Die Akte Hürtgenwald. Lutz Kreutzer

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Die Akte Hürtgenwald - Lutz Kreutzer

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aus. Dem Korbi Mühlburger, dem stets gut gelaunten Nachbarn, war es nicht wohl an diesem Morgen. Er klagte über Magenprobleme. Selbst der Kräuterschnaps hatte keine Besserung gebracht. Doch er wollte nicht zurückstehen und begleitete Straubingers Vater und die anderen. Und er, der zwölfjährige Josef, durfte auch mit. Mit festem Bergschuhwerk, einer groben Leinenhose und einer dicken Cordjacke bekleidet, war er bestens gerüstet für die schwere Arbeit. Als sie gerade dabei waren, eine riesige Fichte, die der Vater und der Bruno geschlägert hatten, mit dem Flaschenzug den Hang hinaufzuziehen, da passierte es. Straubinger erinnerte sich, wie er die Riesenratsche bediente, die der Korbi ihm eingerichtet hatte. Zug um Zug ächzte der Baum den Hang hinauf. Dem Korbi wurde unvermittelt schlecht. Er ging ein paar Schritte den Hang hinab und übergab sich. Dann, plötzlich, rutschte er aus, glitt auf dem Hosenboden auf den Baum zu und verhakte sich im Schritt mit beiden Beinen zwischen Stamm und Boden. Er fluchte. Straubingers Vater und der Bruno hechelten den Hang hinauf. Riefen ihm etwas zu. »Auslassen, Josef, auslassen!« Doch er hatte nicht gewusst, was sie meinten. Panisch hatte er den winzigen Hebel betätigt, der die Bremsnase aus dem Zahnrad der Ratsche löste, und der Baum war den Hang hinabgerast. Der Korbinian hatte geschrien wie am Spieß, denn der Baum und das Stahlseil hatten ihm den Unterschenkel abgerissen.

      Straubinger saß am Küchentisch und schüttelte sich. Die Erinnerung daran war jedes Mal fürchterlich. Der Korbinian hatte ihm niemals die Schuld gegeben. Mit einem trefflichen Holzbein ausgestattet, hatte er ihm immer wieder gesagt: »Mein Junge«, währenddessen hatte er auf das Holz geklopft, »hätt der Herrgott gewollt, dass ich mein Bein behalt, hätt er mir morgens keinen üblen Magen beschert.« Da wurde ihm klar, an wen ihn das Porträt des Mannes aus dem Wald erinnerte. Der Korbinian hatte ähnlich ausgesehen. Hellblaue Augen, schütteres blondes Haar, Seitenscheitel. Straubinger starrte ausdruckslos an die Wand und trank langsam den Kaffee aus. Dieses Gesicht!

      Als er seine Wohnung im Kölner Süden verließ, regnete es in Strömen. Auf der A 4 Richtung Aachen war die Hölle los. Er kam eine halbe Stunde zu spät in Stolberg an und begab sich gleich ins Archiv.

      »Guten Morgen!« Eine junge Frau, Ende 20, kam auf ihn zugeschossen und streckte ihm die Rechte hin. »Anja Schepp, ich soll Ihnen helfen, hier Ordnung reinzubringen.« Sie grinste verlegen.

      »Das ist schön, Anja Schepp. Darf ich Anja sagen?«, fragte Straubinger, wobei sein brummiger Bariton fast warm klang.

      »Ja, klar«, antwortete Anja fröhlich.

      »Haben Sie schon mal so was gemacht?«

      Sie zögerte. »Na ja, zum Schluss. Bei Ihrer Vorgängerin.«

      »Nanu, und Sie haben das nicht bemerkt? Ich meine dieses Chaos?«

      Anja sah zu Boden. »Doch«, sagte sie leise. »Ich hab es ja … aufgedeckt … also sozusagen. Ich hab ja bemerkt, dass …«

      »Dafür müssen Sie sich nicht verteidigen. Das ist doch gut, dass Sie das bemerkt haben.«

      Sie lächelte verschämt. »Finden Sie? Hm … Ihre Vorgängerin fand das nicht. Die hat mich ganz schön beschimpft.«

      »Ich beschimpfe Sie nicht.« Straubinger ging zu seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz, hier, gegenüber.« Straubinger klatschte kurz in die Hände. »Also, dann fangen wir mal an.«

      Anja Schepp erklärte ihm, wie alles zusammenhing, wo er was finden konnte und ein paar Worte zum Chef. »Ein wirklich netter Mensch, aber reizen Sie ihn nicht, er kann ganz schön ungemütlich werden.«

      »Er ist Polizist. Warum sollten Polizisten immer nur lieb sein?«, fragte er sie.

