Emscher Zorn. Mareike Löhnert
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Читать онлайн книгу Emscher Zorn - Mareike Löhnert страница 18
»Selbst die Straße ist schön«, murmelte Jakob versonnen.
»Mann, krieg dich wieder ein. Hier wohnen genau die gleichen Hurensöhne wie bei dir zu Hause in der Nordstadt, nur dass die so viel Kohle haben, dass sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.« Zielstrebig führte er Jakob zu einer Villa, die von einer hohen Steinmauer umgeben war. Hinter der Mauer lag alles im Dunkeln, sodass man das Gebäude nur schemenhaft erkennen konnte. Am Eingangstor war eine kleine Metallklappe angebracht.
Nelu öffnete sie, und eine Tastatur kam darunter zum Vorschein, auf der er ohne zu zögern einen Zahlencode eintippte. Lautlos öffnete sich das Tor.
Jakob riss die Augen auf und folgte Nelu in die Dunkelheit.
Sobald sie sich auf dem Kiesweg befanden, der zum Haus führte, sprangen neben ihnen funkelnde Laternen an, die den Weg säumten und ihnen mit einem warmen Licht den Weg wiesen.
Sie stiegen die steinerne Treppe zur Eingangstür hinauf. Wieder tippte Nelu einen Code auf einer Tastatur ein, es gab ein klackendes Geräusch, und er griff nach dem pompös geschmiedeten Türgriff.
Sie betraten die riesige Vorhalle der Villa. Sobald sie den ersten Fuß in das Haus gesetzt hatten, setzte eine Automatik ein, leise Hintergrundmusik ertönte, und der glitzernde Kronleuchter, der mittig in der Halle an der hohen Decke hing, erstrahlte. Jakob bemerkte, dass sein Mund offen stand.
»Woher kennst du die Codes?«, flüsterte er Nelu zu.
»Du brauchst nicht zu flüstern«, Nelu redete in normaler Lautstärke, »die Bewohner sind im Urlaub. Lassen ihre reichen Ärsche auf den Malediven bräunen. Wir sind ganz allein.«
»Woher weißt du das so genau?« Jakob war vor Aufregung außer sich.
»Ich habe meine Leute, das habe ich dir schon mal versucht zu erklären. Überall. Leute, die mir Gefallen schulden, Leute, die es sich nicht mit mir verscherzen wollen. Die kriegen so was für mich raus, und jetzt reg dich endlich ab. Komm, wir trinken erst mal was.« Er stolzierte über den edlen Marmorfußboden, als wäre er hier zu Hause.
Im Wohnzimmer ging er zur Bar, schenkte großzügig Cognac in zwei Gläser und warf sich auf das weiße Designersofa.
»Setz dich«, er klopfte mit der Hand neben sich auf das Sofa.
Jakob setzte sich vorsichtig auf das Sofa und strich ehrfürchtig mit der Hand über den samtweichen Bezug.
Sie tranken den Cognac, er schmeckte weich, fruchtig und ein bisschen nach Erde. Allein von seinem Duft wurde Jakob ganz schwindelig.
»So, und wozu sind wir hier?«, fragte Nelu wie ein strenger Lehrer. Jakob zuckte verwirrt mit den Schultern.
»Du hast dir dein Gehirn weggesoffen, was? Wir wollten dich neu einkleiden. Schon vergessen?«
Er zog Jakob mit sich die Treppe hinauf, in ein Schlafzimmer, das so groß war wie die gesamte Wohnung, in der Jakob lebte.
Das meterbreite Bett, das im Mittelpunkt des Raumes stand, sah mit seinen vielen Kissen so einladend aus, dass Jakob sich zusammenreißen musste, um nicht mit einem Hechtsprung hineinzuspringen und sich die flauschige Decke über die Ohren zu ziehen.
Nelu lächelte kalt und deutete auf die Zimmerdecke, an der ein riesiger Spiegel angebracht war.
»Die werden es hier miteinander treiben wie die Karnickel«, meinte er und begann, im Kleiderschrank zu wühlen, der die gesamte Wandseite einnahm. Er zog mehrere Anzüge aus dem Schrank.
