Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Emscher Zorn - Mareike Löhnert

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in der Gegend. Sie machte normalerweise kein großes Theater, wenn sie jemanden beim Klauen erwischte, sie ließ anschreiben, wenn jemand kein Geld hatte oder verschenkte auch mal etwas. Ohne das Wissen ihres Vaters natürlich.

      »Macht meine Leyla nicht blöd an. Das ist ein gutes Mädchen«, brüllte die alte Erna aus ihrem Fenster. Sie schien sich sichtlich zu freuen, dass endlich mal etwas los war.

      Der Mann machte einen Schritt auf Leyla zu. Sein Gesicht war dicht vor ihrem. Sie konnte seinen sauren Atem riechen.

      »So etwas macht man nicht mit IHM«, zischte er.

      Er musste diesen fremden, elegant gekleideten Schnösel meinen, der neulich im Laden versucht hatte, etwas mitgehen zu lassen.

      »Geht«, schrie sie aus voller Kehle, »haut ab, sonst rufe ich die Polizei.«

      »Leyla, was machst du da? Komm sofort mit rein. Was sollen die Leute denken?« Ihr Vater war hinter sie getreten und zog sie mit festem Griff zurück in den Laden.

      Grob schob er sie zurück in die Ecke an ihren Tisch und stieß sie auf ihren Stuhl. Er lehnte sich erschöpft an die Wand und fuhr mit der Hand über sein faltiges Gesicht.

      Die beiden Männer vor dem Laden verschwanden.

      »Was waren das für Männer? Und warum schreist du mitten am Tag auf der Straße herum?« Ihr Vater sah sie mit resigniertem Blick an.

      »Sie haben unser Schaufenster beschmiert. Was soll ich in so einer Situation deiner Meinung nach tun? Sie höflich reinbitten und ihnen unsere Ware anbieten?«

      Ihr Vater seufzte erschöpft. »Nein, natürlich nicht. Wenn es Probleme gibt, ruf mich an. Ich regele das schon. Aber du kannst nicht einfach fremde Leute beschimpfen.«

      »Fremde Leute – das sind Kleinkriminelle, und sie wollten mir Angst einjagen, und du, du bist sowieso nie hier. Wenn ich dich anrufe, hat ein Dieb das gesamte Geschäft ausgeräumt, bis du endlich da bist. Seit ich dir im Laden helfe, sitze ich den ganzen Tag hier herum und vergammele, falls du dich erinnerst. Da muss ich mir schon selbst zu helfen wissen. Diese arroganten Penner, die denken, dass die ganze Welt ihnen gehört, haben hier nichts zu suchen.« Ihre Stimme überschlug sich und zitterte vor Wut.

      »Hör auf, so zu reden. Das gehört sich nicht. Und hör auf, mir vorzuwerfen, dass ich mich nicht mehr so viel um den Laden kümmern kann, ich tue das nur für dich. Für mein undankbares, kleines Mädchen. Damit sie es einmal gut hat. Ich versuche nur ein zweites Standbein aufzubauen und mit den Import-Exportgeschäften Geld aufzutreiben, damit du diesem kalten Deutschland den Rücken zuwenden und ein besseres Leben in deiner Heimat führen kannst.«

      »Dortmund ist meine Heimat. Hier sind meine Freunde. Hier kenne ich jede Straße und bin zu Hause.« Leyla schrie. »Du hörst mir nicht zu. Ich will nicht in die Türkei. Ich spreche nicht mal vernünftiges Türkisch, und vor allem will ich nicht einen Mann heiraten, den ich noch nie gesehen habe.« Sie weinte. Heiße Tränen strömten über ihr Gesicht.

      »Leyla«, versuchte ihr Vater sie zu beruhigen, »vertraue mir. Ich weiß, was gut für dich ist. Du wirst mir einmal sehr dankbar sein. Muhammed ist ein guter Mann, er ist genau der Richtige für dich.«

      »Ich scheiß auf diesen Hurensohn«, brüllte Leyla außer sich. Sie warf das Schneidebrett mit einem Ruck vom Tisch, sodass die Melonenstücke auf den Fußboden rutschten und klebrige Spuren hinterließen. Leyla sprang auf. Der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, fiel scheppernd um. Sie schnappte sich ihren Mantel, warf ihrem Vater einen letzten bösen Blick zu und verließ, die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuschlagend, den Laden.

