Die Akte Hürtgenwald. Lutz Kreutzer

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Die Akte Hürtgenwald - Lutz Kreutzer

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sagte sie leise, »dass er abgehauen ist. Durchgebrannt, mit einer Frau.«

      »Wann hat Hepp Dorenbusch hier das Wohnrecht erhalten?«

      »Es war kurz nach dem Tod meines Vaters. Unser Onkel, Vaters jüngerer Bruder Olaf, hat damals das Familienvermögen erhalten, so stand es in der Familienverfügung. Ich als unehelicher Bastard bekam nur einen Pflichtteil.«

      »Wie geht denn das?«

      »Damals war alles möglich. Juristen haben das so gedreht. Na ja, aber es geht mir ja einigermaßen gut. Olaf jedenfalls hat Dorenbusch hier einziehen lassen.«

      »Haben Sie eine Idee, was Ihr Vater damals mit Hepp Dorenbusch im Wald gemacht haben könnte?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Es hieß Holzarbeiten.«

      »Aber was sollte Ihr Vater dort für Holzarbeiten durchführen?«

      Sie machte eine nachdenkliche Miene.

      »Vielleicht hat er etwas gesucht?«, bemerkte Straubinger.

      Sie seufzte und legte die Hände zusammen. »Es war damals für mich und für meine Cousine Gisela ein harter Schlag. Vater war ein wunderbarer Mann. Und auf einmal war er weg. Was hätten wir tun sollen? Sie haben uns gesagt, er wäre bei Holzarbeiten auf eine Mine …« Sie drehte sich weg, verzog ihr Gesicht und fing sich dann wieder.

      »Verstehe«, sagte Straubinger. »Es muss sehr schwer für Sie gewesen sein.« Er trank einen Schluck Tee und betrachtete den Shortbread Finger, den er in der Hand hielt, biss hinein und kaute. »Sagt Ihnen Dorado etwas?«

      Sie zog die Augenbraue hoch, stutzte und schüttelte den Kopf. »Nein. Dorado? Was soll das sein?«

      »Ein Wohnort?«

      »Eldorado, die sagenumwobene Goldstadt?« Sie lächelte.

      »Nein, es soll irgendwo in Gressenich sein.«

      Erneut schüttelte sie den Kopf. »Nie gehört. Das weiß ich nicht. In Gressenich kenne ich mich eigentlich kaum aus.«

      Straubinger nickte. »Dieser Onkel, wo ist er und was macht er?«

      »Olaf, er hat sich nach dem Tod unseres Vaters ganz allmählich zurückgezogen.« Sie machte eine Pause, weil die Hunde so laut kläfften und miteinander rangen, als würden sie sich gegenseitig auffressen wollen. Wie wild rannten sie hin und her, dabei knurrten sie bedrohlich.

      »Scheißviecher!«, fluchte Straubinger aufgebracht. »Entschuldigen Sie, aber diese Hunde gehören nicht hierher.«

      Sie nickte hilflos. »So geht das jeden Tag. Manchmal hetzt er sie auf mich und macht sich einen Spaß daraus zuzusehen, wie sie in die Kette rennen und kurz vor mir zum Stehen kommen, dass ich Angst bekomme. Und wenn ich ihn darauf ansprechen will, dann laufen die Hunde wieder auf mich zu. Der Onkel, der hat nach Vaters Tod als Nachlassverwalter das Familienvermögen in die Dürener Papierindustrie gesteckt. Man muss sagen, ziemlich erfolgreich, denn er lebt heute in einem kleinen Schloss dort oben.«

      »Wieso hat er gerade in Düren investiert?«

      »Die Frau vom Onkel, die gute Tante Ottilie, sie stammte von dort. Früh gestorben.«

      Straubinger ließ den Blick schweifen. »Sagen Sie, was ist eigentlich mit Ihrer Mutter?«

      »Meine Mutter? Na ja, sie hat mich damals gern abgegeben, in Vaters Obhut. Sie hat sich kaum um mich gekümmert. Ich hab sie noch ein paarmal gesehen nach Vaters Tod, aber sie war nicht gerade das, was man sich unter einer guten Mutter vorstellt. Vor 20 Jahren hab ich sie dann beerdigt. Lungenkrebs. Und tot«, sagte sie und machte eine Handbewegung, die das Zerplatzen einer Seifenblase imitierte.