»Geil, der Typ, der hier wohnt, müsste genau deine Größe haben.« Zufrieden las er die Etiketten. »Gute Marken. Das sind Designerstücke. Exquisiter Geschmack. Wenigstens etwas.« Er nickte anerkennend und warf die Anzüge achtlos auf das Bett. »Worauf wartest du? Los, zieh dich um. Ich habe für neun Uhr reserviert. Wenn man in dem Laden nicht pünktlich ist, ist der Tisch weg, und wir müssen vorher noch die Wohnung umdekorieren.«
»Umdekorieren?«, wiederholte Jakob dümmlich.
»Zeig ich dir später. Das ist mein Markenzeichen bei Einbrüchen, ist jetzt egal, erst mal rein in die Klamotten.«
Jakob genierte sich. Es war ihm peinlich, sich vor Nelu auszuziehen und seinen knochigen Körper zu präsentieren, doch Nelu beachtete ihn gar nicht, hing mit dem Kopf in dem Kleiderschrank und durchstöberte interessiert dessen Inhalt.
Als Jakob das erste Mal in seinem Leben in einem weißen Seidenhemd und einem dunkelgrauen Leinenanzug vor dem Spiegel stand, blieb ihm fast die Luft weg. Der Mann, der ihm im Spiegelbild gegenüberstand, war ihm fremd. Er sah aus wie ein anderer Mensch, nur die Löcher in seinen Socken verschandelten das Bild. Die Kleidung fühlte sich gut auf seiner Haut an und schmiegte sich sanft an seinen Körper. Sofort hatte er das Gefühl, aufrechter zu stehen und seinen Kopf höher zu tragen. Sein magerer Körper sah nicht mehr kantig und dürr aus, sondern wirkte schlank und gesund.
Nelu war begeistert.
»Der ist es. Du brauchst nichts anderes mehr anzuprobieren«, entschied Nelu.
Als Jakob in die passenden braunen Lederslipper geschlüpft war, die sie gefunden hatten, war der Anblick perfekt.
»Soll ich die Sachen wirklich einfach mitnehmen?«, fragte Jakob unsicher.
»Alter, der Typ merkt überhaupt nicht, wenn ein paar Anzüge fehlen. Der hat so viel Zeug in seinem Schrank, dass das gar nicht auffällt. Wir nehmen ja kein Geld mit oder was von dem verdammten Schmuck, der überall herumliegt. Den Anzug hast du dir verdient, Jogginghosen-Jakob.« Das Grinsen überzog Nelus gesamtes Gesicht.
Er räumte alle Klamotten, die inzwischen über den gesamten Fußboden verteilt auf dem flauschigen Teppich herumlagen, ordentlich zurück in den Schrank. Sie verließen das Schlafzimmer genauso, wie sie es betreten hatten.
Zurück im Wohnzimmer packte Nelu die eine Seite des Sofas. »Fass mal mit an.«
Jakob griff zu. Sie schleppten das schwere Ding auf die andere Seite des Raumes. Verstellten den Fernsehtisch, verschoben mit vereinten Kräften die Schränke, sodass schließlich jedes Möbelstück an einem anderen Platz stand. Befriedigt betrachtete Nelu sein Werk.
»Sieht besser aus als vorher«, meinte er, »mach ich immer so. Bevor ich gehe, dekoriere ich die Häuser um. Ich bin der geborene Innenarchitekt. Die Freaks, die hier wohnen, werden sich fragen, ob sie vielleicht nicht mehr ganz frisch im Kopf sind, wenn sie wiederkommen und alles anders aussieht. Ich hinterlasse keine Einbruchsspuren, nehme keine Wertgegenstände mit. Alles, was bleibt, sind benutzte Gläser und neu angeordnete Möbel. Unsere Urlauber werden sich wundern, wenn sie wieder da sind.«
Er schien sich sichtlich darüber zu freuen.
»Und jetzt gibt es endlich was zu essen.«
Sie verließen die Villa, liefen übermütig zu dem alten Mercedes und fuhren in die Innenstadt-Ost.
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