      Ihr Vater sah ihr kopfschüttelnd und mit hängenden Schultern hinterher. Was hatte er bei ihrer Erziehung nur falsch gemacht? Er sah sich im um. Obststücke klebten an den Wänden, in den Regalen und auf dem Fußboden. Seufzend beugte er seinen schmerzenden, steifen Rücken, griff nach dem Putzeimer und tauchte müde den Lappen in die Seifenlauge.

      Vor dem Laden starrte Leyla mit offenem Mund auf die riesigen Buchstaben, die von außen auf die Scheibe gesprüht waren:

      »Dein Tag wird kommen, Schlampe«.

      Kapitel 12 – Jakob

      Schwarze Wellen türmten sich auf und schlugen über seinem Kopf zusammen. Etwas streifte seinen Körper, wickelte sich um seine Beine und zog ihn hinab in die Tiefe. Er zappelte, kämpfte, bekam keine Luft mehr. Es war sinnlos, er würde sich nicht befreien können.

      Jakob erwachte von seinem eigenen Aufschrei.

      Schwer atmend lag er auf dem Bett. Diese verfluchten Albträume.

      Stöhnend tastete er nach seinem Handy und sah auf die Uhr. Heute war es zu spät, um sich mit dem Jobcenter in Verbindung zu setzen. Er strich sich über sein verquollenes Gesicht.

      Bald würde der Briefkasten wieder überfüllt sein mit Anschreiben, Bescheiden und Mahnungen vom Amt.

      Der Tag schleppte sich dahin wie zäher Kleister. Irgendwann hielt er die Enge der Wohnung, Jesus und Mutters abwesende Blicke nicht mehr aus und machte einen Spaziergang durch die Nordstadt, die ihr übliches Bild bot. Graue Straßen, Graffiti an den Wänden, Häuser, gebaut in einer Vergangenheit, an die sich niemand mehr erinnern konnte. Betrunkene, Künstler, Studenten, viele alte Menschen, eine dicke Frau, beladen mit Tüten vom Discounter, Radfahrer, auf der Bank einer Grünfläche eine Frau, verhüllt in eine Burka, daneben ein Junkie, der sich mit seiner Spritze ins Gebüsch verzog.

      Jakob zückte sein gebraucht gekauftes Smartphone, zog die Visitenkarte aus der Tasche und wählte mit fahrigen Fingern Nelus Nummer. Es war früher Nachmittag, da würde er ja wohl schon wach sein und hätte sich längst von seiner nächtlichen Bekanntschaft verabschiedet. Die Verbindung baute sich auf, es war das übliche Tuten zu hören, aber niemand ging ans Telefon.

      »Empfänger ist nicht zu erreichen«, meldete die gefühllose Stimme am anderen Ende schadenfroh.

      Unruhig starrte er auf das Telefon, während er orientierungslos weiter lief.

      Durch Straßen, die er schon als Kind gekannt hatte. Ein gähnendes Loch der Langeweile tat sich vor ihm auf.

      Dortmund, dachte er müde, eine Stadt, so dreckig und grau, wie ihr Ruf. Daran konnten die vielen Hipster, die in diesem Stadtteil neuerdings wie Pilze aus dem Boden schossen, auch nichts ändern.

      Es war kühler geworden, langsam war zu spüren, dass der Sommer sich verabschiedete.

      Mit gesenktem Kopf, die Hände in den Hosentaschen vergraben, trottete er deprimiert durch den Nachmittag. Sein Telefon schwieg. Fast von selbst zog es ihn zu Hüseyins Gemüseladen in der Blumenstraße.

      Das hübsche, türkische Mädchen stand heute draußen vor dem kleinen Lebensmittelgeschäft, neben sich einen Putzeimer und reinigte mit undurchdringbarer Miene das Schaufenster.

      Wie immer setzte Jakobs Herzschlag für einen Moment aus, als er sie sah. Er lehnte sich an eine Hauswand und sah mit gebührendem Sicherheitsabstand verträumt zu ihr hinüber.

      Sie schrubbte mit kraftvollen, kreisförmigen Bewegungen die Scheibe, neben sich, der alte Mann im Rollstuhl, den Jakob schon oft vor dem Laden gesehen hatte. Wie immer hockte er mit nacktem Oberkörper und einer Wolldecke über den Knien da, eine Bierflasche in der Hand und erzählte seine endlosen Geschichten. Das Mädchen

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