Küstensturm. Heike Meckelmann

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Küstensturm - Heike Meckelmann

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Licht und wirkte friedlich. Selbst der Wind hatte sich ausgetobt.

      Die drei Freundinnen lagen auf ihren Matratzen und schliefen. Es war kurz nach 7 Uhr, als Lottas Lebensgeister erwachten. Sie reckte sich unter ihrer Decke. Ausgeschlafen blinzelte sie mit den Augen und warf einen Blick durch die Fensterluke, die direkt über ihrem Kopf im Dach eingebaut war. Vereinzelte Sonnenstrahlen, die es durch die Bäume hindurch geschafft hatten, kitzelten ihre Nasenspitze. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt so lange geschlafen hatte. Als Krankenschwester war sie an weniger Schlaf gewöhnt. Es zeigte ihr, wie sehr sie die Ruhe brauchte. Als sie sich bewegte, um ihre Glieder auszustrecken, kam auch Leben in die anderen beiden. Tilda, absolut keine Frühaufsteherin, setzte sich auf und stieß mit dem Kopf gegen einen der dicken Dachbalken im Dachgeschoss. »Oh Mann, das gibt eine Beule«, jammerte sie, verzog das Gesicht und fuhr sich durch die zerzausten Haare. Die Freundinnen kicherten. Stina zog die Beine an und sah verschlafen in die Runde. Sie würde am liebsten unter der Decke liegen bleiben, obwohl sie normalerweise jeden Morgen joggte. Die Welt der drei jungen Frauen sah heute wesentlich freundlicher aus als gestern bei der Anreise.

      Die am Vorabend unbehagliche Atmosphäre der Ferienhütte hatte sich nach dem Lüften der Räume und dem Entzünden des Feuers im Kamin aufgelöst. Selbst die Geräusche, die sie aus dem ungenutzten Nebenzimmer wahrgenommen hatten, stellten sich als Sinnestäuschung heraus. Ein Haken, der sich aus der Verankerung eines der Fenster gelöst hatte und vom Wind fortwährend knarzend gegen das Holz der Hütte schlug, war die Ursache und hatte beim Öffnen der Tür auch die Haustür zuschlagen lassen. Zwei Flaschen Wein später hatten sie die nötige Bettschwere und sich schlafen gelegt.

      »So, Mädels, aus dem Bett. Der Tag wartet.« Lotta schlug ihre Decke zurück und begab sich auf die Knie. Leise kroch sie bis zum kleinen Sprossenfenster, das sich neben der Leiter befand. Die zusätzlichen Schlafplätze hatten sie gestern Abend unter dem alten Giebeldach des Holzhauses entdeckt. Blau-weiß gestreifte dicke Matratzen, die fast die gesamte Fläche des Raumes bedeckten, ergaben eine urige Schlafstätte. Sie beschlossen in ihrer Weinlaune, dass sie gemeinsam auf dem Dachboden schlafen wollten.

      Stina lag wohlbehütet in der Mitte des Matratzenlagers und fühlte sich sicher aufgehoben. Ihre langen blonden Haare umrahmten ihr zerknautschtes Gesicht. Tilda hatte sich wieder unter die Decke verzogen und sie so weit über den Kopf gezerrt, bis nur noch dunkle Haaransätze wahrzunehmen waren. Stina drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen. »Lass uns Frühstück machen, später erkunden wir den Wald«, flüsterte Lotta und erhob sich. »Wirst sehen, dann sieht die Welt gleich anders aus. Hier ist es sicher und niemand wird uns stören.« Die OP-Schwester kletterte die Stufen hinunter. Sie hatte für alles eine Lösung parat und packte an, wenn es nötig war. Stina schlug die Decke zurück und folgte ihrer Freundin, während Tilda sich murrend umdrehte.

      Die 28-jährige Lotta Freimann entdeckte eine Kaffeemaschine, öffnete die Türen des einzigen Hängeschrankes und hielt Ausschau nach Filtertüten. Sie fand eine Dose mit Kaffeepulver, nahm sie heraus und schüttelte sie. »Die ist voll«, strahlte sie. »Ich hatte es gehofft. Den Kaffee hatte ich vergessen. Oder hast du?«

      Stina schüttelte den Kopf. »Ich hab an gar nichts gedacht. Mein Kopf ist leer. Nicht mal Zahnpasta habe ich eingepackt.« Sie zuckte die Schultern, stand wie eine Porzellanpuppe vor ihrer Freundin. »Kannst du von mir haben. Hast du wenigstens eine Zahnbürste?« Stina nickte. »Na, dann ist das doch kein Problem. Was uns fehlt, besorgen wir später, wenn wir in Burg einkaufen.« Die Studentin war erleichtert.

