Heideopfer. Kathrin Hanke
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Читать онлайн книгу Heideopfer - Kathrin Hanke страница 10
»Sie hat also bereits die Pacht gezahlt, als ihr das Haus noch nicht gehörte, das heißt wohl, dass sie im Haus gelebt und Marianne Kruse es an sie vermietet hat«, schloss Tobi.
»Könnte so sein«, meinte Ben.
»Das ist aber noch nicht alles«, ergriff Vivien erneut das Wort.
»Sagtest du nicht, Pachtzahler und Hausbesitzer würden nur in einem Fall nicht identisch sein?«, unterbrach Katharina sie jedoch.
»Entschuldigt, dann hab ich mich wohl blöd ausgedrückt, es gibt nämlich noch einen Pachtzahler, aber der war nie Hausbesitzer. Und das wollte ich euch auch gerade sagen.«
»Ach«, entfuhr es Tobi.
»Genau, das habe ich mir auch gedacht. Der Mann heißt Peter Kruse. Er hat die Pacht von Januar 1986 an bis einschließlich Juni 1991 gezahlt. Im Juli ist sie wieder von Marianne Kruse gezahlt worden und danach, schon einen Monat später, wie gesagt von Evelyn Adler. Kruse ist zwar nicht gerade ein seltener Name, aber ich nehme an, dass zwischen Marianne und Peter ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, vielleicht ist er ihr Sohn, Neffe oder auch der Bruder ihres verstorbenen Mannes. Ich habe es noch nicht geschafft, das herauszufinden. Das wollte ich gerade machen, als ihr zurückgekommen seid.«
»Das kannst du später machen. Warten wir erst einmal ab, was die Spusi zutage fördert«, sagte Ben und rückte seinen Stuhl vom Tisch ab, um aufzustehen. »Jetzt sollten wir erst einmal Mittag machen, denn ich für meinen Teil habe Hunger.«
14:03 Uhr
Als die Nachricht sie erreichte, war sie gerade beim Mittagessen gewesen. Jetzt stand das Rumpsteak mit Kartoffeln seit einer halben Stunde halb aufgegessen vor ihr, und ihr war schlecht. Sie brachte keinen Happen mehr herunter, zumal sie ihr Steak, so wie sie es mochte, nur angebraten hatte und es nun in einem blutigen Bratensaft vor ihr auf dem Teller lag. Das Tierblut hatte bereits die Pellkartoffeln erreicht und färbte sie langsam bräunlich ein, was ein lang verdrängtes Bild in ihr wieder hochkommen ließ. Sie hätte den Teller auch einfach abräumen und das Essen in den Müll kippen können, doch sie war kaum in der Lage, sich zu regen. Warum war sie bloß ans Telefon gegangen? Andererseits hätte sie es früher oder später sowieso erfahren. Er war wieder aufgetaucht. Und mit ihm all die schrecklichen Erinnerungen. Allerdings waren die nicht so schlimm wie das, was jetzt höchstwahrscheinlich auf sie zukommen würde. Sie stützte ihre Arme auf die Tischplatte und vergrub den Kopf in den Händen. Aus ihren geschlossenen Augen quollen die Tränen. Was sollte sie jetzt nur machen? In ihrem Körper schrie alles nach Flucht. Einfach nur weglaufen, dann konnte er ihr nichts mehr anhaben. Aber was, wenn sie trotzdem gefunden wurde? Dann würde alles nur noch schlimmer sein. Außerdem wusste sie gar nicht, wohin.
Reiß dich zusammen, du bist ihm schon einmal entkommen, meldete sich eine Stimme in ihr. Du musst nur ruhig bleiben. So wie damals, dann kann dir nichts passieren! Stimmte das? Konnte er ihr nichts mehr anhaben? Sie war sich da nicht so sicher. Vielleicht hätte sie damals schon reden sollen, aber nun war es zu spät, und er war wieder aufgetaucht.
Ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie öffnete die Augen, setzte sich aufrecht hin, wischte sich mit dem Handrücken grob die Tränen aus dem Gesicht, erhob sich, griff nach ihrem Teller, machte die Schranktür unter der Spüle auf und ließ ihr Essen, ohne es noch einmal anzusehen, in den Müll gleiten. Dann ging sie zur Garderobe, zog sich Schuhe und eine leichte Jacke an und verließ die Wohnung, um ihren täglichen Spaziergang zu machen. Ja, er war wieder da, und er würde sie sicher demnächst heimsuchen, doch bis dahin wollte sie ihr Leben so leben, wie sie es immer tat. Dennoch begann sie, leise vor sich hinzusummen. So wurde das beklemmende Gefühl hoffentlich nicht zu übermächtig.
Gedicht
»Wie kannst du ruhig schlafen,
Und weißt, ich lebe noch?
Der alte Zorn kommt wieder,
Und dann zerbrech ich mein Joch.
Kennst du das alte Liedchen:
Wie einst ein toter Knab
Um Mitternacht die Geliebte
Zu sich geholt ins Grab?
Glaub mir, du wunderschönes,
Du wunderholdes Kind,
Ich lebe und bin noch stärker
Als alle Toten sind!«
(Heinrich Heine)
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