Heideopfer. Kathrin Hanke
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Er lauschte in sein Haus hinein. Warum war die Schlafzimmertür nicht geschlossen? Nachts standen alle Zimmertüren im Haus offen, die vom Schlafzimmer allerdings nie. Und er war sich sicher, sie auch gestern Abend zugezogen zu haben. Er machte das schon automatisch. Ohne darüber nachzudenken. Eva hatte das so gewollt, und er hatte es beibehalten, nachdem sie vor einigen Wochen einfach weg gewesen war. Er war gestern Abend auch nicht betrunken gewesen, nur ein bisschen angesäuselt, und hatte noch sehr wohl gewusst, was er tat.
Er schlug die Decke zurück, setzte sich auf die Bettkante und schlüpfte in seine bereitgestellten Pantoffeln. Sie standen nicht so akkurat, wie er es mochte. Eva hatte das gewusst, und er hatte sich in dieser Hinsicht auf sie verlassen können. Leise tappte er die zwei Schritte zur Schlafzimmertür. Er spähte angespannt aus dem Türrahmen hinaus in den schmalen langen Flur, in den das Licht, das durch die Fenster der angrenzenden Zimmer einfiel, drang. Da war nichts außer aufgewirbeltem Staub, der in einem Lichtstrahl seine Spiralen tanzte. Dennoch blieb er achtsam. Das Gerede über ihn hatte in letzter Zeit zugenommen, und er hielt es für besser, auf der Hut zu sein.
Mit angehaltenem Atem, damit er besser hören konnte, schlich er weiter. Rechter Hand lag sein Badezimmer, in das er ebenfalls seinen Kopf hineinstreckte und den quadratischen Raum mit den Augen abtastete. Auch hier fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Um sicher zu gehen, huschte er zur Badewanne hinüber und riss abrupt den Duschvorhang zur Seite. Nichts. Nach wie vor konnte er auch kein anderes Geräusch im Haus ausmachen. Er entspannte sich wieder und sog die Luft tief in seine Lungen ein. Trotzdem war er noch immer nicht gänzlich beruhigt, sodass er ungeachtet seiner aktuellen Erleichterung leise seinen Weg durchs Haus fortsetzte und mit Argusaugen die verbliebenen Zimmer begutachtete. Auch im Souterrain. Selbst wenn hier niemand war, waren vielleicht Gegenstände verrückt? Er konnte auch das nicht erkennen. Alles war wie gewöhnlich. Dessen ungeachtet hatte er das Gefühl, die Atmosphäre im Haus sei anders. Irgendwie beklemmend.
Ihn fröstelte. Er war nackt. Wie immer.
Eva konnte nicht da gewesen sein, um noch ein paar ihrer Sachen zu holen. Sie hatte keinen Schlüssel mehr. Den hatte sie ihm auf sein Kopfkissen gelegt, bevor sie sich davongemacht hatte. Er zog eine abschätzige Grimasse und begann sein tägliches Ritual, aber das unwohle Empfinden blieb.
Er ging ins Wohnzimmer, stellte das Radio an, dann in die Küche und brühte sich einen Kaffee auf. Er ließ das heiße Gebräu auf dem Küchentresen stehen, damit es abkühlte, und ging zurück ins Schlafzimmer zum Schrank, aus dem er sich ein großes Handtuch holte. Daraufhin tappte er ins Bad, um zu duschen. Wieder fröstelte ihn und er meinte, einen leichten Luftzug an seinen Waden zu spüren, deren Härchen sich sofort aufstellten. Dabei hatte er doch nirgendwo ein Fenster geöffnet! Er hätte es bei seinem Gang durchs Haus bemerkt und vor allem hatte er gestern vor dem Zubettgehen alle geschlossen, da es geregnet hatte. Das wusste er noch ganz genau, zumal ihn das Tröpfeln beim Einschlafen gestört hätte – da war er empfindlich.
Leise Musik drang aus dem Radio im Wohnzimmer ins Bad. Er stieg in die Badewanne und zog den Duschvorhang, der von seiner Überprüfung eben noch beiseitegeschoben war, zu. Gerade, als er die Dusche anstellen wollte, hörte die Musik auf und der Radiomoderator berichtete, wie in der letzten Zeit so häufig, von den Geschehnissen in Gorleben. Heute war der Tag, an dem trotz des Widerstands des niedersächsischen Umweltministeriums aufgrund einer Weisung des Bundesumweltministers Klaus Töpfer Atommüllcontainer aus dem belgischen Kernforschungszentrum Mol im Zwischenlager Gorleben endgültig eingelagert werden sollten. Ein paar Tage zuvor waren die drei Transporter kurzfristig in der Polizeikaserne Lüchow untergestellt worden. Er stoppte mitten in seiner Bewegung und lauschte dem Bericht, doch viel mehr sagte der Sprecher nicht mehr.
