Heideopfer. Kathrin Hanke

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Heideopfer - Kathrin Hanke

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      Drei seiner Jungs waren bereits am Schuppen zugange, während der Rest seiner Mannschaft schon einmal die schweren Maschinen für den Hausabriss in Position brachte. Das war aufgrund der Größe des Grundstücks glücklicherweise möglich, sonst hätten sie ein Zeitproblem gehabt. Achim hatte für den kompletten Abriss vier Tage kalkuliert und bereits einen Anschlussauftrag angenommen.

      »Moin. Und, läuft alles nach Plan?«, sprach ihn der junge Familienvater von der Seite an. Achim hatte gar nicht bemerkt, dass er neben ihn getreten war. Umständlich kramte der Abrissunternehmer seinen Tabak aus der Innentasche seiner Jacke und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Gern hätte er diesem jungen Typen etwas von Holterdipolter-Entscheidungen erzählt, doch was würde das schon nützen? Schließlich beglich dieser Jungspund, der da in Fahrradklamotten und mit einem kleinen Ziegenbärtchen im Gesicht abwartend neben ihm stand, am Ende die Mehrkosten. Außerdem hatte Achim Brenner auch keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. Er steckte sich die fertig gedrehte Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an und brummte vielsagend.

      »Na, dann ist ja gut«, sagte der junge Mann und lächelte ihn offen an. »Es tut mir übrigens leid, dass wir uns erst jetzt entschlossen haben, den Schuppen auch abzureißen. Wir wollten ihn ursprünglich als Spielhaus für die Kinder stehen lassen, haben uns dann aber doch spontan dagegen entschieden. Ich hätte es ja ganz gut gefunden, aber meine Frau … Na ja, Sie wissen sicher, wie die sein können. Sie möchte einfach alles neu haben, und da ihr Vater uns finanziell ziemlich unterstützt, ist es jetzt halt so.«

      Achim brummte ein weiteres Mal, diesmal eher zustimmend. Sie wandten beide ihre Köpfe, als jetzt ein Ruf aus Richtung Schuppen erklang: »Cheeef, komm mal schnell! Oh Mann, das musst du sehen!«

      Was war denn jetzt los? Er setzte sich in Bewegung und mit ihm der junge Mann. Aus den Augenwinkeln sah Achim, dass auch die Mutter mit den beiden Kindern auf den Schuppen zusteuerte, von dem nur noch zwei Wände standen. Die hintere und die linke Seitenwand lagen bereits abgetragen und in einzelnen Holzlatten auf dem Rasen.

      »Sie wissen, dass ich keine Haftung übernehme, wenn Ihre Kinder hier auf der Baustelle rumspringen?«, stellte er klar.

      »Natürlich, wir passen schon auf«, bekam er zur Antwort, und Achim Brenner brummte zum dritten Mal an diesem Morgen.

      Beim Schuppen angekommen, blickten sie in das verstörte Gesicht von Ingo – einem Hünen von Mann, der bis zum Hals tätowiert war und sich normalerweise nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Er arbeitete schon einige Jahre für Brenner, doch so durch den Wind hatte dieser ihn noch nie gesehen. Neben Ingo standen die anderen zwei Jungs, die er zum ersten Mal angeheuert hatte und die ihre Arbeit bisher gut gemacht hatten. Es waren Brüder, und auch sie waren käseweiß. Seine Männer nannten die beiden Lolek und Bolek, weil sie immer zusammen herumhingen und kaum ein Wort Deutsch sprachen – sie kamen zwar nicht aus Polen, sondern aus Litauen, aber das war für die Namensgebung egal.

      »Was ist denn los?«, fragte Brenner.

      »Das … ähm … also … guck es dir einfach an …«, stammelte Ingo.

      Achim Brenner schwante nichts Gutes, als er jetzt, gefolgt von der Familie, näher an den nur noch halb vorhandenen Schuppen trat. In der Mitte prangte ein größeres Loch im Boden, das er zuvor nicht bemerkt hatte.

      »Lolek und Bolek haben die Wände auseinandergenommen, und ich habe die Waschbetonplatten entfernt. Ich hab in der Mitte angefangen, weil hier schon einige lose waren, was mich … was mich jetzt nicht mehr wundert … und … ähm … vielleicht bleiben Sie mit den Kindern besser mal weg«, erklärte Ingo, der sich nicht von seinem Platz gerührt hatte.

      »Ja, aber was ist denn da?«, fragte die Mutter, stoppte abrupt mitsamt den Kindern an ihrer Hand, stellte sich hinter ihre Kleinen und legte jedem schützend eine Hand auf die Brust.