      »Auch wieder wahr.« Anja Schepp nahm eine Flasche Wasser aus ihrer Tasche und trank sie zum Drittel aus. »Ah«, stieß sie genussvoll hervor. »Aachener Heilwasser. Wollen Sie einen Schluck?«

      »Macht das was mit mir?«, fragte Straubinger scherzhaft.

      »Einen klaren Kopf. Köln hat sein Kölsch zur Verwirrung, Aachen seine Heilquellen zur Wiederbelebung.« Sie goss ihm ein Glas ein und stellte es ihm hin. »Die Produktion wird Ende des Jahres eingestellt. Noch haben Sie also die Chance, Körper und Geist zu reinigen.«

      »Danke!« Straubinger probierte und verzog das Gesicht. »Uiui, ist Ihnen da der Salzstreuer reingefallen?«

      Anja lachte. »Ha, Sie sind nicht der Erste, der so reagiert. Aber Sie werden sehen, es wird Ihnen guttun.«

      Straubinger nickte. »Nun gut«, sagte er und trank den Rest des Glases aus. »Anja, was ganz anderes. Kennen Sie Gressenich?«

      »Klar, so ein Dorf, gehört zur Stadt Stolberg.«

      »Und wo liegt das? Gibt es so was wie eine Umgebungskarte?«

      »Ja, kommen Sie, hinten an der Wand steht eine, die können wir aufhängen.«

      Anja Schepp ging voran und drei Regalgassen weiter stand tatsächlich eine große aufgezogene Wandkarte mit dem Stadtgebiet von Stolberg.

      Straubinger hob die Karte hoch, schleppte sie zurück und stellte sie auf den Tisch, sodass sie gegen die Wand lehnte. »Ein bisschen muffig«, sagte er und rümpfte die Nase.

      »Also, Gressenich, das ist nicht weit«, erklärte Anja Schepp. »Sehen Sie, hier sind wir, Stadtteil Münsterbusch. Dort ist die Stolberger Burg, und noch weiter, immer nach Osten, da ist Gressenich. Ungefähr … vielleicht zehn Kilometer von hier weg.«

      »Also eine Viertelstunde mit dem Auto?«

      »Ja, ungefähr. Ist ganz schön da. Aber auch wirklich eigenwillige Leute.« Sie zog einen Flunsch.

      Straubinger nickte. »Wo nicht?«

      »Ja, wo nicht. Aber dort besonders. Sie haben keinen Karnevalsprinzen, Karneval feiern sie an anderen Tagen und sie hätten immer noch gern einen eigenen Bürgermeister.«

      Straubinger lachte. »Von diesem Karnevalszeug verstehe ich zwar nichts, aber hört sich in der Tat sehr eigenwillig an. Wo auf der Karte ist der Gressenicher Wald?«

      Anja sah ihn mit großen Augen an. »Da fragen Sie mich was!« Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Irgendwo bei Gressenich, nehme ich an.«

      »Genau so ist es, südlich von Gressenich«, sagte eine Stimme von der Tür her. EPHK Müller betrat den Raum. »Ich bringe Ihnen was. Frischer Kaffee aus Aachens bester Rösterei. Und Filtertüten. Milch und Zucker.« Er stellte eine Dose und eine Tüte auf den kleinen Tisch.

      »Vielen Dank, Sie sind ja ein großartiger Chef!«, sagte Straubinger sichtlich erfreut.

      »Haben Sie die Maschine getestet?«

      »Äh, nein, keine Zeit gehabt.«

      »Aha! Dann mal los.« Müller ging zum Schrank und holte die Maschine raus. »Oh je, die muss mal geputzt werden. Dahinten ist ein Waschbecken, Straubinger, schon gesehen?« Müller ging hin und begann, die Maschine vom Staub zu befreien.

      »Frau Schepp, besorgen Sie doch mal ein paar Tassen, bitte«, rief Müller, füllte Wasser in den Glasbehälter und ging hinüber zu Straubingers Tisch. Er gab Straubinger das Kabel mit dem Stecker in die Hand, legte einen Filter in den Trichter und füllte ihn mit Kaffeepulver aus der Blechdose, die ein Relief des Aachener Doms zierte. Ein paar Sekunden später röchelte die Maschine kaum hörbar los. Kaffeeduft erfüllte augenblicklich den

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