Mord à la carte in Schwabing. Jörg Lösel
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Читать онлайн книгу Mord à la carte in Schwabing - Jörg Lösel страница 7
»Gut, ich überleg mir was.«
Nachdem der Kameramann mit seinem Assistenten einen geeigneten Platz vor dem Odeon für die Aufnahme gefunden und die Kamera aufgebaut hatte, stellten sich Eike und Obermeier in Positur.
»Und wie schau’g i aus?« Obermeier zog an seiner Hose.
»Wir machen nur ein Brustbild. Man sieht Sie nicht ganz.«
»Passt mei Schneizer?«
»Sehr symmetrisch. Alles gut«, antwortete Eike.
Dann kamen die Kommandos – Kamera ab, Kamera läuft, bitte sprechen!
Eike fragte: »Wie ist der Stand der Ermittlungen im Fall Lalonge?«
»Wir sind von der Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt worden, dass Herr Lalonge durch einen Herzinfarkt zu Tode gekommen ist, der eventuell durch Zuführung von Liquid Ecstasy mitverursacht wurde. Die Substanz ist normalerweise nur schwer festzustellen, aber bei der Obduktion wurden Reste davon im Urin gefunden. Sie ist ihm möglicherweise hier im Restaurant zugeführt worden, denn Herr Lalonge bekam beim Verlassen des Restaurants einen Herzanfall, der dann zum Herzinfarkt führte. Deshalb müssen wir die Lokalität gründlich durchsuchen. Natürlich wissen wir nicht, wo ihm das Liquid Ecstasy zugeführt wurde oder ob er es vielleicht selber eingenommen hat. In seinem Hotelzimmer haben wir jedenfalls keine Spuren davon gefunden.«
»Haben die Vorwürfe gegen den Sternekoch Steineberg, es gäbe Haschisch in seinen Menüs, etwas mit der heutigen Untersuchung zu tun?«
Obermeier schüttelte den Kopf. »Das ist auszuschließen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!«
Eike signalisierte dem Kameramann, dass er die Aufzeichnung stoppen solle. »Wir machen das Ganze noch einmal. Vielleicht können Sie es etwas knapper formulieren.«
Obermeier zog den lippenlosen Mund zu einer Schnute. »War’s ned gut? Ich hob mir Mühe gehm, dass i ned zu boarisch sprech.«
»Doch, es war sehr schön, aber wenn es knapper ginge, wäre es besser. Wir sind eng bemessen in unserer Fernsehzeit.«
Tom beobachtete ungeduldig die weiteren Versuche, und schließlich entließ Eike Obermeier in seinen polizeilichen Alltag. Eine bessere Version als die erste hatte der Mann nicht zustande gebracht.
Als der Einsatzleiter verschwunden war, ahmte Eike gefrustet in Obermeiers Tonfall das bürokratische Deutsch des Polizisten nach: »… die Zuführung von Liquid Ecstasy mitverursacht.« Tom lachte und Eike wiederholte die Floskel noch mal. Das Team hatte schon begonnen, die Kamera vom Stativ zu schrauben, da rief Eike plötzlich: »Baut noch nicht ab! Tom, du musst deine Geschichte erzählen. Von Obermeiers Statement kann ich nur einzelne Sätze nehmen.«
»Du weißt, dass Neuwirt das nicht will!«
»Das Material wird nicht reichen. Und die Art, wie sich Zwergnase präsentiert hat, ist auch kein Knüller. Einschläfernd wirkt er – wie ein Beamter auf Urlaub.«
»Eike, das ist offener Widerstand gegen die Heeresleitung – oder?«
»Keine Sorge, ich rede mit Neuwirt.«
»Von mir aus können wir es gerne versuchen, du musst es ja nicht nehmen.« Tom wollte kein Kollegenschwein sein, und auf dem Bildschirm zu erscheinen, hatte ihm auch sehr gefallen.
Ein paar Stunden später saßen Tom und Eike im Schneideraum und warteten auf die Abnahme durch Neuwirt. Als er energiegeladen mit einem süffisanten Lächeln den Raum betrat, wusste Tom, warum er die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen gehabt hatte.
Eike hatte tatsächlich seine Aussage in den Beitrag hineinschneiden lassen, das hatte der Geschichte zu mehr Authentizität verholfen. Mit Bauchgrimmen wartete Tom darauf, wie Eike das Statement erklären würde.