      »Ihnen geht es ja nicht gerade schlecht hier. Also bis auf den Nachbarn.« Straubinger beobachtete, wie sie reagieren würde.

      Sie zeigte keine Regung. »Ich würde diese Leute dort gern loswerden, bisher ist es mir nicht gelungen.«

      Irgendwie berührte Straubinger diese Frau. Ihre aufgeplusterte Art hatte zwar etwas von einer Vogelscheuche, aber er hatte erkannt, dass sie in frühen Jahren wohl ein hartes Schicksal hatte ertragen müssen, als sie ihren Vater verlor.

      »Wenn Sie dann keine Fragen mehr haben …« Sie lächelte freundlich und erhob sich. »Ich bin müde, ich brauche meinen Nachmittagsschlaf.«

      »Tja, das wär’s dann.« Straubinger erhob sich. »Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, mir das alles zu erzählen.«

      »Gern, und kommen Sie bald wieder«, antwortete sie und reichte ihm zum Abschied die Hand.

      *

      Im »Petit Marron«

      Straubingers Volvo glitt die Landstraße entlang. Zu beiden Seiten der Fahrbahn breiteten sich Felder aus, im Hintergrund rechts eine bewaldete Hügelkette, die den Blick auf vereinzelte schwarz gedeckte Häuser freigab. War er das, der Gressenicher Wald? Aus einer Senke vor ihm türmte sich eine riesige weiße Dampfwolke auf, die aus zwei Kühltürmen eines Kraftwerkklotzes heraus den blauen Himmel verhängte. Windräder am Horizont flankierten die Kraftwerkswolke und erinnerten Straubinger an Lanzenträger, die ihre Burg beschützten. Dann endlich markierte ein gelbes Ortsschild den Beginn von Gressenich, »Kupferstadt Stolberg«.

      Straubinger bremste ab und fuhr die Hauptstraße entlang, vorbei an einem reinen Zweckbau, der als Kirche diente, und an alten Bruchsteinhäusern. Bald hatte er das Ortsende erreicht. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Er wendete den Wagen an einer Einmündung, fuhr zurück und bog links ab. Die Straße führte hinunter in ein Tal und endete bei einer Kapelle, die an der tiefsten Stelle des Ortes stand. Es musste doch ein Wirtshaus geben, dachte Straubinger. In jedem Ort gab es ein Wirtshaus. Ein älterer Mann querte die Straße. Straubinger ließ das Fenster runter.

      »Entschuldigen Sie. Gibt es hier ein Wirtshaus?«

      »Watt?«, fragte der Mann. »Wirtshaus? Sie meinen bestimmt ’ne Kneipe, oder? Ja, fahren Sie mal weiter und biegen Sie links ab. Da ist ein Spielplatz, und da gibt es ein … ein Wirtshaus.«

      An dem Spielplatz hielt Straubinger an. Ein Bruchsteinhaus mit Walmdach, an den Wänden rankte üppig der Efeu. »Petit Marron« stand in Leuchtlettern auf der Wand, kleine Kastanie.

      Straubinger schloss das Auto ab, sah in die Sonne und ging auf das »Petit Marron« zu. Neben dem Eingang stand handschriftlich auf einer schwarzen Werbetafel mit Kreide geschrieben: »3 Gläser Leffe ersetzen 6 Semester Philosophiestudium.«

      Hier gab es also belgisches Bier. Die Tür stand weit offen, Straubinger konnte von außen einen flüchtigen Blick auf die Theke werfen.

      Neben der Werbetafel stand ein kleiner Mann mit Glatze, Brille und Bierbauch allein an einem Stehtisch und rauchte. »Raucher sterben vor allem einsam«, frotzelte Straubinger und grinste den Mann im Vorbeigehen an.

      »Und Idioten vor allem schnell!«, rief ihm der Mann brummig hinterher.

      Hinter der Theke stand ein großer Kerl, dessen Umfang es mit dem eines Bierfasses locker aufnehmen konnte. »Das da draußen, das war ein guter Einstand, Fremder«, bemerkte er und grinste, während er ein Bier zapfte.

      Vor

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