      Achim Brenner blieb ihr für den Moment eine Antwort schuldig. Stattdessen schluckte er. Dafür erwiderte ihr Mann neugierig: »Das werden wir gleich sehen.«

      Er stellte sich neben Achim und senkte ebenfalls seinen Blick in das Loch. »Ach du Scheiße!«, platzte es aus ihm heraus, »Ist es das, was ich glaube?«

      »Max, was ist denn da?«, fragte die Frau erneut, doch nach wie vor antwortete ihr niemand.

      »Ich schätze schon«, meinte Achim Brenner an den jungen Mann gewandt. »Wir sollten die Polizei rufen.«

      »Polizei? Wieso?«, drängelte sich jetzt doch die Frau zwischen die Männer. »Ich möchte jetzt endlich wissen, was da …« Sie stockte mitten in ihrem Satz, dann stieß sie einen kurzen, spitzen Schrei aus, deutete mit einem Finger auf das Loch und stammelte: »Das ist … das ist … eine Hand!«

      10:23 Uhr

      Das Telefon auf Bens Schreibtisch klingelte. Er erhob sich langsam vom Besprechungstisch und meinte zu den anderen: »Wenn da mal nicht die Arbeit ruft.«

      Tobi grinste und sagte: »Ich habe mich schon gewundert. So ruhig war es hier selten.«

      »Und es kann auch gern noch eine Weile so bleiben!«, kommentierte Katharina.

      »Stimmt«, pflichtete Vivien ihr bei und begann, die leeren Teller und Becher zusammenzuräumen.

      »Also ich habe lange genug nichts getan, ich bin nicht hier, um das so weiterzumachen«, meinte Tobi und sah zu Ben, der in diesem Augenblick sagte: »Ja, wir kommen. In 15 Minuten sind wir vor Ort.« Dann legte der Hauptkommissar auf, schaute seinen Kollegen an und erklärte: »Wenn wir Glück haben, sind wir in einer Stunde wieder hier und können weiter klönen, wenn nicht …«

      »… dann tun wir mal wieder was für unser Geld«, vervollständigte Katharina seinen Satz und stand auf. »Was ist denn passiert?«

      »Bei Bauarbeiten wurde in Wilschenbruch eine Hand gefunden, das heißt, nur noch die Handknochen«, informierte sie der Hauptkommissar. »Mehr weiß ich auch noch nicht.«

      Nachdem Ben und Katharina das Büro verlassen hatten, ging Tobi an seinen Schreibtisch. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach all der Zeit wieder hier zu sein. Er hatte sich riesig auf diesen Tag gefreut, doch jetzt fragte er sich, ob sein Wiedereinstieg nicht doch zu früh kam. Noch immer suchte er in seinem Kopf nach den einfachsten Begriffen, wenn er etwas sagen wollte. Dabei wusste er den Inhalt meist ganz genau, doch die Worte wollten dann einfach nicht aus seinem Mund heraus. Natürlich kannte er das schon von früher, vor diesem verflixten Unfall. Wie wohl jedem hatte ihm auch hin und wieder etwas auf der Zunge gelegen, aber jetzt geschah es eben nicht nur manchmal, sondern ziemlich häufig. So hatte er sich immer Alzheimer vorgestellt. Langsam aber sicher verlor man die Worte bis hin zum Gedächtnis und lebte nur noch in frühesten Erinnerungen. Gerade neulich hatte er sich den Film Der seltsame Fall des Benjamin Button angeschaut. Er hatte ihn irgendwann am Anfang der 2000er, als er herauskam, mit seiner damaligen Flamme im Kino angesehen. Mit der Frau verband ihn längst nichts mehr, sie hatten sich nur ein paar Mal getroffen, aber der Film hatte ihn fasziniert – was für eine irre Vorstellung, dass die biologische Uhr rückwärts ticken könnte. Bei ihm war es jedoch sein Geist, der sich durch seine schwere Kopfverletzung erst einmal in 1000 Einzelteile zerlegt hatte und langsam wieder zusammengesetzt werden musste. Von ihm. Ganz allein. Mittlerweile konnte er Sudokus nahezu im Schlaf lösen und las, trotz Netflix, ein Buch innerhalb von drei Tagen aus. Außerdem ging er weite Strecken zu Fuß, denn auch das regte das Gehirn an. Alles Dinge, die er zuvor nicht getan hatte, aber er hatte sich daran gewöhnt. Inzwischen tat er all dies ganz gern – es war ja für einen guten Zweck, wie Jana es einmal lachend gesagt hatte. Was ihm jedoch nach wie vor schwerfiel

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