vor Schreck zwinkerte der Junge kurz mit den Augen. Dann beobachtete er, wie der ältere der beiden Männer mit einem merkwürdigen Gerät voranging. Er trug einen schweren Rucksack, hielt eine Stange mit einem dicken Teller am unteren Ende in der rechten Hand und bewegte sie hin und her über den Boden. Ab und zu hob er die Hand und rief etwas, woraufhin der Jüngere hinter ihm ein kleines Fähnchen in den Boden steckte. Dann rief der Ältere: »Ich hab hier was!«
»Mama, was ist das für ein Ding?«, fragte der Junge aufgeregt. »Das sieht aus wie ein … ein Putzschrubber oder so.«
Die Mutter folgte mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger. Sie beobachtete, was der Ältere machte, und hob ratlos die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ist egal. Ist nix für uns, hörst du?«
Der Junge nickte enttäuscht. »Aber …«
»Nix aber!«, befahl die Mutter streng. »Wir machen weiter. Und lauf nicht weg, hörst du? Ich nehme die Pilze dahinten.«
Während seine Mutter Pilze abschnitt, hockte der Junge neugierig hinter einem Busch und schaute den beiden Männern zu. Der Ältere begann damit, das Gestrüpp zu entfernen. Der Jüngere ging etwa die Hälfte des Weges zurück, den sie gegangen waren, sah kurz zum Älteren hinüber, der ihm gerade den Rücken zukehrte und anscheinend sehr beschäftigt war, zog vier Fähnchen heraus und pflanzte sie an einer anderen Stelle wieder ein.
»Nun mach schon«, tuschelte seine Mutter mahnend.
Der Junge schickte sich an, die beiden Pilze zu ernten, so wie seine Mutter es ihm gezeigt hatte. Dann entdeckte er vor sich unter einem kleinen Haufen Reisig ein weiteres Exemplar, viel größer als die beiden anderen. Er schnitt den dritten Pilz vorsichtig ab und hob ihn wie eine Jagdtrophäe jauchzend in die Höhe. »Guck mal, Mama!«, rief er. »Ein Riesending!« Stolz stand er da, mit einem Steinpilz in der gereckten Hand, fast so groß wie zwei seiner Fäuste, das Taschenmesser in der anderen.
»Psst«, mahnte die Mutter erneut, deutete dem Jungen an, sich zu bücken, und hoffte, dass die beiden Männer sie nicht gehört hatten.
Samstag, 13. Juni
Privathaus Adalbert Meurer
»Vandenberg«, sagte Meurer und nickte. »Alteingesessene Messingdynastie.« Er strich sich durch sein struppiges graues Haar. »Die Familie um Heinrich I. Vandenberg ist 1595 aus Aachen hierhergezogen. Und Heinrich I. Vandenberg war nicht der einzige Kupfermeister, der nach Stolberg kam! Die Stadt hatte einiges zu bieten«, erklärte Meurer voller Stolz.
»Messing, Kupfer? Messingdynastie, Kupfermeister, was denn jetzt?« Straubinger war verwirrt.
»Also Kupfermeister ist eigentlich nicht richtig. Stolberg hat ein besonderes Erzvorkommen, das sehr selten ist in dieser Ausprägung. Galmei heißt es.«
»Da bin ich ja beim Vorsitzenden des Geschichts- und Heimatvereins genau richtig«, stellte Straubinger fest. »Und ich bin dankbar, dass Sie mich an einem Samstag empfangen.«
Meurer nickte sichtlich geschmeichelt. »Ja, Galmei ist eines der bevorzugten Forschungsobjekte in unserem Verein. Und dann hatten wir natürlich noch die Bleierze, weshalb sich in Stolberg ein beachtlicher Bleiabbau entwickelt hat, aber das ist alles längst vorbei.«
»Galmei also. Was ist das genau?«, fragte Straubinger.
»Ein Zinkerz. Hier in Stolberg hauptsächlich Zinkcarbonat, im nahen Belgien kommt es überwiegend als Silikat vor. Dort nennen sie das Erz Calamine oder Kelmis, so heißt deshalb auch ein größerer Grenzort in der Nähe von Aachen. In Belgien, genauer in der Stadt Dinant, haben die Messingschläger, die sogenannten Batteurs, bis ins 15. Jahrhundert Messingfeingeschirr hergestellt und nach ganz Europa verkauft, Paris, London, Deutschland. Nach der Zerstörung Dinants durch die Burgunder und Niederländer sind die Batteurs nach Aachen geflohen und haben sich später in Stolberg niedergelassen. Den Galmei hat man gemahlen, mit Holzkohle und Kupfer vermischt, dann auf 1.000 Grad erhitzt, und raus kam Messing, eine Legierung aus Zink und Kupfer.«
»Und das wurde hier in Stolberg hergestellt?«
»Ja, in den Kupferhöfen. Bis vor ungefähr 200 Jahren wusste man allerdings noch nicht, dass im Galmei eigentlich Zink drinsteckt. Messing hielt man daher für eine andere Form von Kupfer und man hat es ›Gelbes Kupfer‹ genannt. Die Messingschmiede hießen folglich Kupfermeister und deren Wohnhäuser und Betriebsstätten nannte man Kupferhöfe. Und davon gibt es in Stolberg, und nur hier, noch ein gutes Dutzend.«
»Und warum sind so viele Kupfermeister nach Stolberg ausgewandert?«
»Drei Gründe. Erstens: Gefäße aus Messing kamen damals in ganz Europa mehr und mehr in Mode. Um Messing in Massenproduktion herzustellen, brauchte man Wasserkraft für die Hammerwerke, mit denen man aus den Messingplatten die Hohlformen herstellen konnte. In Aachen aber gehörte das Wasser den Tuchfabrikanten. Zweitens: Galmei ist sehr schwer. Die Aachener mussten das Erz erst einmal aus Belgien holen. Da bot es sich doch an, die Hammerwerke direkt dort zu errichten, wo das Erz unmittelbar neben fließendem Wasser abgebaut wurde, nämlich in Stolberg.«
»Und der dritte Grund?«, fragte Straubinger.
»Die Religion. Die Aachener