      Lotta, die Souveräne in dieser Runde, lächelte und stellte die Kaffeemaschine an. »Komm, Lütte, wir decken den Tisch. Tilda ratzt länger, so wie ich sie kenne.« Die Krankenschwester öffnete die Tür und trat auf die Veranda. Sie reckte sich in ihrem Jogginganzug, schüttelte die langen Haare und sah um sich. Die Sonne tauchte den Wald in ein stimmungsvolles Licht. Es herrschte eine unbeschreibliche Ruhe. Nicht einmal ein Vogel war zu hören. Hoffentlich bleibt das so, dachte Lotta und machte sich daran, die Fensterläden zu öffnen. Sie empfand die Ruhe als große Erleichterung, die sie für gewisse Zeit von ihrer schweren Arbeit abschalten ließ. Stina entriegelte die Fenster in allen Räumen von innen, bis frische Waldluft die Hütte durchwehte. Anschließend inspizierten sie die wenigen Schränke auf der Suche nach Geschirr. Zehn Minuten später war ein kunterbunter Frühstückstisch gedeckt. Lotta nickte und lächelte. Sie sah selbst ungeschminkt, mit zerwühlten Haaren und im Jogginganzug faszinierend aus. Sie zog ihre Tasche zu sich, die sie gestern Abend neben dem Sofa abgestellt, hatte und öffnete den Reißverschluss. Gelassen nahm sie Brot, Margarine, Marmelade und Obst heraus. »Das hast du alles besorgt?«, staunte Stina. »Ne, ich hab nur meinen Kühlschrank geplündert. Langt fürs Erste, oder?«

      Die Freundin nickte und sog den Holzgeruch der Hütte ein.

      Während sie gemütlich am Tisch saßen, Brot aßen und heißen Kaffee schlürften, schnupperte Tilda eine Etage höher den Duft des Wachmachers. Ausgeruht und gut gelaunt kletterte sie wenig später in langen Sporthosen und einem ausgeleierten Shirt die Stiege hinab. Ihre dunklen, ewig zerzaust wirkenden Haare legten sich um ihr blasses Gesicht und ließen es noch schmaler erscheinen. »Hm, das riecht aber lecker. Ich sehe schon, das wird ein geiler Tag«, sagte sie und kräuselte spitzbübisch die Nase, bis ausgeprägte Grübchen sich auf ihren Wangen zeigten.

      Lotta zog die Augenbrauen hoch und grinste sie an.

      Eine Stunde später stapften sie satt und fröhlich durch das Staberholz, um die Umgebung auszukundschaften, die für die kommende Woche ihr Zuhause sein würde. Es gab kaum Nennenswertes in dem Wald zu sehen, der mit seinen gerade mal fünf Hektar Fläche nicht groß herauskam. »Verlaufen können wir uns hier jedenfalls nicht«, frotzelte Tilda und sammelte einen dicken Ast vom Boden auf. »Nein, aber die Umgebung ist vielfältig. Ich bin mit meinen Eltern früher so oft hier gewesen. Der Wald liegt direkt an der Steilküste, das sehen wir uns nachher genau an. Und der Leuchtturm von Staberhuk ist nicht weit entfernt. Dazu kann ich euch interessante Geschichten erzählen. Aber lasst uns jetzt erst mal den Wald erkunden. Ist immer gut, wenn man weiß, wo man sich befindet und … wo das Auto abgestellt ist«, lachte Lotta.

      Stina Christiansen knibbelte an ihrem Zopf. »Wieso müssen wir wissen, wo der Wagen steht? Im Dunkeln kriegen mich sowieso keine zehn Pferde aus der Hütte.« Sie schüttelte den Kopf. Das Ende ihres Zopfes schlug ihr dabei ins Gesicht. Sie zog den rosafarbenen Schal enger um ihren Hals. Ihre empfindlichen Wildlederstiefel rutschten über den feuchten Boden und verdreckten bei jedem Schritt mehr. »Die richtigen Schuhe hast du aber nicht eingepackt«, stellte Tilda belustigt fest. »Kein Problem, wir fahren heute Nachmittag in die Stadt und kaufen ein. Dann können wir uns mit Lebensmitteln eindecken und nach passenden Schuhen für Stinchen schauen«, sagte Lotta und erschrak plötzlich.

      Es raschelte hinter ihr. Sie drehte sich um. »Das war sicher nur eine Taube. Ist dieses Idyll nicht wundervoll? Bringt unsere Seele ins Gleichgewicht«, lachte Tilda und sprang amüsiert zwischen den am Boden liegenden Ästen umher. »Ich hab keine Lust mehr, hier herumzustreunen. Du hast doch eben von einem Leuchtturm gesprochen. Lass uns mal da hinlaufen«, flüsterte Stina. Die Geräusche im Wald lösten Beklemmungen in ihr aus. Sie fühlte sich beobachtet. Das Staberholz verbreitete, trotz der Sonnenstrahlen, Unheimliches. Es herrschte kein Wind, wurde aber zunehmend diesiger. »Dieser verdammte Nebel, die merkwürdigen Laute«, stellte sie fest und suchte nach dem Ausgang. Sie kannte zwar die Umgebung, aber den Wald hatte sie nie wirklich ausgekundschaftet. »Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelpumpel heiß’ …«, johlte Tilda und tanzte wie ein Kind zwischen den Bäumen.

      Bis Stina auf einmal schrie und ohne Vorwarnung Richtung Lichtung rannte. »Was ist denn?«, fragte Lotta.

      »Da war ein Schatten!«

      Kapitel 3

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