»Herr Neuwirt, ich habe doch zwei Sätze von Tom mit hineingenommen. Ich denke, so ist das Stück besser. Schauen Sie es sich einfach einmal an.«
Augenblicklich verfinsterten sich Neuwirts Gesichtszüge, und als er den Beitrag gesehen hatte, fing er an zu poltern: »Ich habe laut und deutlich gesagt, dass das nicht geht. Schneiden Sie das Zeug wieder raus!« Er musterte Tom finster vom Kopf bis zu den Füßen. »Für einen Neuling in der Redaktion lehnen Sie sich aber ganz schön weit aus dem Fenster.« Eiligen Schrittes verließ er den Schneideraum und warf geräuschvoll die Tür hinter sich zu.
Niedergeschlagen und mit zittrigen Fingern tastete Tom nach seiner Zigarettenschachtel in der Lederjacke. Eike machte sich verlegen mit dem Cutter an die Arbeit.
Missmutig hatte sich Tom die Ausstrahlung des Beitrags noch im Sender angesehen. Als Eikes Stück gelaufen war, packte er seinen Rucksack mit allen Unterlagen, die er zu dem Fall zusammengetragen hatte, und verließ die Redaktion. Er wollte nur nach Hause, duschen und dann Lisa anrufen.
Im Auto steckte er sich eine Zigarette an und ließ auf dem Nachhauseweg seinen Tag nochmals Revue passieren. Ihm machten die Fernseharbeit, die Recherchen, das Drehen, der Schnitt und das Texten Spaß, die Arbeit war einfach fabelhaft. Aber wie sollte er sich durchsetzen gegen einen Mann, der ihm keine Chance ließ, jedoch die Macht auf seiner Seite hatte? Was hätte er dagegen sagen können? Dass Eike die Aufnahmen von ihm gefordert hatte? Er hatte seinen Kollegen nicht bloßstellen wollen. Er grübelte darüber, wie er mit Schlagfertigkeit die Situation hätte entspannen können. Doch ihm fiel nichts ein. Er war auf sich allein gestellt und ein unbeschriebenes Blatt. Er hatte einfach schlechte Karten.
Seine Mutter hatte ihn gestern noch in den höchsten Tönen gelobt. Das war ihm in seinem Leben bisher kaum einmal passiert. Wenn sie wüsste, dass sich schon heute seine Aussichten auf einen Job beim Fernsehen rapide verschlechtert hatten?!
Der Star zu Hause war immer Jan gewesen, der ältere Bruder. Wenn Tom und Jan sich über irgendetwas gestritten hatten, hatte seine Mutter immer Jan recht gegeben. Einmal hatte sein Bruder Zahnpasta an die Türklinken geschmiert und danach behauptet, Tom wäre es gewesen – die Mutter hatte Jan geglaubt. Er war der Liebling, sie war vernarrt in ihren Erstgeborenen, für Tom blieb da nicht mehr so viel Liebe übrig.
Jans Tod hatte sie nie überwunden. Dadurch wurde er überhöht wie ein Heiliger, und keiner durfte eine noch so kleine Kritik an ihm äußern. Zu seinem Grab auf dem Vaterstettner Friedhof ging sie jeden Tag. Tom hatte sie einmal beobachtet. Sie stand vor Jans Ruhestätte mit gefalteten Händen und betete oder sprach mit ihm. Danach richtete sie die Blumen, sammelte heruntergefallene Blätter auf, trug sie zum Kompost, zündete das Grablicht an, das unter dem Bild Jans stand. Sie sprach noch ein Gebet, die gesamte Zeremonie dauerte über eine halbe Stunde. Toms Eindruck war, dass die Trauer und der Kummer seiner Mutter sich zu einem inhaltsleeren Ritual entwickelt hatten. Seine innere Distanz zu ihr war im Laufe der Zeit deutlich gewachsen. Immer freudloser war seine Mutter geworden, weinte öfter still vor sich hin und aß immer weniger. Ihre Gesichtszüge, die früher schon streng gewesen waren, hatten sich verhärtet, die Wangen waren eingefallen und ein Netz von Krähenfüßen spannte sich um ihre Augen. Ihr Mund wirkte verbissen und ihr Rücken war gebeugt. Ihr Mann war ihr keine Stütze gewesen. Tom wusste, dass sein Vater selbst als ein emotionaler Krüppel durchs Leben ging. Musste er sich bei so einer Sozialisation über Selbstzweifel wundern, die ihn immer wieder überkamen?
Tom hatte das Bedürfnis, Lisa anzurufen. Allein ihr Anblick würde genügen, dass er sich wieder über etwas freuen konnte. Weil er nicht wusste, ob sie schon frei