Noch bis vor ein paar Tagen hatte er vorgehabt, nach Gorleben zu reisen und die Zufahrten zum Zwischenlager zu blockieren, wie rund 200 Treckerfahrer und andere Menschen es jetzt in diesem Augenblick taten. Er hatte mit dem Schuldirektor darüber gesprochen und auch seine Klasse dafür mobilisieren wollen, aber der Direktor hatte es ihm verboten und mit einem Verweis gedroht. Aufgrund der anderen schon bestehenden Anschuldigungen gegen ihn, hatte er zähneknirschend darauf verzichtet, zum Atommülllager zu fahren. Es hatte ihm schwer zu schaffen gemacht, denn was dieser Töpfer da zuließ, war Raubbau an der Natur und den Menschen.
Der Radiomoderator berichtete nur noch kurz sachlich, dass die Polizei bereits anfing, die Blockaden vor den Gorlebener Zufahrten zu räumen, dann kam wieder Musik. Er runzelte die Stirn. Er konnte sich vorstellen, wie brutal bei der Räumung vorgegangen wurde. Eine Schande war das. Er stellte das Wasser an und wartete einen Moment, bevor er sich unter den Duschkopf stellte – in den ersten Sekunden kam nur kaltes Wasser heraus. Duschte er in der Natur, machte ihm das nichts, aber in seinem eigenen Badezimmer sollte es angenehm warm sein.
Durch den morgendlichen Gang durchs Haus war sein täglicher Zeitplan verrutscht. Er hasste es, wenn seine Routinen durch Unvorhergesehenes gestört wurden. Sein Leben war durchdacht. Für alles hatte er einen strukturierten Plan – kleine Pläne, die er in die Struktur seines großen einband, damit er vorausdenken konnte. Natürlich, auch er musste hin und wieder spontan handeln, doch dann sah er zu, dass er schnellstmöglich wieder zurückfand in seinen alltäglichen Ablauf. Ein bisschen so, wie wenn man mit dem Auto leicht ins Schleudern geriet und vorsichtig wieder die Spur einnahm. Nur auf diese Weise konnte er alles unter Kontrolle halten, und das war immens wichtig für ihn. Aus diesem Grund duschte er heute schneller als gewöhnlich. Damit würde er zumindest die Zeit wieder einholen, die er zuvor auf der Suche nach was auch immer im Haus gleich nach dem Aufstehen verplempert hatte. Seine Laune war auf jeden Fall bereits jetzt im Keller und das, obwohl er gestern so einen amüsanten Abend gehabt hatte. Er hatte gehofft, davon noch ein bisschen zehren zu können, schon wegen Eva. Um sie zu vergessen. Und auch wegen der anderen, die ihn verleumdeten – wenn die wüssten …
Nachdem er außerhalb des Wasserstrahls seinen Körper eingeseift hatte, waren seine bis zur Schulter reichenden Kopfhaare an der Reihe. Er nutzte kein gesondertes Shampoo dafür, sondern den Schaum des Duschgels, der sich noch auf seinem Körper befand. Alles andere wäre für ihn Verschwendung. Gerade als er sich komplett abduschen wollte, hörte er ein Klirren. Er hielt inne in seinen Bewegungen. Was war das denn nun wieder? War es aus dem Radio gekommen? Oder wurde er jetzt verrückt? Er drehte rasch das Wasser aus und horchte angestrengt. Da war nichts. Nichts mehr, denn er war sich sicher, sich nicht getäuscht zu haben.
Nass und nackt, wie er war, stieg er aus der Wanne und wanderte ein weiteres Mal durch das Haus. Hier war nach wie vor alles unverändert. In der Küche nahm er einen Schluck aus seinem inzwischen abgekühlten Kaffee und blickte dabei gewohnheitsmäßig aus dem Fenster. Und dann sah er einen Schatten blitzartig hinter seinem am Ende des Gartens stehenden Schuppen verschwinden. Fast hätte er im ersten Moment vor Schreck seine Tasse fallen lassen. Aber er hatte sich schnell wieder im Griff und fluchte nur leise vor sich hin. Es war der Nachbarskater gewesen, den er erspäht hatte. Ein über die Maßen fettes gelbgetigertes Tier, das er schon längst mit seiner Schrotflinte abgeschossen hätte, wenn es nicht die vielen Mäuse in der Gegend und damit auch auf seinem Grundstück wegfangen würde. Plötzlich kam ihm ein Gedanke in den Sinn, und so schnell, wie er sich über den Kater geärgert hatte, so schnell grinste er jetzt beruhigt: Das war es also gewesen! Der olle Kater hatte ihm den Morgen versaut! Sicherlich war das Vieh in aller Frühe auf Mäusejagd um sein Haus herumgeschlichen und hatte dieses beunruhigende Gefühl in ihm wachgerufen. Zwar erklärte das die offene Schlafzimmertür nicht, aber vielleicht war er gestern doch mehr als nur ein bisschen angeschickert gewesen und hatte sie nicht richtig geschlossen, sodass sie von allein wieder aufgegangen war. Ja, so wird es gewesen sein. Er nahm noch einen Schluck Kaffee und dann sah er zu, in sein Badezimmer zu kommen. Auf dem Weg dorthin hinterließ er eine kleine Pfütze auf dem Linoleumboden in der Küche. Sonst nichts.
Gedicht
»Ja, tobe nur in deinen Ketten, Tier: