Mord à la carte in Schwabing. Jörg Lösel

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Mord à la carte in Schwabing - Jörg Lösel

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      Tom fand einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung. Der Motorradfahrer war ebenfalls stehen geblieben. Er trug einen schwarzen Helm mit einem verspiegelten Visier, sodass Tom das Gesicht nicht erkennen konnte. Er beschloss, den Mann zu täuschen; er wollte ihn nicht wissen lassen, in welchem Haus er wohnte, ging auf ein gegenüberliegendes zu und versteckte sich hinter einem Müllhäuschen. Alles blieb ruhig. Der Motorradfahrer wartete immer noch mit laufendem Motor, das Licht hatte er ausgeschaltet. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Tom, packte eine Schaufel, die neben dem Müllhäuschen stand, und rannte auf den Motorradfahrer zu. Dieser ließ sofort seine Maschine aufheulen, zeigte Tom den Mittelfinger und fuhr mit Karacho davon.

      Tom konnte sich nur Teile des Nummernschildes merken, das M für München und die letzten Ziffern waren acht und sieben, aber er war sich sicher, der Motorradfahrer war Edgar.

      5

      Redaktionssitzung am nächsten Morgen. Tom hatte sich wieder neben Eike gestellt und hoffte, einen Auftrag zu erhalten. Zahlenmäßig schien das Personaltableau in der Redaktion nicht übermäßig groß zu sein. Er versuchte, Blickkontakt mit dem Planer aufzunehmen, doch das war kein Erfolg versprechendes Unterfangen. Die meisten Kollegen traten Tom sehr reserviert gegenüber auf. Haben die Angst, dass ich ihnen Arbeit wegnehme? Eike war bisher der Einzige, der nett zu ihm war und ihm ab und an etwas über das Redaktionsleben erzählte.

      Als Neuwirt mit Verspätung das Zimmer betrat, legte sich der Geräuschpegel schnell. Nach einer kurzen Begrüßung blätterte er in den Unterlagen und formulierte zögerlich, wobei nach ein paar Worten immer wieder eine Pause entstand. »Bevor wir mit der Besprechung der heutigen Stücke beginnen, möchte ich noch etwas zur Angelegenheit Steineberg in Auftrag geben. Eike, Sie können das machen als Spezialist in dieser Sache. Fahren Sie in ein anderes Sterne-Restaurant, am besten zum Wissler, und fragen Sie nach den Abläufen in der Küche. Wie kann es überhaupt sein, dass etwas in die Menüs gemischt wird, ohne dass der Chefkoch das bemerkt. Das ist die Story.«

      Eike freute sich offensichtlich. »In welcher Länge soll ich das machen?«

      »Ist der Autor noch so fleißig, es sind immer nur 1,30.« Neuwirt unterstrich diese alte Wahrheit des aktuellen Fernsehjournalismus, indem er mit den Fingerknöcheln auf den Tisch klopfte.

      Zaghaft streckte Tom den Arm nach oben, er hatte den Rüffel vom Vortag nicht vergessen.

      »Was gibt es, Herr Kollege?«

      »Ich würde gerne bei dem Dreh mitmachen, wenn es Ihnen recht ist.«

      Neuwirt zuckte geringschätzig mit den Schultern. »Wenn Sie Eike brauchen kann, ist es mir recht. Sie müssen hier ja irgendetwas tun. Aber ich will Sie heute Abend weder als Zeugen noch in einem Aufsager sehen, ist das klar? Da haben Sie wohl auf der Journalistenschule gefehlt, als der Aufsager durchgenommen wurde. Uns wurde früher beigebracht, wie man das macht.«

      Toms Gesicht glühte, und er brachte nur ein Nicken mit einem leisen »Okay« zustande. Karen huschte ein verräterisches Lächeln über die rosa geschminkten Lippen.

      Eilig verließ Tom mit Eike das Redaktionszimmer.

      Das Restaurant Wisslers lag im noblen Münchner Stadtteil Bogenhausen. Es befand sich in einem grauen, dreistöckigen Jugendstil-Haus und war derzeit noch geschlossen. Eike klingelte, und es öffnete ihnen ein sehr gut aussehender junger Mann Mitte 20 mit hellbrauner Haut, glatt rasiert, modisch geschnittenen, dunklen Haaren in einer sehr engen schwarzen Versace-Hose aus dünnem, leicht schimmerndem Stoff. Sein muskulöser Oberkörper steckte in einem weißen T-Shirt, auf dem im Graffiti-Style »Carpe Diem« zu lesen war. In seinen Ohrläppchen trug er runde, schwarze Stecker, in denen mit Diamantsplittern ein Pik As angedeutet war.

      Mit hoher Stimme und starkem spanischem oder portugiesischem Akzent bat er das Fernsehteam in das Restaurant. Eike konnte den Blick nicht von dem jungen Mann lassen, der ihnen das Kommen von Marc Wissler ankündigte. Mit wiegenden Hüften zog er sich aus dem Restaurant zurück.

      Stilistisch entsprach die Einrichtung dem Alter des Gebäudes. An weiß gedeckten Tischen standen gepolsterte Jugendstil-Stühle aus poliertem braunem Holz. An den Wänden sah man Stuckapplikationen und Halterungen mit elektrischen Kerzen, dazwischen hingen impressionistische Gemälde, die Kassettendecke aus Nussbaumholz verringerte optisch die Höhe des Raumes. Über den Fenstern waren Bordüren aus rotbraunem Stoff angebracht. Die Einrichtung wirkte edel, aber schwer wie ein Zimmer des englischen Königshauses.

      Eine Tür ging auf, und Wissler schritt in den Raum. Er war Mitte 30, Tom schien er sehr jung zu sein für einen Sternekoch. Wissler hatte eine weiße, zweireihige Chefkochjacke an, die ihm auf den ersten Blick die Aura eines Admirals verlieh. Seine hellblond gefärbten Haare, die er nach oben gegelt hatte, korrigierten diesen Eindruck ein Stück weit. Tom blickte in schiefergraue Augen in einem Gesicht, das glattrasiert war und nach einem herben Aftershave roch. Charmant stellte sich Wissler Eike, Tom und dem Team vor und schüttelte jedem die Hand. »Schön, dass mal wieder jemand von TV 1 bei uns vorbeischaut.«

      »Unser Chef, Herr Neuwirt, hat gleich Sie und Ihr Restaurant für unsere Fragen vorgeschlagen.«

      »Das ist sehr freundlich. Richten Sie ihm bitte einen schönen Gruß aus. Er soll uns bald mal wieder beehren.«

      Eike deutete auf die impressionistischen Bilder an der Wand. »Sind das alles Originale?«

      Geschmeichelt lächelte Wissler. »Wie Sie wissen, liebe ich die Kunst und die Malerei.«

      Eike nickte eifrig.

      »Es freut mich, dass Sie sich dafür interessieren. Ihre Vermutung stimmt, es sind Originale, darunter zwei Bilder des dänischen Malers Peder Severin Krøyer. Ich bin sehr stolz, dass sie in meinem Besitz sind.«

      Nach einem kurzen Vorgespräch über den Inhalt der Fragen sah der Kameramann vor dem Restaurant nach dem Licht. Es war Mittag, die Sonne schien, dadurch verstärkten sich die Kontraste im Bild deutlich. Als er den richtigen Standort gefunden hatte, mit dem Logo des Restaurants und in einem Winkel, der die Fensterscheiben nicht spiegeln ließ, baute er mit dem Tonmann die Kamera auf.

      Tom hatte nichts zu tun, ihm war aber vor lauter Nervosität so warm geworden, dass er seine Jacke auszog, und er steckte sich eine Gauloise an.

      Eike nahm das Mikro, stellte sich und Wissler in Position und fragte nach ein paar einleitenden Sätzen: »Wie muss man sich die Abläufe in einem Sterne-Restaurant vorstellen? Kann es sein, dass jemand unbemerkt Haschisch oder andere Substanzen in einer Profiküche in das exquisite Essen mischt?«

      Wissler blickte auf seine schwarzen Valentino-Schuhe, überlegte kurz und sagte sehr souverän: »In einem Sterne-Restaurant kommt es zunächst auf die Größe an, wie viele Köche arbeiten da. Bei 80 Gästen haben wir etwa 12 bis 15 Köche. Jeder macht da sein Ding, hat seinen Bereich und arbeitet unter Zeitdruck. Wenn man jemandem etwas unterschieben wollte, ginge das vielleicht schon. Aber ein aufmerksamer Chefkoch oder auch der Sous Chef müsste das merken. Die haben den Überblick. Und die schmecken auch ab.« Wissler wirkte gelassen, als wäre für ihn ein Fernsehinterview eine alltägliche Sache.

      »Glauben Sie, dass bei Steineberg etwas übersehen wurde?«, fragte Eike.

      »Das kann und will ich natürlich nicht unterstellen. Aber ich bin froh, dass nicht wir in dieser misslichen Lage sind.«

      Damit hatten Tom und Eike ihr Statement. Während das Kamerateam noch einige Schnittbilder drehte, nahm Tom Eike auf die Seite und flüsterte ihm zu: »Ist der

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